Sinnlos, unnötig und zermürbend Haben Sie einen Bullshit-Job?
05.10.2018, 13:18 Uhr
Fällt es Ihnen schwer, Ihre Tätigkeit in einem Satz zu beschreiben? Haben Sie einen sehr langen Jobtitel? Könnten Anzeichen für einen Bullshitjob sein.
(Foto: picture alliance / Nicolas Armer)
Ist ein Großteil von uns verdammt, seine Zeit auf der Arbeit mit sinnlosen Tätigkeiten zu verbringen? Diesen Eindruck hat jedenfalls Bestseller-Autor David Graeber. Was ist mit Ihnen?
Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Während Sie das hier lesen, sind Sie da gerade bei der Arbeit? Falls ja, gibt es jetzt mehrere Möglichkeiten. Sie fangen erst noch an, haben bald Feierabend, entspannen sich kurz zwischen zwei Aufgaben, oder aber - und damit wären wir bei unserem Thema - Sie haben absolut keine Ahnung, was Sie als Nächstes Sinnvolles tun könnten, um den Arbeitstag irgendwie hinter sich zu bringen. Dann könnten Sie in einem Bullshit-Job gefangen sein.
Den Begriff hat sich David Graeber ausgedacht. Der Bestsellerautor von Büchern wie "Schulden" oder "Inside Occupy" meint damit berufliche Tätigkeiten, die so vollkommen sinnlos und unnötig sind, dass selbst diejenigen, die sie ausführen, ihre Existenz nicht rechtfertigen können. Gleichzeitig fühlen sie sich verpflichtet, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.
Der Anthropologe, der sich als aktiver Anarchist vor allem mit unserer modernen, kapitalistischen Gesellschaft auseinandersetzt, hat sich diesmal unsere Arbeitswelten angeschaut. Seine Beobachtung: Besonders in Branchen wie Finanzdienstleistungen, Telefonwerbung, in der Hochschul- und Gesundheitsverwaltung oder im Mittleren Management großer Unternehmen ist ein Großteil der Arbeitnehmer dazu verdammt, absolut sinnlosen Tätigkeiten nachzugehen. Was sie dazu treibt? Die Angst ohne Sicherheit und Geld dazustehen. "Und eine seit Tausenden Jahren bestehende Arbeitsmoral, nach der Faulheit bestraft werden muss", sagt Graeber im Interview mit n-tv.de.
Als er im Jahr 2013 einen Essay mit dem Titel "Über das Phänomen der Bullshit-Jobs" veröffentlicht, ist das Echo überwältigend: Der Artikel verbreitet sich in Windeseile, wird in mehrere Sprachen übersetzt, und Hunderte Menschen schreiben Graeber persönlich an. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov führt auf Grundlage des Essays in Großbritannien eine Umfrage durch. Ergebnis: 37 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass ihre Arbeit keinen sinnvollen Beitrag zur Welt leistet. Graeber fängt an, der Sache weiter nachzugehen. Das Ergebnis ist das Buch "Bullshit-Jobs".
Alles nur Fassade
Graeber unterscheidet darin "Bullshit-Jobs" penibel von "Scheißjobs", die meist nicht von Angestellten mit Monatsgehältern, sondern von stundenweise bezahlten Arbeitern ausgeführt werden. Wer einen Scheißjob hat, arbeitet oft hart, ist unterbezahlt und wird häufig gedemütigt, weiß aber, dass er grundsätzlich etwas Nützliches tut. Wie zum Beispiel Beschäftigte in der Gastronomie. Inhaber von Bullshit-Jobs werden dagegen oft gut bezahlt und sitzen dennoch nur den ganzen Tag in Gremiumssitzungen herum.
Da kann man sich doch nicht beschweren, könnten Sie jetzt einwenden. Doch die Beispiele, die Graeber anführt, zeigen: Die psychische Belastung, die entsteht, wenn man ständig eine Fassade der Geschäftigkeit aufrecht erhalten muss, ist enorm. Und verstärkt sich noch, wenn die Inhaber von Bullshit-Jobs als Leistungsträger der Gesellschaft angesehen werden, sich jedoch bewusst sind, dass sie eine Lüge leben. Wie etwa die Mitarbeiter angesehener EU-Behörden, die oft hart gearbeitet haben, um einen Posten zu ergattern, der sie dann zum Nichtstun verdammt.
Wie wollen wir arbeiten und leben?
Ja, man kann Graeber vorwerfen, sich in seinem Buch an zu vielen Fallbeispielen aufzuhalten oder amüsiert beobachten, wie Wirtschaftsblätter, Unternehmer und Manager sich erregen, dass niemals Firmengelder für Angestellte ausgegeben würden, die nicht gebraucht werden. Richtig ist: Nach der Lehre des reinen Kapitalismus gibt es kein Geld für sinnlose Tätigkeiten. Dem würde so mancher Sanierer und nicht zuletzt Graeber selbst zustimmen - und doch gehen immer mehr Menschen sinnlosen Tätigkeiten nach.
Warum sind wir zu einer Gesellschaft geworden, in der Arbeit an sich ein Selbstzweck geworden ist, egal, ob sie Sinn und Freude stiftet oder nicht? Warum beharren wir auf regelmäßiger Arbeit im 8,5-Stunden-Rhythmus, wo doch viele Aufgaben in einem Schwung von Geschäftigkeit erledigt werden könnten und danach Pause zur Erholung angesagt wäre? Warum schaffen wir in Unternehmen und Organisationen Stellen, die jahrelang mit unglücklichen Menschen besetzt werden, bis Sparmaßnahmen eben diese Posten hinwegfegen, ohne dass hinterher etwas fehlt?
Es ist höchste Zeit, über diese Themen nachzudenken, denn künstliche Intelligenz und Robotik werden viele nützliche Tätigkeiten, wie das Abholen des Hausmülls oder das Auffüllen von Ladenregalen, für die Gesellschaft übernehmen. Gleichzeitig werden wir vermutlich nicht alle Programmierer werden, die diese künstlichen Wesen gebären und füttern können. Aber es gäbe genug Sinnvolles zu tun in unserer Gesellschaft.
Pfleger in allen Formen, Wissensvermittler, Künstler, die den Blick auf die Welt verändern, sie alle werden auch in Zukunft gebraucht - ergänzen Sie die Liste gerne weiter. Doch hier müssen wir die Bezahlungen dringend anpassen. Oder, wie von Graeber vorgeschlagen, mit dem bedingungslosen Grundeinkommen aufstocken. Vielleicht werden dann nicht alle mit preußischer Arbeitsmoral 45 Stunden oder mehr die Woche arbeiten wollen. Aber wirklich arbeiten tun die Menschen, die in Bullshit-Jobs gefangen sind, auch nicht. Was meinen Sie?
Quelle: ntv.de