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"Nie zuvor auf so was gestoßen" Ukraine: Hochresistente Keime breiten sich in Kliniken aus

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Die besonders angespannte Situation in ukrainischen Krankenhäusern seit Beginn des Krieges führt zur Ausbreitung von hochresistenten Keimen.

Die besonders angespannte Situation in ukrainischen Krankenhäusern seit Beginn des Krieges führt zur Ausbreitung von hochresistenten Keimen.

(Foto: picture alliance / AA)

Nichts hilft mehr: Jährlich sterben mehr als eine Million Menschen weltweit an multiresistenten Keimen. Forschende aus Schweden untersuchen nun Proben aus ukrainischen Krankenhäusern. Dort tragen Infizierte multiresistente Bakterien in sich, die sogar Fachleute überraschen.

Nach einem Hilferuf aus der Ukraine haben sich Forschende aus Schweden aufgemacht, um Proben von Kriegsverletzten in Krankenhäusern zu nehmen. Das Team um den Bakteriologen Kristian Riesbeck reiste zwischen Februar und September 2022 mehrfach in das kriegsgebeutelte Land und entnahm in drei Krankenhäusern Proben Patienten und Patientinnen. Alle standen im Verdacht, unter einer bakteriellen Infektion zu leiden. Neben 131 schwerverletzten Soldaten und Zivilisten waren auch acht Kinder mit Lungenentzündungen unter den Patienten.

Wegen des Ressourcenmangels in der Ukraine wurden die Proben in den Laboren der Universität Lund untersucht. Dabei fanden die Infektionsmediziner eine hohe Zahl an besonders resistenten Bakterien. "Ich bin ziemlich dickhäutig und habe zahlreiche Situationen mit Patienten und Bakterien miterlebt. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nie zuvor auf so resistente Bakterien gestoßen bin", sagte Riesbeck zu den Ergebnissen der Untersuchung laut Mitteilung der Universität Lund. Obwohl die Forschenden bereits in Indien und China auf ähnliche Fälle gestoßen seien, sei nichts vergleichbar mit dem in dieser Studie beobachteten Ausmaß an Resistenzen.

Auch Notfall-Antibiotika richten nichts mehr aus

Auch das Breitband-Antibiotikum Colistin, das als letztes Mittel bei einer Reihe von Resistenzen zum Einsatz kommt, konnte bei fast zehn Prozent der Proben nichts mehr ausrichten. Sogar ein noch nicht auf dem Markt zugelassenes Präparat, das in die Enzyme von Erregern eingreift, konnte den Erregern in mehreren Proben nichts anhaben. "Bis zu sechs Prozent aller Proben enthielten Bakterien, die gegen jedes von uns getestete Antibiotikum resistent waren", wird Riesbeck weiter zitiert.

Die Forschenden fanden in den Proben die Nachweise für verschiedene multiresistente Bakterienstämme. Insgesamt wurde die Wirkung von sechs verschiedenen Antibiotika auf die Erreger getestet. Als besonders besorgniserregend stufte Riesbeck die hohe Resistenz des Bakteriums Klebsiella pneumoniae ein. "Das hatten wir nicht erwartet. Obwohl in China Einzelfälle dokumentiert wurden, übersteigt das alles, was wir bisher gesehen haben", sagt Riesbeck.

Der Erreger, der quasi überall im menschlichen Körper auftreten kann, ist relativ selten. Das Besondere: Er kann nicht nur bei immunschwachen, sondern auch bei gesunden Menschen zu Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen, Blutvergiftungen und Gehirnhautentzündungen führen.

Die Fachleute gehen davon aus, dass sich alle Infizierte im Krankenhaus mit den multiresistenten Bakterien angesteckt hatten. Als Gründe werden die vorherrschenden Überlastungen und zerstörte Infrastrukturen in dem kriegsgeschädigten Land genannt. Wie es genau zum besonders großen Ausmaß an Multiresistenzen in ukrainischen Krankenhäusern gekommen ist, konnte mit dieser Untersuchung nicht geklärt werden.

Resistenzen sind nicht aufzuhalten

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Die Bildung von Antibiotikaresistenzen ist eigentlich ein natürlicher Vorgang. Doch je mehr Antibiotika im Kampf gegen Krankheitserreger zum Einsatz kommen, wie in Krankenhäusern oder in der Landwirtschaft, umso häufiger bilden Bakterien Resistenzen aus. Diese stellen seit Jahrzehnten weltweit ein Problem dar, das viel zu oft tödlich endet. Rund eine Million Menschen sterben wegen multiresistenter Keime. Ein Großteil davon infiziert sich in Kliniken damit. Forschende suchen deshalb händeringend nach wirksamen Mitteln und rufen zudem zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Antibiotika auf.

Die Ergebnisse der Studie, die im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlicht wurden, zeigen deutlich, wie sich Kriegszeiten sowohl auf die Ausbreitung als auch auf die Resistenzen solcher Keime auswirken können. Riesbeck betont deshalb, dass nicht nur militärische Hilfe für die Ukraine wichtig sei, sondern auch die Bereitstellung von Ressourcen, um die resistenten Keime in Krankenhäusern in den Griff zu bekommen. Es bestehe zudem die Gefahr, dass diese sich über den gesamten europäischen Raum ausbreiten könnten.

Quelle: ntv.de, jaz

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