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Den sowjetischen Zensoren fiel in der Zeit des Zweiten Weltkriegs vieles in die Hände, was ihnen nicht gefallen konnte.
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So auch der Brief einer Frau, die beklagt: "Unsere Führer haben das Volk dahin gebracht, dass die Menschen die eigenen Kinder töten und verspeisen. ...
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... Wir Dummköpfe sitzen da und schweigen."
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Und in einem anderen Brief heißt es: "Wir haben uns in eine Horde von Bestien verwandelt", die Straßen seien "Alleen des Todes".
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Die Briefe kamen aus der Stadt Leningrad, ...
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... sie stammten aus einer Zeit der Verzweiflung und Todesangst.
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Vom September 1941 bis zum 27. Januar 1944 belagerte die deutsche Wehrmacht die Stadt.
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Fast 900 Tage waren die Bewohner eingekesselt - und die Folgen waren verheerend.
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Schätzungen zufolge kamen fast eine Million Bewohner der Stadt ums Leben.
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Sie verhungerten, sie erfroren, sie fielen den deutschen Bomben zum Opfer.
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Außerdem starben Hunderttausende Soldaten der Roten Armee, die Leningrad verteidigten.
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Das Aushungern der Stadt, die auch noch den symbolträchtigen Namen des russischen Revolutionärs Lenin trug, war von den Nationalsozialisten gewollt.
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"Bezüglich der Stadt Leningrad bleibt dieser Grundsatz, dass wir die Stadt nicht betreten und dass wir die Stadt nicht ernähren können, bestehen", erklärte Adolf Hitler.
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Selbst bei der Kapitulation der einst so prächtigen 3,5 Millionen-Metropole sollte die Blockade aufrechterhalten werden.
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Kühl hieß es dazu auch in einem Brief der Seekriegsleitung an die Heeresgruppe Nord, dass "das Problem des Verbleibens und der Ernährung der Bevölkerung von uns nicht gelöst werden kann und soll ...
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Ein Interesse an der Erhaltung auch nur eines Teiles dieser großstädtischen Bevölkerung besteht in diesem Existenzkrieg unsererseits nicht."
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Dies entsprach der grausigen Logik der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik im Osten.
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Der Norden der Sowjetunion galt NS-Agrarexperten als "Zuschussgebiet" voll "überflüssiger Esser", die die Lebensmittel aus dem Süden Russlands verzehrten.
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Dessen Ernten aber sollten künftig nach Deutschland geschickt werden, die Konsequenz sei "die Nichtbelieferung der gesamten Waldzone einschließlich der westlichen Industriezentren Moskau und Petersburg".
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Was dies hieß, war den deutschen Planern auch klar: "Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen."
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Schon bei der Behandlung der fast 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen hielten sich die Nationalsozialisten an diese Politik, "überflüssige Esser" zu eliminieren: Rund 3,3 Millionen von ihnen verhungerten in deutscher Gefangenschaft.
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Auch im Fall von Leningrad kam es, wie von Hitler befohlen.
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Die Wehrmacht kesselte die Stadt ein und riegelte sie fast vollständig von der Außenwelt ab.
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Die Bewohner saßen in der Falle, ...
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... die Lage war verzweifelt.
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Mehr als 100.000 Bomben warf die deutsche Luftwaffe über Leningrad ab, ...
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... wobei sie bewusst Kindergärten, Schulen und Haltestellen bombardierte, um die Menschen zu demoralisieren. Auch Lebensmittel-Lager waren ein Ziel.
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Allein beim Angriff auf die Badajew-Lagerhäuser verbrannten zu Anfang der Blockade rund 3000 Tonnen Mehl und 2500 Tonnen Zucker.
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Die Erde mit dem geschmolzenen Zucker war später ein begehrtes Objekt auf dem Schwarzmarkt.
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Die ohnehin knappen Lebensmittelvorräte der Stadt schmolzen schnell dahin, ...
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... immer weiter wurden die Nahrungsmittelrationen verringert.
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Im Oktober 1941 erhielten Arbeiter gerade noch 400 Gramm Brot, alle anderen die Hälfte.
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Die Menschen hungerten und aßen alles, was sie auftreiben konnten: ...
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... Schmierfett, Tapetenkleister, Sägemehl und Rinden. Sie kochten alte Schuhe aus und schlachteten Katzen, Krähen, Ratten.
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"Ich streife über Felder und Müllhalden und sammle alle möglichen Wurzeln und schmutzige Blätter, aber oft gibt es nicht einmal so etwas", hieß es in einem Brief aus Leningrad.
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Für eine Lebensmittelkarte wurde bisweilen gemordet, Hunderte Verhungernde wurden in ihrer Verzweiflung zu Kannibalen.
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Mütter opferten ein Kind, um ihre anderen Kinder durchzubringen.
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Wegen des "Gebrauchs von Menschenfleisch als Speise" nahmen die Behörden mehr als 2000 Menschen in den ersten anderthalb Jahren der Blockade fest.
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Hinzu kam: Strom und Wasser fielen aus.
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In jenem ersten Hungerwinter - einem der härtesten des Jahrhunderts - sank das Thermometer auf bis zu minus 40 Grad.
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Auf Kinderschlitten transportierten die Leningrader, so sie noch die Kraft dazu hatten, Äste, Zweige, zertrümmerte Zäune als Brennholz in ihre vereisten Wohnungen.
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Der Tod wurde allgegenwärtig.
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Bis zu 6000 Menschen starben am Tag, ...
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... die Straßen waren gepflastert mit Leichen. Wer zusammenbrach, wurde nicht mehr weggeschafft.
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Die Totengräber kamen nicht hinterher. Für eine Bestattung der Leichen in Massengräbern mussten sie zuvor Löcher in die eisige Erde sprengen.
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Auch in den Wohnungen lagen die Toten, viele Angehörige waren zu schwach, um sie zu beerdigen.
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Während die Schriftstellerin Vera Kretlinskaja in ihrer vereisten Wohnung an dem Roman "Die Belagerung" schrieb, lag ihre Mutter seit Tagen erstarrt im Nebenzimmer.
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Nur über den Lagodasee im Nordosten der Stadt konnten die ausgemergelten Menschen noch notdürftig beliefert werden.
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Lastkähne brachten Essen und Heizmaterial.
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Als der See im Winter zufror, belieferten Laster die Stadt über das Eis.
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Hunderttausende Leningrader konnten über den See aus der Stadt fliehen.
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Viele Kinder überlebten nur dank der Flucht und des Transports in sicherere Gegenden.
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Etliche Bewohner Leningrads weigerten sich allerdings, ihre Heimat zu verlassen ...
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... und bemühten sich, einen Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten.
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Manche retteten, was zu retten war, ...
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... und kümmerten sich um diejenigen, die sich selbst nicht zu helfen wussten.
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Studenten besuchten die Universitäten, ...
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... in den Kellern der Eremitage verfassten Kunsthistoriker wissenschaftliche Arbeiten, ...
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... in den Fabriken produzierten Arbeiter die dringend benötigten Waffen.
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Und auch der berüchtigte Geheimdienst NKWD ging weiter seiner dunklen Arbeit nach.
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Dimitri Schostakowitsch komponierte in der Stadt die ersten beiden Sätze der "Leningrader Symphonie", ...
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... die dort im August 1942 die gerade einmal 15 Überlebenden des Rundfunkorchesters aufführten.
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Auf allen sowjetischen Rundfunkkanälen und in ganz Leningrad erschallte die Symphonie, über Lautsprecher wurde sie in den Straßen übertragen.
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Die Klänge wehten bis zu den deutschen Belagerern.
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Erst am 27. Januar 1944, nach insgesamt 872 Tagen, endete die Blockade Leningrads endgültig.
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Die Offensive der Roten Armee sprengte den Belagerungsring der geschwächten deutschen Truppen.
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Gerade mal 560.000 Menschen hausten zu diesem Zeitpunkt noch in der geschundenen Stadt.
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Wenig später erhielt Leningrad als erste Stadt der Sowjetunion den Titel "Heldenstadt".
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Den Helden nützte dies wenig.
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Kurz nach dem Krieg wurde die Leningrader Parteileitung verhaftet, ...
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... der Direktor eines schon 1944 eingerichteten Blockademuseum ins Lager verbannt.
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Das Museum schlossen die Behörden nach einem Besuch der Moskauer Parteispitze.
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Es passte nicht in das Bild der glorreichen Roten Armee.
"Alleen des Todes" Als die Wehrmacht Leningrad aushungerte
Es ist ein beispielloses Verbrechen der Wehrmacht: Fast 900 Tage lang belagern deutsche Soldaten die Stadt Leningrad. Eine Million Zivilisten sterben. Viele überleben nur, indem sie alles essen, was sie finden: Wurzeln, Klebstoff, Ratten - und manchmal Menschen.
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