
Gaslighting - das bildest du dir alles nur ein!
(Foto: imago/Panthermedia)
Selbstzweifel und Angst sind nur zwei Folgen von Gaslighting - jener geschickten Manipulation, die einer Gehirnwäsche gleichkommt. Unsere Kolumnistin über ihre Erfahrungen mit Gaslighting und wie man sich dagegen wehrt.
"Gas... was? Was is'n das? Wenn man seine Pupse anzündet?", fragt so mancher, der den Begriff Gaslighting zum ersten Mal hört. Das mag auf Anhieb vielleicht ganz witzig klingen, aber es handelt sich hierbei nicht um das Ankokeln der Flatulenz, sondern um eine der perfidesten Manipulations-Methoden, die Betroffene extrem verunsichert. Einmal in diesen Strudel geraten, werden die eigenen Erinnerungen und Gefühle ständig hinterfragt.
So mancher Leser mag den Begriff womöglich noch nie gehört haben, dabei ist einer Studie zufolge jeder Dritte schon einmal mit Gaslighting in Berührung gekommen, ohne zu ahnen, was das eigentlich ist, was ihm da widerfährt. Da ist zwar dieses diffuse Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt, aber weil man es nicht genau begründen kann, versucht man es loszuwerden, indem man es ignoriert. Wenn Gaslighting erkannt wird, ist es meistens schon zu spät und man steckt mittendrin in diesem Teufelskreis.
Das miese Spielchen mit den Zweifeln
Meist beginnt alles, wie bei folgender Geschichte, harmlos.
Ich hatte gerade mein Literaturstudium begonnen und war froh, in den labyrinthischen Gängen der Uni überhaupt den Seminarraum zu finden. Schnell freundete ich mich mit einer Kommilitonin an. Eine lustige Französin, die die Hosenträger ihres Großvaters auftrug und prima Referate über die Wiener Moderne hielt. Ich war sofort ein bisschen schockverliebt in dieses vermeintlich so warmherzige Persönchen. Wir lernten zusammen, gingen gemeinsam tanzen und machten auch sonst allerlei Quatsch.
Und so begann es: Zuerst waren es nur Verabredungen, zu denen sie zu spät oder gar nicht kam. Und sie sagte: "Wir haben es doch auf Mittwoch verschoben, weißt du nicht mehr?" Ich schüttelte den Kopf, sie half mir auf die Sprünge: "Du hast in der Küche 'ne Apfelsine geschält!" Ich erinnerte mich zwar an das Apfelsinenschälen, aber das war es auch schon.
Verpatzte Verabredungen, versemmelte Kleidungsstücke, es nahm immer größere Ausmaße an. Immer hieß es nur: "Ach, du Schusselchen, in deinem Gehirn sieht es aus wie auf deinem Schreibtisch! Deine Erinnerung spielt dir mal wieder einen Streich." Und genau das war es: Sie hatte recht! Mein Schreibtisch ist das reinste Chaos und ich bin immer etwas verpeilt. Auch mein Zeitgefühl ist die reinste Katastrophe.
Manchmal schlief ich nachts mit dem Gefühl ein, eine schlechte, unaufmerksame Freundin zu sein. Dass ich manipuliert wurde, dass diese Kommilitonin Gaslighting betrieb und mich gezielt verunsicherte, darauf wäre ich zu diesem Zeitpunkt nie gekommen. Zu gewieft ihre Art, zu undurchschaubar ihre Psycho-Spielchen unter dem Deckmäntelchen der Freundschaft.
Ich - die Verpeilte, die Zerstreute

Gaslighting ist eine Form der emotionalen Manipulation, die oft von Menschen ausgeübt wird, die uns nahestehen, wie etwa (vermeintliche) Freundinnen.
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Verschwundene Autoschlüssel, die plötzlich an Stellen wieder auftauchten, an denen ich schon geschaut hatte, Portemonnaies unterm Autositz, halbleere Milchtüten - es waren stets diese nach außen hin banalen Kleinigkeiten. Jede für sich nicht der Rede wert, doch es war deren Häufigkeit, die mich kirre machte. Und immer suchte ich die Schuld bei mir, dachte, ich sei diejenige, die ständig was durcheinanderbringt.
Im Nachhinein war es mir unangenehm, wenn ich sie anmotzte und sagte: "Du kannst doch in der Mail an den Prof nicht einfach meinen Namen mit reinschreiben!" Aber ihre Erklärungen waren stets so einleuchtend, dass ich mich dafür schämte, auch nur im Geringsten an ihr gezweifelt zu haben. "Nach der Aktion müsste ich eigentlich sauer auf dich sein! Ich glaub, du hast 'ne ganz schön blühende Fantasie, bisschen zu blühend vielleicht."
Und so gingen ihre Psycho-Aktionen, um es mit Dschungel-Yottas Worten zu sagen, "immer weiter und weiter und weiter". Einmal, als wir gemeinsam verreist waren, vergaß ich morgens Wasser in die Kaffeemaschine zu füllen, das Teil stand auf dem Gasherd. Ja, so bin ich, ohne Kaffee im Blut penne ich noch eine halbe Stunde im Stehen weiter. Damit mir ein solches Malheur nicht erneut passiert, bereitete ich den Kaffee am Vorabend extra vor. Am nächsten Morgen: kein Wasser in der Kaffeemaschine! Ich machte ein ziemliches Fass auf und jeder Außenstehende mag vielleicht sagen, spätestens jetzt hätte ich die Spielchen durchschauen müssen, doch sie wickelte mich wie immer äußerst geschickt um den Finger: Diesmal aber blieben die Zweifel.
In den Semesterferien fuhren wir in die Bretagne. Es waren wunderbare Tage, es roch nach Sommer und frischem Gras und der Himmel war oft orange. Ich flutete meine manipulierten Gehirnwindungen mit dem besten Rotwein direkt aus der Gegend. Ich schluckte einfach alles runter. Kein Streit hieß keinen Stress, bloß nicht auf Ungereimtheiten rumkauen, à votre santé! Die Art, wie sie lachte, wie sie auf Französisch schimpfte oder France-Gall-Songs in die Weinflasche sang - sie war wie der Rotwein, den wir soffen: magnifique.
Ich ahnte nicht, dass eine Beobachtung, die ich während unseres Aufenthalts machte, bald von besonderer Bedeutung werden sollte.
Die scharlachrote Strickjacke
Irgendwann, das Semester hatte wieder begonnen, saßen wir zwischen zwei Seminaren auf der Wiese vor der Uni und eine Studentin scharwenzelte an uns vorbei. "Jetzt guck sich einer diesen verdammt coolen Beutel an", sagte ich, "genau dieselbe Farbe wie die Strickjacke von dieser Frau in der Bretagne. Wie nennt man diese krasse Farbe: scharlachrot, oder?" Doch kein Wort von ihr zu dem leuchtenden Rot. Stattdessen fragte sie äußerst skeptisch: "Welche Frau?" Und: "Man könnte echt glauben, du leidest langsam unter Realitätsverlust."
Ich wurde richtig ungehalten. "Na die Frau vom See! Die, die die Enten gefüttert hat!" Aber sie zog nur die Stirn in Falten. "Hä? Da war aber keine Frau!" Sie kicherte über das Scharlachrot, als sei ich jetzt wirklich komplett plemplem geworden und die Leute mit den Zwangsjacken schon auf dem Weg zu mir.
Und da hatte ich sie! Das war der Beweis für ihre miesen Spielchen. Ich hatte vom Fenster der Pension, in der wir wohnten, beobachtet, wie sie mit der Frau geredet hatte. Und ich spürte, wie ertappt sie sich fühlte, als ich es erwähnte. Jedes Wort, um sich aus der Nummer rauszuwinden, machte es nur schlimmer: "Achsooooo, dieeee!" Oder: "Da muss man ja nun nicht gleich so ein Fass aufmachen." Sie hatte sich selbst enttarnt.
Die Frage nach dem Warum
Wir fetzten uns wie die Verrückten, auf dieser Wiese vor der Uni. In den Tagen darauf rieselte es mir wie Schuppen von den Augen. Ich wollte sie konfrontieren, meine Beweise auf den Tisch packen, aber es ist in den meisten Fällen nicht nur kräftezehrend, mit Gaslightern zu diskutieren, sondern vor allem absurd. Denn was soll passieren? Dass der Gaslighter den Schwindel zugibt? Unwahrscheinlich.
Wir haben nie wieder ein Wort miteinander gewechselt. Die Distanz schaffte wieder Klarheit. Was länger blieb, waren das Warum, das Schuldgefühl, ihr nicht eher auf die Schliche gekommen zu sein und die Schwierigkeit, neuen Freunden Vertrauen zu schenken. Mit polizeilicher Spürnase prüfte ich jede noch so kleine Geschichte nach, denn: Sie könnte ja gelogen sein!
Es gibt viele verschiedene Formen von Gaslighting, sie finden in nahezu allen Bereichen zwischenmenschlicher Beziehungen statt: in Freundschaften, in Familien, in der Liebe. Am gefährlichsten sind die Manipulationen, die systematisch auf die Zersetzung des Selbstbewusstseins des Partners abzielen. Besonders intrigant: Gaslighting am Arbeitsplatz, das Kleinhalten von Arbeitnehmern, subtiler Psycho-Terror in Kombination mit Mobbing, das gezielte Vorhaben, Menschen an ihrem Verstand, ihren Fähigkeiten und ihrem Gedächtnis zweifeln zu lassen. Denn Zweifel, schlimmer noch, Selbstzweifel halten den Arbeitnehmer in Schach.
Es sind pervertierte Auswüchse narzisstischer Egos, die als "revolutionäre Psycho-Taktiken" in Manager-Etagen gefeiert werden, während "die Teppichetage" krankt. Dass hinter dem Begriff Gaslighting eine strategische wie langfristige Manipulation steckt, wird vielen Betroffenen viel zu spät bewusst, in nicht seltenen Fällen auch gar nicht.
Anzeichen für Gaslighting am Arbeitsplatz:
- In Meetings, in denen Sie ein Thema erörtern, spielt der Chef/Kollege mit seinem Handy, unterhält sich oder lacht mehrmals laut auf, als sei das, was Sie sagen, unerheblich. Ganz subtil wird so der Versuch einer Demotivierung und Demoralisierung unternommen.
- Ihr Vorgesetzter gibt Ihnen ein paar vage Anweisungen, deren Ausführung im Grunde unmöglich ist. Obwohl Ihnen das vollkommen klar ist, versuchen Sie es dennoch. Das Ziel: Ihnen die Verantwortung für das Scheitern in die Schuhe zu schieben, mit der Ansage, wegen Ihrer Unfähigkeit (richtig zuzuhören) müssten nun alle Kollegen Ihren Schlamassel ausbaden.
- Sätze wie: "Das habe ich nie gesagt", "Ihre Erinnerung spielt Ihnen wohl einen Streich", "Sie sind aber empfindlich!", sollten Sie ins Grübeln bringen!
- Ihre Idee oder Ihr Vorschlag, die Sie dem Kollegen/Chef unterbreiten, wird als unausgegoren bewertet. Später im Meeting wird Ihre Idee plötzlich als die eigene verkauft. Wenn Sie Ihr Gegenüber nun konfrontieren, heißt es: Ihre Idee sei vielleicht ähnlich, aber doch eine andere gewesen, womöglich stimme mit Ihrer Wahrnehmung etwas nicht.
- Wenn Sie sich beschweren wollen, konfrontiert man Sie währenddessen mit etwas völlig anderem, was angeblich ein viel gravierenderes Problem sei, als das, was Sie da gerade beschäftigt. Sie, das Sensibelchen, dem eine Laus über die Leber gelaufen ist. Es fallen Sätze wie: "Niemand außer mir ist noch auf Ihrer Seite. Die Kollegen halten es schon gar nicht mehr aus mit Ihnen."
- Ihre in einem Meeting unterbreiteten Vorschläge werden wiederholt und dabei so umformuliert, dass sich deren Bedeutung komplett ändert. Wenn Sie versuchen, den Kollegen/Chef zu korrigieren, wird Ihnen vorgeschlagen, unbedingt zu lernen, "nicht um den heißen Brei herumzureden und sich klar auszudrücken".
Der Glaube an sich selbst
Achtsamkeit und das Vertrauen in sich selbst machen es Gaslightern schwer. Es ist wichtig, auf seinen Instinkt zu hören. Ein unwohles Bauchgefühl hat einen Grund, man sollte es nicht ignorieren, indem man sich bequatschen lässt. Zweifel haben fast immer eine Berechtigung, der beste Schutz vor Gaslighting ist der Glaube an sich selbst.
Die Frau in der scharlachroten Strickjacke - SIE WAR DA!
Quelle: ntv.de