Der TagDie gestohlenen Kinder der DDR
Vor acht Jahren hörte der Designer Kilian Kerner zum ersten Mal, dass in der früheren DDR Eltern ihre Kinder weggenommen wurden. Seither lässt ihn das Thema nicht mehr los. Jetzt macht er eine Modenschau daraus. Wie soll das gehen? "Mode hat mit Zwangsadoption oder angeblichem Säuglingstod erstmal gar nichts zu tun", weiß der 46-jährige Fashionweek-Veteran. Seit 2008 ist er dabei, mit zwei Kollektionen im Jahr. Vor einem halben Jahr hieß seine Show in Berlin "Shitstorm", auch nicht gerade Zuckerwatte, und nun die Kinder? Er lächelt: "Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann muss ich es machen. Und je öfter einer fragt, oder zweifelt, desto mehr muss ich das tun." Er war schockiert und zutiefst berührt von dem Thema, ist es noch, und deswegen kommt es nun auf den Laufsteg. Kerner wird seine Zuschauer heute in die Achtzigerjahre versetzen, ihnen die Farben Blau, Silber, Gold, Bordeaux und ein ganz spezielles Grau zeigen. Und Denim. Denn wären Mauerfall und Montags-Demos ein Stoff, es wäre Denim. Jeans aus den USA - das war der Stoff, aus dem die Träume sind.
Zurück zu den Kindern. Eine Doku hat Kerner nicht mehr losgelassen: Ein gesundes Baby wird von staatlichen Stellen für tot erklärt und zur Adoption vermittelt - und die leiblichen Eltern bleiben verwaist zurück, mit dem Trauma dieser Lüge. Jahrelang recherchierte Kilian Kerner, nahm Kontakt zum Verein "Gestohlene Kinder der DDR" auf. Nach seinen Informationen begann dieses dunkle Kapitel in den späten 1950er Jahren: Vermutet werden insgesamt 15.000 Fälle vermeintlicher Säuglingstode und etwa 10.000 Zwangsadoptionen. Besonders unbegreiflich: Aufgeklärt seien bisher nur fünf Fälle angeblich gestorbener Babys. Bei Zwangsadoptionen seien es etwa 20 bis 40 Fälle, erzählt er ntv.de. Es gibt eine Studie des Bundesinnenministeriums (2021), die Ergebnisse sollen Anfang 2026 vorliegen. Die "politisch motivierte Kindeswegnahme" steht - natürlich - oft im Zusammenhang mit politischer Haft oder Ausreisebegehren der Eltern.
Aber Moment mal, Mode und DDR, nicht gerade das, was man von diesem Designer, der von Stars wie Kylie Minogue und Jella Haase getragen wird, der gern glamourös schneidert und andere glitzern lässt, erwartet. Aber er sagt: "Ich habe viel über die Mode in der DDR recherchiert. Die hatten echt glamouröse Klamotten, total faszinierend." Trotzdem: Diese Show heute wird keine wie sonst, es wird Momente geben, die nicht angenehm sind. Dass Kerner seine Mode mit diesem ernsten Thema promotet ist übrigens ein alberner Vorwurf - denn er zeigt nicht nur, was er kann, er stellt auch Forderungen: Dass eine DNA-Bank eingerichtet wird, dass es den Eltern, die Zweifel haben, erlaubt wird, die Adoptionsakten einzusehen. Das dürfen nur die Kinder. Und dass sich Zeitzeugen melden. "Es geht mir nicht um finanzielle Gutmachung oder Bestrafung, das Ganze ist eh verjährt", sagt er, aber wenn heute ein Anstoß dazu gegeben werden würde, ein paar mehr Fälle aufzuklären, das fände er schön.