
Wer heißen Kaffee kauft, bekommt ihn meist auch.
(Foto: picture alliance / SULUPRESS.DE)
Deutschland ist voll von Sensibelchen, Traumatisierten, Betroffenen - und Triggerwarnungen. Der Zeitgeist will es so, dass wenige Menschen glauben, dass sehr viele Menschen nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Über die Inflation der Warnhinweise.
WARNUNG!!!! Diese Kolumne enthält explizite Schilderungen psychischer und physischer Gewalt. Die Inhalte können belastend oder retraumatisierend auf Sie wirken. Oder Sie gar zum Nach- und Um-die-Schmoll-Ecke-denken zwingen. Sollten Sie dabei einen Kaffee oder Tee trinken, achten Sie auf die richtige Milch, damit Sie nicht vom Stuhl fallen. Unbedingt Hafermilch schlürfen, sollten Sie Kuhmilch nicht vertragen. Sonst kann es übel enden mit Ihnen. Und - um Gottes Willen - Tee oder Kaffee nicht zu heiß über Mund und Speiseröhre in den Magen befördern. Sie könnten sich sonst verbrennen und - WARNUNG! Es folgt eine explizite Schilderung physischer Gewalt - mit vor Schmerz glühendem Rachenraum und Tatütata in der Notaufnahme einer Klinik landen. Heißgetränke sind nämlich brandgefährlich. Man kann nicht oft genug vor ihnen warnen.
Dann warten Sie auf den Doktor und schauen sich noch eine Folge Ihrer Lieblingsserie an. Zum Glück gibt es auch dort eine Warnung: "Dieser Film enthält explizite Schilderungen psychischer und physischer Gewalt. Die Inhalte können belastend oder retraumatisierend auf Sie wirken." Sie sind guten Mutes und denken: Das schaff’ ich schon! Nach zwanzig Minuten sind Sie an der Stelle, wo die Frau einen sehr heißen Tee trinkt und dann mit vor Schmerz glühendem Rachenraum und Tatütata in der Notaufnahme einer Klinik landet. Leider setzt die Retraumatisierung ein. Mist, jetzt fällt Ihnen ein, warum Sie eigentlich hier sind. Der Tag ist kein guter.
Stopp! Solche Witze macht man nicht. Denn in Deutschland gibt es immer mehr Sensibelchen und Traumatisierte, die darüber nicht lachen können. Deshalb nehmen die Warnungen in Filmen, Büchern und a-sozialen Netzwerken zu, wo man Frauen, Politiker, Journalistinnen, Männer und Hafermilchtrinkende als was auch immer beleidigen darf. Auf einer Webseite habe ich erfahren, dass es sich um "Hinweise" handelt, "die auf sensible Themen" und "empfindliche Inhalte" aufmerksam machen sollen. "Einzelne können durch bestimmte Szenen, Berichte oder Bilder getriggert werden. Das bedeutet, dass sie an ein erlebtes Trauma erinnert oder in schlimme Situationen zurückversetzt werden."
Bin ich unsensibel?
Eine andere Webseite schildert den Kinobesuch einer Frau und eines Mannes, die vielleicht im Anschluss ein Paar werden, heiraten und hypersensible Kinder in die Welt setzen, die als Erwachsene nur laktosefreie Milch vertragen und eine Milbenallergie haben werden. Die beiden gucken also den Film und "auf einmal spritzt Blut auf der Leinwand, du kannst nicht wegsehen, hättest es aber gerne nicht gesehen. Für den Rest des Abends bist du irritiert und schlecht gelaunt, weil du Blut nicht sehen kannst und es mit schlechten Erinnerungen verbindest. Hier wäre eine Triggerwarnung für dich sehr hilfreich gewesen."
Auch wenn wir nicht per Du sind, hochgeschätzte Sachkundige, hat mich der Text nachdenklich gestimmt. Ich dachte: Wie konnte ich trotz "Texas Chainsaw Massacre" und "Full Metal Jacket" nur so alt werden?! Und obendrein die Ostzone überleben?! Dort gab es keine Hafermilch und Triggerwarnungen. Und wenn ich Filme mit Alkoholikern sehe, fühle ich mich nicht an meine Kindheit erinnert und auch nicht retraumatisiert, obwohl ich als Junge traumatische Erlebnisse hatte. Können jüngere Generationen nicht mehr so viel ab wie die beschissenen Boomer? Es sieht so aus. Mit Druck kann ohnehin kaum noch wer in diesem Land umgehen, wie wir erst diesen Sommer bei der Fußball- und Leichtathletik-WM erlebten.
Bin ich unsensibel? Würde ich nicht sagen. Sonst wäre ich kaum ein Sehr-Gutmensch und hätte nicht so viel Empathie und Beobachtungsgabe. Auffällig ist, dass besonders eifrige BefürworterSTERNCHENinnen von Triggerwarnungen gendern und sich gerne mit Diversität in der Kunst beschäftigen, was sicher kein Zufall ist. Hypersensible kümmern sich um von ihnen definierte Betroffene. Von einer Auszubildenden las ich: "Ich habe schon öfter ein Buch abbrechen müssen, da Inhalte vorkamen, mit denen ich mich nicht auseinandersetzen konnte oder wollte. Nicht, weil ich empfindlich bin oder einfach keine Lust hatte, sondern die Inhalte mich zu sehr an Vergangenes oder traumatische Erlebnisse erinnert haben."
Alle bekloppt
"Erlebnisse", also Mehrzahl. Gott, was muss die junge Frau für ein furchtbares Leben bisher gehabt haben. Entsetzlich. Kein Wunder also, dass der WDR bei so viel Sensibilität und Betroffenheit in der Bevölkerung vor der "Otto Show" warnt: Die 50 Jahre alte Sendung "enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden". Dahinter steckt der Zeitgeist, alle Menschen für bekloppt zu halten, dass sie es verlernt haben, selbst zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Das ist es, was dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk den Ruf des "Belehrungs- und Erziehungsfernsehens" einbrachte.
Als wären alle Menschen gaga. Okay, die Dummheit grassiert, das gebe ich zu. Kein Wunder, dass die Begriffe "irre" und "Wahnsinn" inflationär benutzt werden. Ich, bekannt für schonungslose Offenheit, bekenne, im Glashaus zu sitzen. War das Geständnis nicht wahnsinnig ehrlich? Dabei ist es schizophren, wenn der WDR auf seiner Webseite Ottos allerersten TV-Auftritt lobpreist und dazu erklärt, dass 1973 "erstmals ein Humor-Anarcho die Fernsehbühne (betrat), zu dem man heute nichts mehr erklären muss: Otto Waalkes." Wie bitte? Man muss nichts zu dem Mann erklären bis auf: "Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden."
Am besten wäre es doch, Witze zu verbieten, wenn sie nicht politisch korrekt sind. Das war ein Witz. Aber schaffen wir trotzdem auch noch. In das "Leben des Brian" von Monty Python wünscht sich Stan, sichtbar ein Mann, A: ab sofort als Frau namens Loretta gesehen zu werden und B: ein Baby zu bekommen. A ist kein Problem, B wird schwierig. Judith schlägt - sozusagen als Kompromiss - vor, dass "er" keine Kinder kriegen kann, weil "er keine Gebärmutter hat, woran niemand Schuld hat, nicht mal die Römer. Aber dass er das absolute Recht hat, Babys zu bekommen." So geht Demokratie!
Und heute? John Cleese berichtete von Schauspielern, die "mir dringend rieten", die Loretta-Szene in der Theaterfassung zu streichen. "Ich habe natürlich nicht die Absicht, das zu tun." Wie wäre es dann mit folgender Einblendung vor Beginn der Vorstellung: "Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Filmgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden." Das könnte klappen. Falls nicht J.K. Rowling im Theater sitzt und lacht. Dann wird es ein Skandal.
Quelle: ntv.de