Verschwunden am Matterhorn Wo ist Milliardär Karl-Erivan Haub?
28.05.2023, 12:17 Uhr
Die Staatsanwaltschaft Köln prüft, ob sie beim Amtsgericht Köln die Aufhebung der Todeserklärung für Karl-Erivan Haub beantragen wird …
(Foto: picture alliance / Caroline Seid)
Der frühere Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub ist seit April 2018 verschollen. Der Milliardär kehrte nach einer Skitour im schweizerischen Zermatt nicht zurück. Seine Leiche wurde nie gefunden. Der Manager wurde für tot erklärt. Doch Recherchen von RTL/stern-Investigativreporterin und Buchautorin Liv von Boetticher werfen Fragen auf, ob Haub nicht doch am Leben und in Moskau untergetaucht sein könnte. Seit Karl-Erivans Verschwinden führt sein Bruder Christian das Familienunternehmen. Die Staatsanwaltschaft Köln prüft, ob sie beim Amtsgericht Köln die Aufhebung der Todeserklärung für Haub beantragen wird. Grund sind Dokumente, die von der RTL-Journalistin eingereicht wurden.
ntv.de: Sie recherchieren seit mehr als zwei Jahren zum Verschwinden von Karl-Erivan Haub. Was spricht dafür, dass Haub nicht verunglückt, sondern möglicherweise untergetaucht ist?
Liv von Boetticher: Zu Beginn der Recherche hat unser Team Zugang zu internen Tengelmann-Dokumenten bekommen. Daraus geht hervor, dass die Familie interne und externe Ermittler beauftragt hatte, zweifelsfrei festzustellen, ob Haub noch lebt oder ob er umgekommen ist. Ein internes Dokument gibt beispielsweise an, die Chance eines Bergunfalls habe eine Woche nach dem Verschwinden bei lediglich fünf Prozent gelegen.
Was waren die Gründe für diese Zweifel?
Kurz nach dem Verschwinden von Haub startete die bislang umfangreichste Such- und Rettungsaktion am Matterhorn. Doch Haub wurde nicht gefunden. Es fehlte jede Spur - keine Spuren, die in Gletscherspalten führten, kein Handschuh, keine Mütze, gar nichts. Außerdem wurde das Handy am Morgen seines Verschwindens ausgeschaltet. Die internen Ermittler entdeckten früh Hinweise, die nach Russland führen. In der Nacht zuvor hatte Haub sehr lange mit einer russischen Frau telefoniert, die später von ihnen dem russischen Geheimdienst zugeordnet wurde. In Zermatt tauchte ein "dubioses Pärchen" auf, das die Koordination der Rettungsmaßnahmen im Hotel, wo auch die Familie und die internen Ermittler untergebracht waren, vor Ort beobachtet hat. Auch diese Personen wurden später von den internen Ermittlern dem russischen Geheimdienst zugeordnet. Daraufhin haben die Tengelmann-Ermittler externe Privatermittler engagiert, die in Russland recherchiert haben und etwa die Frau beschatten ließen, mit der Haub vor seinem Verschwinden telefoniert hat.
Haub hatte vor seinem Verschwinden geschäftliche Verbindungen nach Russland …
Ja. Er war mehrfach nach Russland gereist. Tengelmann plante, dort Filialen des Discounters Plus zu eröffnen. Geschäftspartner von Haub waren allerdings Männer, die man guten Gewissens als Geldwäscher bezeichnen kann - Anteilseigner einer Bank, die als "die kriminellste Bank" des Landes bezeichnet wurde. Tengelmann investierte Millionen in das Projekt. Doch keine einzige Filiale wurde eröffnet. Warum hat Haub ausgerechnet mit diesen Partnern ein erfolgloses Joint Venture gegründet? Darüber kann man nur spekulieren.
Aus welchen Gründen vermuten Sie, dass Haub in Russland untergetaucht sein könnte?
Stutzig macht, dass nach der erfolglosen Suche in Zermatt dort auch FBI und CIA aufgetaucht sind, um eigene Recherchen durchzuführen. Haub war oder ist auch US-Bürger. Die von Tengelmann beauftragten Ermittler vermuten, dass er aufgrund seiner dubiosen Russlandkontakte ins Visier der US-Behörden geraten sein könnte. Möglicherweise hätten diese Kontakte zu Schwierigkeiten mit der US-Justiz geführt.
Sie haben mehrere Fotos gesehen, die Haub nach seinem Verschwinden in Moskau zeigen sollen …
Ein Informant hat mir die Fotos gezeigt. Sie sind von guter Qualität. Ein Mann ist aus kurzer Entfernung zu sehen. Dem Informanten zufolge stammen die Fotos aus dem biometrischen Überwachungssystem Moskaus. Dort hängen rund 200.000 Kameras. Die Aussagen unseres Informanten decken sich außerdem mit den Aussagen der internen Tengelmann-Ermittler, wonach man im Februar 2021 sehr sicher war, um Ostern 2021 den finalen Beweis für das Fortleben von Herrn Haub zu erhalten. Zu diesem Zweck hatte man ein israelisch-amerikanisches Unternehmen beauftragt.
Auf den Fotos ist Haub zu sehen?
Das kann ich nicht zweifelsfrei sagen. Der Mann auf den Fotos sieht aber wie Haub aus. Er trägt eine dicke blaue Winterjacke und eine Mütze. Auch wollen Anwohner ihn bei einem Vor-Ort-Besuch von Ermittlern erkannt haben, so hat es die Quelle gegenüber einem Anwalt und mir ausgesagt. Natürlich weiß man in der heutigen Zeit nie, ob es eine Fälschung, beispielsweise mithilfe von Künstlicher Intelligenz, sein könnte. Ein Indiz spricht aber dagegen, dass es sich um eine Fälschung handelt: Christian Haub hatte den internen Ermittlern einen sehr hohen Betrag versprochen, wenn sie einen Beweis für den Tod oder das Weiterleben von Haub liefern. Einen Beweis, der auch von Dritten verifiziert werden kann und gerichtsfest ist. Unseren Recherchen zufolge wurde diese erfolgsabhängige Vergütung ausgezahlt. Eine signifikante Erhöhung der Bilanz im Beratungsunternehmen des Sicherheitschefs kann im Bundesanzeiger nachgewiesen werden. Auf unsere sehr expliziten Nachfragen zu den Fotos und der Bezahlung wollten jedoch weder Christian Haub noch seine internen Ermittler eingehen. Es wird auf ein altes Statement von vor zwei Jahren verwiesen. Was die neuen Entwicklungen betrifft, hüllt man sich in Schweigen.
Warum veröffentlichen Sie die Fotos nicht?
Das würde die Quellen gefährden.
Mit Liv von Boetticher sprach Jan Gänger
Quelle: ntv.de