
Silke Haller (Christine Urspruch) hilft Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) dabei, die Ritterrüstung anzulegen - eine Szene aus dem "Tatort: Es lebe der König!"
(Foto: picture alliance/dpa/WDR)
Unser Kolumnist hat eine Pseudokolumne geschrieben, die noch wirrer ist als all seine Werke zuvor. Sie enthält keine Botschaft. Aber genau das macht sie so wertvoll. Man muss sie nur richtig lesen (können). Das klingt verrückt - und ist es auch. Damit passt sie zu dieser irren Zeit.
Wenn Sie diese Pseudokolumne lesen, selbst wenn es, sagen wir, drei vier Tage nach Erscheinen passiert, werde ich noch immer den Schlaf der Gerechten schlafen und von einer besseren Welt voll Friede, Freude, Eierkuchen träumen, wobei die Betonung auf Letzterem liegt, da auch an mir der Egoismus nicht spurlos vorübergegangen ist in Zeiten des fiesen Virus. Den Eierkuchen für mich, Friede und Freude teile ich gerne. Das zu Ihrer Information: Ich befinde mich demnächst - nach dem Korrekturlesen geht es sofort ins Bett - im Dauerschlaf.
Nicht, weil ich der Regierungspropaganda verfallen und zum Schlafschaf mutiert bin oder zu viel Pfälzer Riesling bewältigt habe. Nicht, weil das Leben eines formidablen Sehr-Gutmenschen, der ich zweifelsohne bin, sehr anstrengend ist, sondern weil ich gerade vier Tage nonstop meine TV-Lieblingskrimiserie gesehen habe. Ich meine die, in der der staatlich angestellte Leichenbegutachter mit einer Frau zusammenarbeitet, die ich in meiner Kindheit Zwerg oder Zwergin genannt hätte, was damals noch ging, weil die Grünen noch nicht gegründet worden waren und das Zwergenwerfen noch einige Popularität genoss. Heute sage ich selbstverständlich Kleinwüchsige.
Der Leichenbeschauer in meiner TV-Lieblingskrimiserie ärgert die Kleinwüchsige ständig. Das ist lustig, da kann man doll lachen - auch wenn ich permanent staune, warum die Frau nicht kündigt und dem Professor sagt: "Fick dich, Alter! Mach deinen Scheiß selbst!", aber auch darüber, dass sich keine engagierte Feministin oder wenigstens der Verband der Mobbing-Opfer darüber beschwert, wie gehässig der Mann mit seiner Angestellten umgeht. Meine absolute Lieblingsstelle in meiner TV-Lieblingskrimiserie habe ich mindestens hundertmal gesehen, immer wieder zurückgespult. Sie ist ein feiner Fingerzeig, eine ironische Warnung vor - keine Ahnung. Egal, es ist lustig! Hauptsache, wir lachen alle mal wieder in diesen ernsten Zeiten.
Der König des Seziersaals
Der Professor sagt in der Szene zur Kleinwüchsigen: "Ich möchte keinen unnötigen kritischen Disput führen, der uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen, die ich im Seziersaal verkünde. Hören Sie nicht auf verantwortungslose und menschenverachtende Ärzte und Wissenschaftler, die zu anderen Schlüssen kommen als ich und nicht über meine sehr witzigen Witze lachen. Schließlich weiß nur ein einziger Spezialist auf der Welt, was gut für Leichen ist und was witzig ist. Das bin ich selbst." Das ist echt komisch, finden Sie nicht auch?
Ich habe es genossen, weshalb ich nicht ausmachen konnte, eine Folge nach der anderen sehen musste, so gebannt war ich vom Sog dieser erstklassigen Mischung aus Kriminalfall und Humor. Und genau deshalb bin ich soooooo müde, auch ein bisschen durcheinander und vielleicht von allen guten Geistern verlassen, dass ich fürchte, wenn das zu viele lesen, von der falschen Seite beklatscht zu werden, wo immer diese sich gerade befindet.
Sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich mich ab und an verirre und Zeug schreibe, das keinen Sinn ergibt, dass meine Botschaft im Dunkeln bleibt - es ist keine Absicht, ich kann nicht anders und nur hoffen, von Maybrit Illner, Judith Rakers und Giovanni die Lorenzo eingeladen zu werden, damit ich mich und meine Pseudokolumne erklären kann: "Ich wollte Räume öffnen, so würde man vielleicht im Fußball sagen. Es betrifft mich ja auch, weshalb ich frage: Für wen kann ich nützlich sein? Wem kann ich eine Stimme geben, der keine hat? Ich frage mutig im vollen Bewusstsein, in eine framingartige Situation zu geraten."
Mein Name ist Hase
Ich bin extrem müde, kurz vorm Kollaps und frage: Wer bin ich überhaupt, dass ich das schreiben darf? Mein Name ist Charly Chaplin und ich war Schauspieler. Mein Name ist Marilyn Monroe und ich war blond und Schauspielerin. Mein Name ist Bela Lugosi und ich war Dracula, bevor ich starb und von Bauhaus besungen wurde. Mein Name ist Johannes Heesters und ich wäre gerne noch am Leben. Mein Name ist Heinz Rühmann und ich war Schauspieler und distanziere mich von der NSDAP. Mein Name ist Hase und ich weiß alles. Mein Name ist Thomas Schmoll und ich wäre gerne Schauspieler statt Kolumnist. Denn ich bekomme oft Applaus von einer Seite, während mich die andere Seite "Schreiberling", "Schmierfink" oder "System-Nutte" nennt, was unkorrekt ist, da ich System-Stricher bin.
Deshalb hier für alle: Ich habe den steinigen Weg der Schreibkunst gewählt, die Veränderung unserer Gesellschaft aufzuzeigen und Raum zu schaffen für einen kritischen Diskurs. Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst, um genau zu sein: so tief, wie es das Meer ist. Weil ich das Mehr liebe. Mehr für alle! Nur dann gehen wir alle baden. Wer mir hier Nähe zum Denken unterstellt, den weise ich glasklar in die Schranken. Ich denke nicht.
Und außerdem: Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages keine Partei, zu der ich nicht 1,50 Meter Abstand halte. Weil ich gerade dabei bin: Das gilt auch für "Reichsbürger" und Vegan-Burger. Punkt. Ich mag Fleisch. In Maßen. Bevor Sie mich nun in die linke Ecke stecken, möchte ich mich entschuldigen. Wenn ich linken Demagogen und Hausbesetzern in die Hände gespielt habe, so bereue ich es zutiefst. Ich selbst habe noch nie ein Haus besetzt, sehe ich einmal von temporären Belagerungen von Toilettenhäuschen ab, die ich, das sei zu meiner Ehrenrettung angefügt, nach Erledigung dessen, was nun mal erledigt werden musste, wieder freigeräumt habe, ohne dass die Polizei anrücken musste.
"Ich bin bei Ihnen"
Verzweifeln Sie ruhig, aber zweifeln Sie nicht. Verblöden Sie ruhig, aber blödeln Sie dabei. Sterben Sie ruhig, aber verhalten Sie sich still. So stelle ich mir einen lebendigen Diskurs vor. Bevor ich erneut zwischen alle Fronten gerate, rufe ich Ihnen zu: Ich bin bei Ihnen, all denen, die so arm sind, dass sie sich nicht einmal ein Ticket leisten können, das sie zwischen die Fronten bringen könnte. Ich bin bei Ihnen, den Verängstigten, den Verunsicherten und Versicherten, ja, auch bei denen, die einen Vertrag bei der Allianz, einem Dax-Konzern, haben. Ich bin bei Ihnen, den Gestörten und Nüchternen, den Besoffenen und Vermummten, den Sensiblen, den Hin- und Hergerissenen, auch den Gerissenen und natürlich auch denen, die, weil sie hin- und hergerissen sind, zu den Zerrissenen gehören.
Selbstverständlich rufe ich dazu auf: Seid solidarisch! Auch mit Beknackten und Bekackten, denen das Klopapier in diesen schlimmen Zeiten ausgegangen ist, die nicht mehr ein noch aus wissen. Wir müssen mehr für die Pflege tun, damit wir, wenn wir alt sind, jemanden haben, der uns den Arsch abwischt. Seien Sie solidarisch!
Wie der Gemüsehändler auf dem beschissen teuren Bio-Bauernmarkt in der Uckermark, gleich hinter Unterleuten, der sagt: "Ein halbes Kilo Kartoffeln schenke ich Ihnen. Sie sind doch Kolumnist und haben es besonders schwer in diesen Zeiten." Das landet auf Twitter, wo es dann heißt, dass die Menschen auf dem Land wunderbar sind. Dann werde ich wieder wach sein und mich freuen, in diesem Land der Demut zu leben, dem es so gut geht, dass sogar ein Schmierfink wie ich für sinnentleerte Kolumnen bezahlt wird.
Quelle: ntv.de