Unternehmer Christ im Interview "Wir brauchen eine Reform der Schuldenbremse"
20.09.2024, 16:06 Uhr Artikel anhören
„Wir müssen mehr investieren. Entscheidend ist aber die Frage, wohin dieses Geld fließt. Fließt es in den Aufbau der sozialen Kosten, also ins Bürgergeld, in Renten oder Sozialleistungen? Oder fließt es in Infrastruktur, in Forschung und Entwicklung, in Bildung, in KI?“, sagt Christ i
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Unternehmer und frühere Bundesschatzmeister der FDP, Harald Christ, fordert "einen Plan für Deutschland" mit Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Digitales. Wohin das Geld fließt, ist entscheidend, sagt Christ im Podcast "Die Stunde Null". Die Grundlagen des deutschen Wirtschaftsmodells hält er derweil für stabil.
Über den Standort Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder diskutiert worden. In der aktuellen Lage aber hat man das Gefühl: Es geht jetzt ums Eingemachte. Große Unternehmen wie Volkswagen stehen an der Wand, die Wirtschaft stagniert seit langem. Ist es diesmal ernst?
Harald Christ: Es stimmt, wir hatten auch in früheren Zeiten schon Schlagzeilen wie "Deutschland - der kranke Mann Europas" oder "Deutschland wird abgehängt". Und wir hatten dann ab 2005 den längsten Aufschwung, den die Bundesrepublik bisher hatte, nämlich 16 Jahre. Ich bin daher weit davon entfernt, den Standort schlecht zu reden oder Wutreden zu halten. Wir haben nach wie vor eine sehr stabile wirtschaftliche Struktur, wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft, haben erfolgreiche Konzerne und einen stabilen Mittelstand.
Trotzdem aber gibt es ja große Schwierigkeiten.
Was richtig ist, dass wir in einer wirtschaftlichen Transformation stecken und es Branchen gibt, die vor enormen Herausforderungen stehen. Dazu gehören energieintensive Industrien wie die Chemie- und Pharmabranche, aber auch die Automobilindustrie. Aber wir haben seit Beginn der Industrialisierung immer wieder Transformationen erlebt, unter denen ganze Branchen gelitten haben. Das Jammern nutzt nichts, wir müssen nach vorne schauen und sehen, wie wir unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder verbessern können.

Er war schon in der SPD, dann Bundesschatzmeister der FDP und ist heute ein erfolgreicher Unternehmer mit besten Kontakten in der Hauptstadt: Harald Christ ist ein Netzwerker der Berliner Republik, der zwischen Wirtschaft und Politik pendelt.
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Es ist also aus ihrer Sicht ein Problem einzelner Branchen und nicht eine grundsätzliche Krise des deutschen Wirtschaftsmodells?
Wir haben schon auch grundsätzliche Herausforderungen, klar. Unsere Energiekosten sind zu hoch, wir haben eine zunehmende Bürokratie, die viele Unternehmen mit Kosten belastet und wir haben zu hohe Lohnkosten. Wir sind ein Hochsteuerland, gerade was die Unternehmen angeht. Was wir uns aber fragen müssen, ist, was wir tun können, um aus dieser Situation herauszukommen und die nächste Wachstumsstufe mitzunehmen.
Sie sagen: Wir müssen schauen, wie wir aus dieser Lage wieder herauskommen. Es gibt ein großes Strategiepapier von Ex-EZB-Chef Mario Draghi, der ein gewaltiges Investitionsprogramm für ganz Europa fordert - im Umfang von bis zu 800 Milliarden Euro pro Jahr. Was sagen Sie als Liberaler, wenn so viel Staatshilfe gefordert wird?
Ich bin in keinem parteiideologischen Silo, mir geht es darum, die Realität zu bewerten und zu handeln. Und ja: Wir müssen mehr investieren. Entscheidend ist aber die Frage, wohin dieses Geld fließt. Fließt es in den Aufbau der sozialen Kosten, also ins Bürgergeld, in Renten oder Sozialleistungen? Oder fließt es in Infrastruktur, in Forschung und Entwicklung, in Bildung, in KI? Aber wir haben nun einmal in Deutschland die Schuldenbremse.
Das ist tatsächlich die Frage, die sich anschließt. Die hemmt doch die Investitionen.
Die Schuldenbremse ist unter Beteiligung nahezu aller Parteien verabschiedet worden, also muss sich ein Finanzminister auch daran halten. Das macht es nicht so einfach. Wir brauchen eine Reform der Schuldenbremse. Das heißt nicht: Schulden um jeden Preis. Wir können aber auch nicht künftige Generationen mit einer maroden Infrastruktur und mit einem Land belasten, das nicht mehr wettbewerbsfähig ist.
Wie könnte eine solche Reform denn umgesetzt werden?
Ich glaube nicht, dass das in dieser Legislatur noch umgesetzt werden kann. Ich denke, das muss ab 2025 passieren, wer auch immer dann regiert. Aber es muss gemeinschaftlich von Regierung und Opposition getragen werden. Wir brauchen viel mehr Geld für innere Sicherheit, für die Verteidigung. Da werden wir nicht drum herumkommen, an der Schuldenbremse anzusetzen. Aber eben mit einem nach vorne gerichteten Konzept dahinter. Wir brauchen einen Plan für Deutschland, und zwar einen, der über die nächste Legislaturperiode hinausgeht.
Das klingt dann ja doch nach einem großen Investitionsprogramm.
Das ist, so, aber die Betonung liegt immer auf Investitionen. Wenn Sie heute 50 Milliarden Euro mehr in die Infrastruktur investieren, dann sind das einerseits neue Schulden. Aber am Ende haben Sie einen Effekt, der das Vermögen der Volkswirtschaft erhöht.
Hören Sie in der neuen Folge von „Die Stunde Null“
· Was die Ampel-Koalition nach Ansicht Christs gut macht
· Warum Christ auf das KI-Unternehmen Aleph Alpha setzt
· Warum nach seiner Ansicht gegen Rechtspopulismus hilft
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Quelle: ntv.de, jki