Leben

Leonie Müllers Leben im Zug Tausche Wohnung gegen Bahncard

Leonie Müller hat immer noch eine Bahncard 100.

Leonie Müller hat immer noch eine Bahncard 100.

(Foto: Gaby Gerster)

Leonie Müller arbeitet als digitale Nomadin nicht nur unterwegs, eine Zeit lang "wohnt" sie fast in den Zügen der Deutschen Bahn. Sie ist jeden Tag woanders und tauscht ihre Wohnung gegen eine Bahncard 100. n-tv.de sprach mit ihr über Freiheit, Privatheit und Minimalismus.

n-tv.de: Sie sind anderthalb Jahre durch Deutschland gereist, hatten eine Bahncard 100 in der Tasche und keine Wohnung. Was hat das immer unterwegs Sein mit Ihnen gemacht?

Leonie Müller: Mir hat das total gut getan. Ich denke, dass das eine Typ-Sache ist. Und ich glaube, dass wir an jedem Ort Rollen spielen: Freund, Kollege, Kind oder Mutter. Bei mir war das nochmal aufgrund der verschiedenen Orte und den verschiedenen Menschen erweitert. Ich habe es total genossen, dass man überall ein bisschen anders sein konnte. Im Zug konnte ich dagegen allein sein, obwohl das ein öffentlicher Ort ist.

Wie sah das praktisch aus?

Meistens habe ich bei Freunden und Familie überall in Deutschland übernachtet und bin regelmäßig nach Tübingen gefahren, wo ich meinen Bachelor studiert habe. Manchmal habe ich auch im Zug übernachtet.

Und wo ist da die Privatsphäre?

Immer unterwegs: Leonie Müller.

Immer unterwegs: Leonie Müller.

(Foto: Gaby Gerster)

Der Zug ist tatsächlich zum privatesten Ort geworden - wo ich natürlich nicht im Bademantel rumlaufen konnte (lacht). Aber ich konnte dort für mich sein und beispielsweise arbeiten. Dort konnte ich meine "Ich-Zeit" haben.

Aber trotzdem sitzen Menschen dort drum herum.

Klar hat man auch Tage, an denen man physisch allein sein möchte. Jedoch ist mir klar geworden, dass diese psychische Privatheit gar nicht zu unterschätzen ist. Aber manchmal war ich in 6er-Abteilen auch alleine.

Was hat Sie zu diesem Projekt bewegt?

Ich hatte eine Auseinandersetzung mit meiner Vermieterin, als ich in Stuttgart gelebt habe. Vor dem Studium war ich neun Monate auf Weltreise und habe mich dann gefragt, warum wir Abenteuer und Alltag so stark voneinander trennen. Dann kam mir diese Idee, beides zu vereinen.

Viele verbinden die eigene Wohnung mit "zu Hause sein" und "Heimat". Sie haben in Ihrem Buch viel darüber geschrieben. Was ist das für Sie?

Zur Person: Leonie Müller

Heute studiert Leonie Müller in Leipzig im Master Kommunikationswissenschaften. Sie hat immer noch eine Bahncard 100, lebt aber auch in einem WG-Zimmer in Köln (das sieht sie aber nach eigenen Angaben nicht oft). Nach dem Master wird sie wohl in Köln bleiben und etwas weniger unterwegs sein. Ihre Masterarbeit möchte sie über das Thema Mediale Darstellung von Mobilität schreiben. Auch die Deutsche Bahn hat an Leonie Müllers Erfahrungen Interesse - zwei Mal im Jahr tauscht sie sich mit Mobilitätsexperten über ihr Projekt aus.

Heimat ist für mich etwas deutlich Tieferes, das auch viel mit Kindheit zu tun hat. Bielefeld, wo ich geboren und aufgewachsen bin, ist für mich Heimat. Aber auch Stuttgart, wo ein Teil meiner Familie wohnt. Zu diesen Orten habe ich eine ganz andere Verbundenheit. Zuhause sind für mich sehr viele verschiedene Orte und es ist für mich auch ein Gegenwart-Begriff.

Ihr Buchtitel lautet auch "Nirgendwo leben - überall wohnen" - ist das überhaupt möglich?

Natürlich mit Restriktionen. Es geht schon. Was ich auf jeden Fall gelernt habe, ist, dass ich weniger Dinge brauche. Weniger Kleidung, weniger Deko, weniger Bücher. Das Minimalistische ist interessant, denn es macht das Unterwegssein leichter.

Wie hat das geklappt?

Im Winter brauchte ich natürlich mehr Kleidung, aber ich habe schnell gemerkt, was ich brauche. Zuvor hatte ich die meisten Dinge bei meiner Familie untergestellt und auch etwas an Freunde verschenkt. Ein paar kleinere Taschen mit Ersatzkleidung hatte ich bei Freunden.

Sie sind der klassische digitale Nomade. Welche Dinge haben Sie ohne festen Wohnsitz vermisst?

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Wenn ich mal etwas vermisst habe, dann war es, mein eigenes Zimmer zu haben. Ansonsten habe ich überraschend wenig vermisst - eigentlich ist das schon gruselig.

Welche Auswirkungen hatte das auf die Kosten?

Die Bahncard hatte 4100 Euro gekostet, rund 340 Euro im Monat, und war damit günstiger als mein WG-Zimmer, das ich vorher hatte. Das unterwegs Essen geht natürlich ins Geld und man muss schon etwas schauen, wie viel man ausgibt.

Eine ganz praktische Frage: Welchen ultimativen Tipp können Sie Vielfahrern geben?

Die ICEs bestehen meistens aus zwei Zugteilen. Der eine Zugteil sind Wagen mit 20er-Nummern und der andere mit 30ern. Der Zugteil mit den 20er-Nummern wird immer als Erstes mit den Sitzplatz-Reservierungen gefüllt. Wenn man keine Reservierung hat, steigt man bestenfalls in den Zugteil mit den 30er-Nummern ein.

Was lernt man eigentlich über die Menschen, wenn man so viel in Zügen unterwegs ist?

Wir kennen die Leute oft nur aus einem Kontext. Jeder ist deutlich vielschichtiger, als wir uns das klarmachen.

Mit Leonie Müller sprach Sonja Gurris

Quelle: ntv.de

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