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Gefahr durch resistente Keime "KI wird Gamechanger in der Antibiotikaforschung"

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"Bakterien werden immer widerstandsfähiger gegen die weit verbreiteten Medikamente."

"Bakterien werden immer widerstandsfähiger gegen die weit verbreiteten Medikamente."

(Foto: picture alliance / Armin Weigel/dpa)

Rund 700.000 Menschen sterben jedes Jahr wegen multiresistenter Keime - Tendenz steigend. Doch Künstliche Intelligenz könnte dabei helfen, neue Antibiotika zu entwickeln. Wie das funktioniert, erklärt Andreas Keller vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS).

Herr Professor Keller, Antibiotikaresistente Keime werden immer mehr zum Problem - warum ist das so?

Antibiotika wurden in den letzten Jahrzehnten sehr viel eingesetzt, zu viel: Nicht nur beim Menschen werden sie zu häufig verschrieben, auch in Fällen, in denen zum Beispiel nur eine Virusinfektion vorliegt und sie unwirksam sind. Auch beim Tier, in den Mastbetrieben, werden viele Antibiotika eingesetzt. Der viele Kontakt der Bakterien mit Antibiotika führt dazu, dass sich sogenannte Multiresistenzen entwickeln: Bakterien werden immer widerstandsfähiger gegen die weit verbreiteten Medikamente.

Schon heute sterben jährlich weltweit 700.000 Menschen wegen multiresistenter Keime, schätzen Experten. Bis 2050 könnte diese Zahl Prognosen zufolge auf 10 Millionen steigen. Doch eigentlich könnten wir das verhindern, und hier kommen wir zu den Möglichkeiten: Wir könnten mit neuen Antibiotika aufrüsten. Denn in den letzten Jahren wurden in zehntausenden Proben aus dem Umfeld von Menschen, Tieren oder aus der Umwelt durch Deep Sequencing genetisch entschlüsselt. Dabei wurden etliche Tausend potenzielle neue Naturstoffe gefunden, die sicherlich auch Antibiotika-Kandidaten beinhalten …

… die auch gegen multiresistente Keime wirken?

Ja, davon ist auszugehen. Allerdings wurden in den letzten Jahren die Forschungsinvestitionen vor allem vonseiten der Pharmakonzerne stark zurückgefahren. Mit Zunahme der Resistenzen könnte das tatsächlich auf eine medizinische Katastrophe hinauslaufen.

Warum investieren die Firmen nicht in den Bereich, wenn der Bedarf so groß ist?

Das hat verschiedene Gründe, die zusammenkommen: Einerseits sind Antibiotika wenig einträglich, denn in der Regel werden sie nur für ein paar Tage gegeben, dann sind die Erreger besiegt und sie werden nicht mehr gebraucht. Im Vergleich zu Medikamenten gegen chronische Krankheiten lässt sich mit Antibiotika eher wenig Geld verdienen. Hinzu kommt der Entwicklungsaufwand. Alleine unsere tausenden neuen Naturstoffe herzustellen und auf Wirksamkeit zu testen, ist mit herkömmlichen Methoden fast unmöglich.

Also keine Besserung in Sicht?

Ich bin überzeugt, dass KI ein Gamechanger in der Antibiotika-Forschung werden wird. Damit lässt sich die Suche nach den wirksamen Antibiotika unter den Naturstoffen enorm beschleunigen und damit die Entwicklung billiger und schneller machen. Das HIPS und die Universität des Saarlandes haben das Projekt NextAID ins Leben gerufen, das ist die Abkürzung für "Neuro-explicit AI for Drug Discovery". Inzwischen kooperieren wir unter anderem auch mit dem Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit, kurz CISPA, gestern erst haben mein geschätzter Kollege Jilles Vreeken vom CISPA und ich uns wieder getroffen dazu.

Wie genau hilft Künstliche Intelligenz bei der Suche nach den passenden Antibiotika?

Zurzeit hilft sie vor allem beim Priorisieren, und das ist schon ein entscheidender Vorteil. In der Praxis funktioniert das so: Wir füttern die KI mit Daten über die Keime, ihre genetischen Eigenschaften, molekularbiologische Wirkungen, die Oberflächenstruktur der Zellen und wie sie auf verschiedene bekannte Antibiotika reagieren. Die Eigenschaften der Antibiotika "kennt" die KI ebenfalls. Dann berechnet sie daraus die Wahrscheinlichkeiten, welche Abwehrmechanismen zu Resistenzen führen und welche Naturstoffe am ehesten fähig sind, diese zu umgehen oder zu durchbrechen. Dann bekommen wir vom Computer zum Beispiel eine Top-20-Liste derjenigen Naturstoffe, die nach KI-Berechnungen am wahrscheinlichsten geeignet sind, bestimmte multiresistente Keime zu knacken.

Damit die KI hier tatsächlich vielversprechende Substanzen in die Liste aufnimmt, muss sie ja zunächst mit einigen Daten gefüttert werden. Müssen diese Daten nicht auch erst erhoben oder zumindest in eine Form gebracht werden, dass die KI damit etwas anfangen kann?

Es stimmt, grundsätzlich gilt: Je mehr Daten wir der KI - in der richtigen Qualität natürlich - geben, desto besser wird ihre Priorisierung. Hier kommt uns eine Entwicklung in der internationalen Forschung entgegen: Der Trend geht stark hin zu mehr Datenaustausch nach dem sogenannten FAIR-Prinzip, das steht für Findable, Accessible, Interoperable und Reusable. Zusätzlich wird Federated Learning eingesetzt: Dabei trainieren verschiedene Einrichtungen KI Modelle mit ihren Daten und helfen so dabei, ein robusteres Modell zu erstellen. Klar, das Sammeln der Daten und das Trainieren dauert auch erst einmal ein bis zwei Jahre. Aber selbst wenn man diese Zeit mit einberechnet, kann KI trotzdem noch eine enorme Zeitersparnis bringen.

An Antibiotika gegen welche Erreger arbeiten Sie aktuell?

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Weiterlesen: Das ganze Interview finden Sie auf helmholtz.de

Quelle: ntv.de, Mit Andreas Keller sprach Christian Heinrich

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