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Späte Mütter "Auswuchs des Übermaßes"

Frauen können heute mit Hilfe moderner Verhütungsmethoden selbst entscheiden, wann sie ein Kind bekommen.

Frauen können heute mit Hilfe moderner Verhütungsmethoden selbst entscheiden, wann sie ein Kind bekommen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Selma Hayek, Holly Hunter und Gianna Nannini gehören dazu. Alle sind späte Mütter und stolz darauf, ihre Kinder jenseits der 40 bekommen zu haben. Aber nicht nur Prominente entscheiden sich erst spät im Leben für ein Kind. Späte Mutterschaft scheint ein gesellschaftlicher Trend zu werden, zumindest in einer bestimmten sozialen Schicht, sagt die Medizin-Psychologin Dr. Beate Schultz-Zehden in einem Gespräch mit n-tv.de.

n-tv.de: Frau Schultz-Zehden, wenn wir hier von späten Müttern reden, ist noch nicht klar, ab welchem Alter eine Frau eine späte Mutter ist. Können Sie uns aufklären?

Gianna Nannini wurde mit 54 Jahren Mutter. Auf ganz ganz natürlich Art und Weise, sagt sie selbst.

Gianna Nannini wurde mit 54 Jahren Mutter. Auf ganz ganz natürlich Art und Weise, sagt sie selbst.

(Foto: picture alliance / dpa)

Schultz-Zehden: Das Alter für späte Mütter ist nicht eindeutig festgelegt. In Deutschland bekommen die Frauen im Schnitt ihr erstes Kind zwischen dem 30. und 31. Lebensjahr. Aus medizinischer Sicht gelten Frauen ab 35 Jahre als Spätgebärende und werden in diesem Alter automatisch als Risikoschwangere eingeordnet. Ich selbst würde die Eingrenzung für die Bezeichnung späte Mütter zwischen 36 und 42 Jahre legen, weil nur ein ganz geringer Prozentsatz von Frauen, die älter sind als 42 Jahre, Kinder bekommen.

Gehören auch Frauen, die im fortgeschrittenen Alter das zweite, dritte oder vierte Kind bekommen, zu den späten Müttern?

Ich denke schon, aber der Unterschied zwischen einer späten Mutter, die beispielsweise ihr drittes Kind bekommt und einer späten Erstgebärenden ist enorm. Eine Frau, die sich um die 40 noch einmal dafür entscheidet, ein Kind zu bekommen, weiß viel besser, worauf sie sich einlässt, als eine Frau, die in diesem Alter ihr erstes Kind bekommt. Erstgebärende um die 40 sind zum ersten Mal mit dem Thema Fremdbestimmung konfrontiert. Bis dahin konnten diese Frauen ihr Leben frei gestalten und müssen sich nun mit einem Kind komplett umstellen. Je länger eine Frau diese Freiheit genossen hat, umso schwerer ist es für sie, sich nach der Geburt eines Kindes vollständig darauf einzulassen.

Wieso entscheiden sich immer mehr Frauen erst spät im Leben für ein Kind?

Nicht nur die Frauen selbst, auch die gesellschaftlichen Verhältnisse haben Auswirkungen, wann sich ein Frau für ein Kind entscheidet. Hier demonstrieren Schwangere für bessere Bedingungen.

Nicht nur die Frauen selbst, auch die gesellschaftlichen Verhältnisse haben Auswirkungen, wann sich ein Frau für ein Kind entscheidet. Hier demonstrieren Schwangere für bessere Bedingungen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Einerseits werden wir immer älter, andererseits ist die Lebensplanung von vielen Frauen so, dass sie sich tatsächlich erst um Ausbildung, Karriere, Partnerschaft, Geldverdienen und ausreichend Freizeitvergnügen und Genuss kümmern, bevor sie sich dann bewusst für ein Kind entscheiden. Viele Frauen wollen also erst einen befriedigenden Lebensstandard erreichen, bevor sie Kinder bekommen. Die modernen Empfängnisverhütungsmethoden machen diese Art von Lebensplanung erst möglich.

Insgesamt ist das Durchschnitts-Alter von Erstgebärenden seit den 1960er Jahren von 25 auf heute fast 31 Jahre angestiegen. Hat das gesellschaftliche Auswirkungen?

Ich denke ja, und zwar gravierende. Leider ist das bisher noch nicht untersucht worden. Ich kann Ihnen das aber am Beispiel der Großelternschaft verdeutlichen. Eine Frau, die mit 40 ihr erstes Kind bekommt, hat wenige Chancen, selbst die Großelternschaft zu erleben oder als Oma zu fungieren, wenn ihr Kind auch erst mit 40 Mutter oder Vater wird. Viele Kinder von Spätgebärenden haben dementsprechend gar keine Großeltern mehr oder diese sind so alt, dass sie die Funktionen von Großeltern nicht mehr übernehmen können. Das ist in einer Zeit, für die nachgewiesen wurde, dass Familie, zu der auch die Großeltern gehören, eine immer größere Rolle spielt, bedenklich.

Viele Prominente bejubeln die späte Mutterschaft und sehen durch mehr Gelassenheit große Chancen für die Kinder. Können Sie dem zustimmen?

Das mag im Einzelfall ja zutreffen, allerdings gibt es auch einige Aspekte, die gegen eine späte Mutterschaft sprechen, abgesehen von der Erhöhung der gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind ab 35. Ich selbst rechne mich zu den späten Müttern. Ich habe eine 16-jährige Tochter und einen 13-jährigen Sohn. Ich bin heute 51 Jahre und bestimmt noch zehn Jahre für das Wohlergehen, die Ausbildung und natürlich die Finanzierung meiner Kinder verantwortlich. Normalerweise gehen die Kinder von Müttern um die 50 aus dem Haus, um ihr eigenes Leben zu führen. Das bedeutet eine große Erleichterung, manchmal sogar Befreiung für die Frauen, die sich in diesem Alter in den Wechseljahren befinden und dadurch schon ganz viel mit sich selbst zu tun haben. Manche Frauen wollen sich in diesem Alter noch einmal ganz neu orientieren. Diese Möglichkeiten haben späte Mütter nicht.

Trotzdem entscheiden sich immer mehr Frauen in Deutschland erst spät, Mutter zu werden. Warum?

Das erste Kind bringt viele Veränderungen mit sich.

Das erste Kind bringt viele Veränderungen mit sich.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das ist richtig. Es gibt nämlich auch Argumente für eine späte Mutterschaft. Zum Beispiel sagen viele Frauen, dass sie durch ihre Kinder jung und aktiv bleiben. Manche wollen sich damit verjüngen und das Älterwerden ausblenden. Man hat als Frau in den Wechseljahren mit Kindern in der Pubertät gar nicht die Möglichkeit, sich auf mögliche Symptome des Wechsels zu konzentrieren. Die Wehwehchen des Alters treten in den Hintergrund. Andere wiederum möchten durch eine späte Mutterschaft ihre eigene Weiblichkeit noch einmal unter Beweis stellen. Auch psychisch fühlen sich viele Frauen im fortgeschrittenen Alter wesentlich stabiler als in jungen Jahren. Viele von ihnen beschreiben den Zustand von tiefer Zufriedenheit in Hinblick auf das vergangene Leben. Aber auch hierzu gibt es keine fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen.

Können Sie diesen Argumenten folgen?

Es gibt sicher einige Frauen, auf die das zutrifft. Andererseits gibt es Frauen, die von sich behaupten, dass sie sich erst mit 40 sowohl körperlich als auch seelisch reif für ein Kind fühlen. Meines Erachtens gaukeln diese Frauen sich selbst und anderen etwas vor. Die Argumentation scheint so ein bisschen aus der Erklärungsnot für die späte Entscheidung entstanden zu sein. Quasi wie eine Entschuldigung so lange mit der Entscheidung gewartet zu haben, bis alles perfekt passt, wie der passende Partner oder die berufliche Karriere. Viele dieser Frauen sind gut ausgebildet, leben sehr bewusst und wissen über die Risiken der späten Mutterschaft Bescheid.

Der Körper einer 40-Jährigen ist nicht mehr so leistungsfähig wie der einer 25-Jährigen. Trotzdem haben viele Frauen den Mut, erst spät Kinder zu bekommen.

Manchmal werden Mütter mit Großmüttern verwechselt. Im Bild eine Leihoma.

Manchmal werden Mütter mit Großmüttern verwechselt. Im Bild eine Leihoma.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das ist wissenschaftlich belegt, dass die Leistungsfähigkeit des Körpers mit zunehmendem Alter abnimmt. Das ist allerdings in unserer Gesellschaft, in der Leistungsfähigkeit als Wert sehr groß geschrieben wird, als Tatsache nur schwer anzunehmen. Zudem fühlen sich viele Frauen um die 40 körperlich nicht alt. Das liegt am Lebensstil, der viel mit Jugendlichkeit, Sport und bewusstem Essverhalten zu tun hat, aber auch an einer Lebenserfahrung, dass alles möglich ist, wenn man es nur will. Ich glaube, das hat weniger etwas mit Mut zu tun, als vielmehr mit einem "jetzt oder nie". Das liegt daran, dass es für Frauen rein biologisch nur eine begrenzte Lebensphase gibt, in der sie Kinder bekommen können.

Welche Auswirkungen hat die späte Mutterschaft denn auf die Kinder?

Leider gibt es auch dazu noch keine Untersuchungen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es auch auf diesem Gebiet viele Auswirkungen gibt. Die nicht vorhandenen Großeltern hatte ich ja bereits angesprochen. Dazu kommt, dass viele späte Mütter vor der Geburt ihres Kindes sehr pragmatisch und planvoll gelebt haben. Dieses Leben wollen viele davon natürlich auch nach der Geburt ihres Kindes nicht aufgeben. Ein durchgeplantes Leben ist mit Kindern nur schwer zu realisieren und so sind Konflikte in vielerlei Hinsicht programmiert. Mütter dagegen, die sich mit der Geburt ihres Kindes für ein Leben ausschließlich als Mutter entscheiden, müssen auch nicht nur förderlich für die Entwicklung der Kinder sein. Oftmals fühlen diese Frauen sich nicht genügend ausgefüllt und haben einen zu hohen Anspruch an das Verhalten ihrer Kinder. Viele von ihnen projizieren ihre Wünsche auf das Kind. Die Nachmittage der Kinder von solchen Eltern sind oftmals vollgestopft mit Terminen und egal, was die Kinder leisten - die Mütter sind nur selten zufrieden damit.

In regelmäßigen Abständen kann man von Müttern jenseits der 50 oder sogar 60 lesen. Was sagen Sie dazu?

Dr. Beate Schultz-Zehden ist Medizin-Psychologin mit eigener Praxis.

Dr. Beate Schultz-Zehden ist Medizin-Psychologin mit eigener Praxis.

Rein biologisch ist die Wahrscheinlichkeit, mit 40 schwanger zu werden, wesentlich geringer als mit 25. Dazu kommt, dass auch die Zeugungsfähigkeit der Männer im höheren Alter abnimmt. Entscheidet sich also ein Paar um die 40, ein Kind zu bekommen, dann klappt das nicht mehr so oft und Verzweiflung macht sich breit. Aus dieser Verzweiflung können Handlungen entstehen, die nicht nachvollziehbar sind. Das ist allerdings ein Phänomen einer bestimmten sozialen Gruppe, die sich dadurch auszeichnet, dass sie gut ausgebildet ist, genügend finanzielle Mittel zur Verfügung und im beruflichen Bereich viel erreicht hat. Prominente gehören auch dazu. Paare, die im Leben erfolgreich sind, wollen quasi als Sahnehäubchen ein Kind zeugen, um eine emotionale Bereicherung zu haben. Diese Menschen besitzen durch den vermeintlichen Erfolg in ihrem Leben ganz oft ein Selbstverständnis von "alles ist möglich". So wird dem Körper etwas abverlangt, das eigentlich gar nicht mehr geht.

Oftmals sogar mit illegalen Mitteln, wie der Eizellenspende …

Das ist richtig. Das Prinzip der Machbarkeit wird auch auf das medizinisch Machbare übertragen. Nicht selten gehen solche Paare auch Wege, die nicht mit dem deutschen Recht vereinbar sind und lassen sich im Ausland für viel Geld behandeln. Für mich ist das ein ungesunder Auswuchs des Übermaßes. Diese Menschen handeln aus meiner Sicht egoistisch und wenig verantwortungsvoll, weil sie nicht an die Zukunft des Kindes denken. Eine der ältesten Mütter der Welt beispielsweise, eine Spanierin, bekam mit 67 Jahren Zwillinge und starb knapp drei Jahre später an Krebs.

Mit Beate Schultz-Zehden sprach Jana Zeh

Quelle: ntv.de

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