"Unser Spielplan ist ein Menü" Vorhang auf, Saal leer
13.07.2020, 17:58 Uhr
Mit Schutzvisier bei den Proben zu Carmen: Frida Österberg und Thomas Volle
(Foto: Chris Frühe / STAATSTHEATER KARLSRUHE)
Die Verlegung des Theaters ins Netz hatte ihren Reiz, man konnte Top-Inszenierungen von zu Hause aus erleben. Aber der Schauspieler will live spielen, braucht sein Publikum. Theater sind Orte, an denen öffentlich über gesellschaftliche Bruchstellen, Rassismus, Sexismus, oder Liebe nachgedacht wird. Digital ist in der Kultur eben nicht "das neue Normal". Oder doch? Uta-Christine Deppermann vom Badischen Staatstheater setzt auf eine neue Saison ohne Abstandsregeln, denn für sie hat Theater den Auftrag zu spielen.
ntv.de: Vorstellungen für diese reduzierte Zuschauerzahl ist Theater zum Abgewöhnen, sagt Thomas Ostermeier, der Intendant der Berliner Schaubühne.
Uta-Christine Deppermann: Wir haben uns zu einem Sonderfahrplan entschlossen: Bis zum Sommerferienstart Ende Juli gibt es beispielsweise Lunch- und Kammerkonzerte, Stadtspaziergänge, Einblicke in interne Produktionsprozesse wie Beleuchtungsproben oder öffentliche Bauproben. Wir sind der Meinung, dass Theater live erlebt werden muss. Das Streamen von abgefilmten Vorstellungen vermittelt kein richtiges Theaterbild. Mit Veranstaltungen, die man so nur jetzt erleben kann, werfen wir den Blick hinter die Kulissen und wollen so neue Publikumsschichten gewinnen.
Aber ausgebaute Stuhlreihen wie am Berliner Ensemble sind Bilder, die viral gehen und den Geschmack einer Eliteveranstaltung vermitteln. Wie sehen Sie das?

Uta-Christine Deppermann steuert als Betriebsdirektorin den Jahresspielplan von Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel, Volkstheater und Jungem Staatstheater an fünf Spielorten.
(Foto: Felix Grünschloß / STAATSTHEATER KARLSRUHE)
Wir machen Theater anders und neu zugänglich, vieles davon kostenlos. Man muss sich nur online anmelden, da wir ja nachweisen müssen, wer wann im Haus war. Wir legen Hussen über die Stühle, das sieht nicht nur eleganter aus, sondern wir senden damit eine andere Botschaft, die der Normalität.
Und was ist Ihr Signal in der neuen Spielzeit, tritt das Badische Staatstheater mit voller Besetzung an?
Definitiv. Unser Spielplan ist mit einem Menü vergleichbar, wir haben eingekauft und das Festmenü für unsere Gäste vorbereitet. Am 19. September planen wir unser Theaterfest, im Oktober dann die Premiere von "Die neuen Todsünden" im Schauspiel und Mitte Oktober "Die lustige Witwe" in der Oper. Für alle Spielstätten und Sparten haben wir ein volles Programm entworfen, ohne Abstandsregeln für Bühne und Orchester.
Es wird demzufolge keine an Corona-Abstandsregeln angepasste Stücke geben?
Im Moment gelten die Verordnungen bis zum 31. August. Es gibt erste Signale für weitere Lockerungen in den nächsten Wochen. Vor drei Monaten hatten wir den Shutdown. Jetzt stehen die Zeichen auf Öffnung. Wir haben durch die späte Sommerpause noch weitere drei Monate bis zum Beginn unserer nächsten Spielzeit. Das ist viel Zeit. Weitere Öffnungen werden erfolgen. Wir senden ein Zeichen des Optimismus. Das ist uns wichtig, gerade unseren Abonnenten gegenüber. Unsere klare Botschaft ist: Wir trauen uns! Wenn es im September nach den Ferien Einschränkungen gibt, können wir immer noch darauf reagieren. Aber nicht jetzt im Vorfeld.
Andere Theater reduzieren ihre Umbauten, führen Stücke an mehreren Abenden hintereinander auf, sparen so Kosten und setzen freiwillig den Rotstift an. Auch Sie müssen einen Wirtschaftsplan einhalten - sind Defizite nicht programmiert?
Wir sind mit dem Ministerium im engen Austausch über die Situation und die finanziellen Folgen. Grundsätzlich gilt: Theater hat den Auftrag, zu spielen. Jeder von uns ist angetreten, um Kunst zu machen - und wenn wir Vorstellungen absagen, tut das allen weh, den Künstlern, Mitarbeitern, Gewerken und dem Publikum. Die Vorverkäufe geben uns im Übrigen recht, die Menschen vermissen uns.
Sich einfach zu trauen und zu machen, ist das eine weibliche Tugend?
Bei uns sind viele Führungspositionen mit Frauen besetzt. Wir haben zum Beispiel eine Orchesterdirektorin, eine Chefdramaturgin und nicht zuletzt mich als Betriebsdirektorin. Das war eine bewusste Entscheidung des Staatstheaters, auf die ich stolz bin. Jetzt kommt mit Yura Yang die erste fest angestellte Dirigentin.
Vor zwei Jahren ist das Badische Staatstheater mit neuer Schauspieldirektion Anna Bergmann und Anna Haas als Doppelspitze angetreten. Es wurde eine hundertprozentige Frauenquote in der Regie eingeführt - das hat bundesweit und international für Aufmerksamkeit gesorgt, sogar die "New York Times" hat berichtet. In der nächsten Spielzeit werden überwiegend Stücke, die aus der Feder von Frauen stammen, gezeigt. Ist das Arbeiten mit Frauen angenehmer?

Das Große Haus des Staatstheaters in Karlsruhe mit abgedeckten Stühlen.
(Foto: Felix Grünschloß /STAATSTHEATER KARLSRUHE)
Ich erinnere mich an Zeiten in meinem Arbeitsleben, die männlich dominiert waren, wobei die Position der Betriebsdirektorin interessanterweise bereits in der Vergangenheit oft mit Frauen besetzt wurde. Die Genderfrage war lange kein Thema - ich war der Chefdisponent und nicht die Disponentin. Inzwischen gibt es in allen relevanten Positionen am Theater interessante Frauen. Und die sind ja nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Es gab sie schon immer. Aber aufgrund von gläsernen Decken, fehlendem Vertrauen und mangelnder Förderungen wurden sie nicht mit Führungspositionen betraut.
Was ist denn anders in einem Frauenteam?
Das kann ich in Bezug auf Karlsruhe nicht sagen, ich bin ja mit Anna Bergmann und Anna Haas eingestiegen, also mit der Frauenriege.
Anders gefragt, sind Frauen krisenfester, positiver, ergiebiger, herzlicher?
Es wird einfach immer alles besser! (lacht)
Was hat sich mit der Corona-Krise bei Ihnen im Haus geändert?
Die Achtsamkeit füreinander ist gewachsen. Uns war darüber hinaus von Anfang an eine gute interne Kommunikation wichtig, die alle mitnimmt. Wir hatten einen Teil der Mitarbeiter im Homeoffice, während die anderen im Theater weiterarbeiteten. Wir wollten keine Risse aufkommen lassen und haben unsere Mitarbeiter täglich mit Updates über Hygienemaßnahmen, Einreisebestimmungen et cetera informiert. Besonders gefreut hat mich das gesellschaftliche Engagement des Hauses im Hinblick auf die Ansteckungs-Prävention: In der Schneiderei wurden unter anderem über 10.000 Mund-Nasen-Schutze genäht, die wir unter anderem an Nachbarn, Alten- und Pflegeheime verteilt haben.
Apropos Kommunikation, hat sich die der Theater untereinander verbessert?
Mit meinen europäischen Kolleg*innen habe ich mich gerade wieder via Zoom ausgetauscht. Da reicht die Spannweite von Zagreb, wo schon wieder gespielt wird, über Wien, die wie wir in die Spielzeit mit vollem Spielplan gehen, bis nach London, wo Mitte Juli zum ersten Mal die Häuser wieder betreten werden. In den Gesprächen lernen wir viel voneinander.
Das ist also neu?
Die digitale Vernetzung ist neu und ermöglicht einen viel häufigeren Austausch. Früher haben wir uns immer zweimal im Jahr getroffen, jetzt sparen wir uns diese Reisen. Das schont die Umwelt und gibt uns mehr Zeit.
Denkanstöße, Diskussion, Diskurs bleiben bei Ihnen im Fokus?
Ja, davon lebt Kultur. Wir denken die Verhältnisse anders und weiter - Kunst und Theater deuten die Welt immer wieder neu. Wir spiegeln unsere Zeit und regen Veränderungen an. Obwohl Corona gerade alles überlagert, werden bei uns Themen wie Klimaschutz, Sterbehilfe oder auch Rassismus in der künstlerischen Auseinandersetzung weiter im Zentrum stehen.
Mit Uta-Christine Deppermann sprach Juliane Rohr
Quelle: ntv.de