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"Kunstmarkt ist kein Spielplatz" Auf Klassenfahrt mit Annabelle von Oeynhausen

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Annabelle Gräfin von Oeynhausen - im Hippiekleid fühlt sie sich auf jeden Fall wohler als im Kostüm.

Annabelle Gräfin von Oeynhausen - im Hippiekleid fühlt sie sich auf jeden Fall wohler als im Kostüm.

(Foto: Lena Giovanazzi )

Lassen Sie sich mal wieder - nicht an der Nase - herumführen, nein, eher verführen, anführen, durch die Gegend führen - in Ihrer eigenen Stadt. Oder einer anderen. Wenn Sie das mit Annabelle von Oeynhausen machen sollten, dann haben Sie nicht nur viel Schönes gesehen, etwas - wahrscheinlich auch über sich selbst - gelernt und vielleicht etwas gekauft, Sie haben auch ordentlich Kilometer zurückgelegt. Mit ntv.de spricht die Kunst-Expertin über German Angst und die Neuerfindung einer Frau in der Mitte ihres Lebens, vor allem aber über ihre Passionen: Menschen, Reisen und Kunst.

ntv.de: Spüren Sie es, dieses neu erstarkte Interesse an der Kunst nach Corona-Flaute und Neu-Sortierung?Oder ist alles wieder normal?

Annabelle von Oeynhausen: Was ist schon normal? (lacht) Auf der einen Seite erlebe ich, dass es schwierig ist, Veranstaltungen zu planen, weil die Menschen sich nicht festlegen wollen. Das heißt, dass sie sich erst sehr spät oder spontan entscheiden. Und ich erlebe, dass Menschen sich mehr Zeit nehmen, um die Kunst zu verstehen. Deswegen lassen sie sich durch die Art Cologne führen oder buchen Kunsttouren und -reisen. Ich weiß nicht, ob das jetzt nur auf Corona zurückzuführen ist, oder überhaupt auf die Weltlage. Corona hat meiner Meinung nach ganz viel von dem, was in uns schlummerte, hervorgeholt. Im Guten wie im Schlechten - siehe Aluhut-Träger, siehe Covid-Leugner. Die Isolation hat der Psyche - besonders bei vielen jungen Menschen - nicht gutgetan. Aber die Kunst ist viel politischer geworden, gerade hier in Berlin.

Etwas anstrengend, manchmal. Merkt man das auch auf einer Veranstaltung wie der Art Basel? Es sei nur noch um Kaufen und Verkaufen gegangen, ohne Herz, habe ich gehört.

Der Kunstmarkt ist kein Kinderspielplatz, da wird mit harten Bandagen gefochten, das ist ein wahnsinnig umkämpfter Markt. Es gibt weltweit drei, vier große Galerien, die alles dirigieren, und alle anderen spielen irgendwie mit. Die Preise sind wahrlich hoch und es geht viel ums Überleben. Es ist alles anspruchsvoller geworden, und es sind auch viel mehr Menschen, die sich plötzlich mit Kunst beschäftigen. Jeder will da mitverdienen, unter anderem ich (lacht).

Kunst ist und bleibt ein schönes Thema ...

Ja, das stimmt, ich merke auch, dass ich nicht immer nur mit dem Klimawandel konfrontiert werden möchte, und schon gar nicht an meiner Wohnzimmerwand. Dort möchte ich etwas, was mich berührt, was mich überzeugt und was mich hinreißt. Wenn das zufällig auch politisch korrekt ist, gerne. Ich muss jetzt nicht unbedingt Tote auf einem Bild sehen. Und so ticken wahrscheinlich die meisten. Der normale Mensch möchte über seinem Esstisch ein schönes Bild haben.

Das kann ich bestätigen ...

Es gibt natürlich Bilder mit einer Botschaft, die wichtig sind. Aber die sind eben nicht unbedingt was für zu Hause. Es nervt mich auch in deutschen Theatern, wenn sich immer alle ausziehen und auf die Bühne kacken und urinieren. Das ist ein deutsches Phänomen (lacht). Das findet in England nicht statt.

In Spanien oder Italien oder Frankreich?

Auch nicht so. Wenn du in England ins Theater oder in die Oper gehst, sehen alle schön aus. Man hat sogar ein wunderschönes Bühnenbild.

Aber hat man auch schöne Zuschauer? Sind die Leute gut angezogen? Hier geht ja jeder in seinem Jogginganzug in die Oper ...

Berlin ist wirklich eine eigene Blase. Überall in Deutschland ziehen sich die Menschen besser an als in Berlin. Ich war neulich in Basel - so viele schicke Menschen! Auch in Frankfurt am Main, da laufen Frauen mittags im Kostüm und die Männer im Anzug rum, ich dachte, wo bin ich hier? Das fand ich jetzt wieder ein wenig zu uniformiert. Aber es war einfach viel Business unterwegs. Sah aus wie in London oder New York.

Man kann sich doch manchmal etwas aufrüschen, oder?

Vollkommen richtig. Aber das Nicht-extra-schick-machen habe ich erstaunlicherweise in Paris auch erlebt. Die Leute gehen aus dem Büro direkt in die Oper und sehen so aus, wie sie nun mal aussehen. Da war ich auch enttäuscht, muss ich sagen.

Dann bedeutet es vielleicht, dass diese Art von Ausgehen kein "elitärer Scheiß" mehr ist, sondern was für alle. Das ist ja eigentlich eine gute Errungenschaft.

Kann auch sein. Oder sie haben einfach schlicht und ergreifend keine Lust, sich schick zu machen …

Mit Ihrem Gespür für Trends und Kunst und das Schöne – wie läuft es da gerade in der Kunstwelt?

Die Kunst ist irre teuer und es wird mit ihr spekuliert. Die Preise werden teilweise künstlich erzeugt. Auf den Messen und in den Auktionen stellt sich heraus, was geht und was nicht geht. Das ist schon ein Gradmesser. Malerei ist gerade wieder en vogue. Am ersten Tag in Basel vor ein paar Wochen haben die großen Galerien gleich in Millionenbeträgen verkauft. An den darauffolgenden Tagen war es wieder zurückhaltender. Das mittlere und niedrige Segment tut sich schwer. Ein belgischer Galerist hat mich neulich gefragt, was mit uns Deutschen los ist. "Alle meine Sammler kaufen, nur die deutschen Sammler sind wie gelähmt", sagte er mir. "Das ist ja eine Stimmung, als wenn die Welt untergehen würde. Wem hilft das denn?" Ich konnte ihm nur recht geben.

Warum ist es denn in so vielen Ländern besser als in Deutschland?

Tja, ich denke auch, es gibt gar keinen Grund, dass wir uns so komplett fertig machen oder die Stimmung vergraulen lassen, noch ist alles einigermaßen okay. Die "German Angst" regiert in Deutschland. Heute mehr denn je. Ab Januar 2025 wird die Mehrwertsteuer wieder auf sieben Prozent auf den Verkauf von Kunstwerken reduziert. Das wird helfen, den Markt in Deutschland zu entspannen, denke ich. Bis vor Kurzem kam ein Bild in einer Galerie an und es war schon verkauft, bevor man es auspacken konnte. So ist das heute nicht mehr, es geht alles bis zu einem gewissen Grad langsamer. Das finde ich aber gar nicht so schlecht, denn es gibt mehr Leute, die mit Kunst zu tun haben, die sich dafür interessieren, die sie machen, die sie verkaufen, die sie sammeln.

Das ist eine gute Entwicklung, oder?

Ich finde schon, auch weil es zeigt, dass es mehr Menschen gut geht. Wir jammern auf sehr hohem Niveau, und ja, es gibt viel mehr sehr vermögende Menschen als früher. Gleichzeitig sinken Gott sei Dank auch weltweit die Zahlen für extreme Armut.

Die Schere wird ja dennoch immer größer. Haben Sie mal überlegt, eine Galerie zu eröffnen?

Ganz früher. Aber jetzt bin ich froh, dass es nicht so ist. Diesen Druck, verkaufen zu müssen, den darf man nicht unterschätzen.

Ihr Lebensweg ist recht bunt und bewegt.

Das kann man wohl sagen (lacht). Ich bin in Pakistan geboren und in Spanien aufgewachsen. Mit zwölf Jahren kam ich mit meiner Familie nach Deutschland. Nach dem Abitur wollte ich auf keinen Fall Kunstgeschichte studieren. Deswegen habe ich eine kaufmännische Lehre absolviert und nebenbei in Galerien bei Vernissagen gekellnert. Zuerst bei meiner Tante, Hete Hünermann, und bei Hans Mayer für zwei Jahre in Düsseldorf. Meine Tante sagte mir dann, dass ich gar nicht studieren müsste, um in einer Galerie zu arbeiten. Dann fiel die Mauer, und ich bin nach Berlin gegangen, um doch noch Kunstgeschichte zu studieren (lacht). Nebenbei habe ich immer in Museen und Galerien gearbeitet. Ich brenne einfach für zeitgenössische oder überhaupt für Kunst. Ich habe damals auch eine Ausstellung mit jungen britischen Künstlern in den Hackeschen Höfen gemacht.

Aber dann hat es Sie wieder weggezogen.

Mutter und Großmutter ist sie, eine weitere Passion in ihrem Leben.

Mutter und Großmutter ist sie, eine weitere Passion in ihrem Leben.

(Foto: Lena Giovanazzi )

Ja, ich bin der Liebe wegen nach Bad Driburg gegangen, habe geheiratet und Kinder bekommen. Dort habe ich im Familienunternehmen meines Mannes gearbeitet. Wir haben zusammen das dortige, 240 Jahre alte Kurbad komplett renoviert und als Wellness- und Veranstaltungsresort "Gräflicher Park Health & Balance Resort" neu positioniert. Ich war verantwortlich für Kommunikation und Konzepte. Nach der Neueröffnung habe ich die Diotima-Gesellschaft, einen Kulturverein, gegründet, weil ich dem Ort mit seiner reichhaltigen Geschichte ein kulturelles Leben einhauchen wollte. Hölderlin hat dort 1796 die glücklichste Zeit seines Lebens verbracht, heißt es, wie viele andere Künstler auch. Ich habe zuerst mit Lesungen, Konzerten und Theaterabenden angefangen und später ortsspezifische Ausstellungen kuratiert.

Und dann ...

... kam ich 2021 wieder nach Berlin. Was soll ich sagen: Wenn du 25 Jahre weg warst, hat kein Mensch auf dich gewartet (lacht). Mir sind zwar Jobs angeboten worden und ich habe mich auf alle möglichen Sachen beworben, aber es ist schwierig, wenn man mal ein Team von 220 Personen geleitet hat. Im Nachhinein bin ich wirklich froh, dass nichts geklappt hat. Ohne es zu wissen, habe ich beim Gallery Weekend mit einer Geschäftsidee angefangen. Ich fand die Ausstellungen so gut, dass ich spontan Leute aus meinem großen Netzwerk einlud, eine Woche später zu einer Tagestour durch Berliner Galerien zu kommen. In die Betreff-Zeile der E-Mail hatte ich "Annabelle's Choices" geschrieben.

Ein Riesenerfolg, und dabei blieb es ...

Glücklicherweise ja. Ich traute mich erst nicht, weil ich eigentlich angestellt und im Team arbeiten wollte. Aber nach einem langen Urlaub in Sri Lanka, mit viel Meditation und Zeit zum Nachdenken, dachte ich mir, ich mach' das jetzt: Ich brauche kein Grundkapital, nur gute Angebote, und Leute, die sich in Galerien führen lassen und Kunst besser kennenlernen wollen.

In Berlin und anderswo. Sie bieten zum Beispiel Georgien an.

Georgien ist eine meiner Lieblingsdestinationen. Ich war schon zweimal da. Das Land ist wunderschön, die Menschen unglaublich herzlich und offen, das Essen köstlich und die Kunstszene ist sehr interessant. Man muss allerdings sehen, wie es sich politisch entwickelt. Albanien und Rumänien stehen auf meiner Liste, aber auch Edinburgh. Orte, an denen man vielleicht schon mal war, aber nicht in diesem Kontext. Meine Reise zur Biennale de Lyon ist schon ausgebucht. Ich hab' richtig gut zu tun (lacht).

So gut, dass es bislang noch keine Webseite gibt. Wer sind Ihre Kunden?

Bisher Freunde und Freunde von Freunden und so geht das weiter. Ich möchte auf keinen Fall, dass "Annabelle's Choices" so eine super elitäre Luxussache wird. Es soll möglichst authentisch und persönlich bleiben. Das heißt, wir fahren mit dem Reisebus oder öffentlichen Verkehrsmitteln, essen in Restaurants, die mir Freunde empfohlen haben. Wir besuchen vor Ort Galerien, Sammlungen, Künstlerateliers und Museumsausstellungen. Ich organisiere das alles selbst, deswegen gibt es auch eine gewisse Obergrenze an Teilnehmern, am liebsten höchstens 15 Leute. Am schönsten ist es, wenn mir meine Gäste nach einer Reise sagen, dass sie sich in der familiären Atmosphäre superwohl gefühlt haben. Wie auf einer Klassenfahrt.

Haben Sie Ihre Entscheidung bereut, frei zu arbeiten?

Nein, nie. Ich kann jetzt auch andere Sachen machen. Ich bin zum Beispiel Ambassador der Art Cologne. Ich kann maßgeschneiderte Angebote und Touren für Firmen und Freundeskreise oder Familien anbieten. Und ich berate Menschen, die Kunst kaufen wollen. Das ist auch so eine typisch deutsche Mentalität: Die Deutschen denken, sie brauchen keinen Inneneinrichter, keinen Therapeuten, keinen Floristen, und schon gar nicht brauchen sie einen Kunstberater, weil sie alles selbst besser können. Nur die wenigsten sind bereit, für diese Dienstleistung zu zahlen. In Amerika ist es vollkommen üblich, dass man sich Berater oder Coaches nimmt. Die Kunstszene ist durch die Globalisierung so groß und vielseitig geworden, dass es sehr hilfreich sein kann, wenn man sich beraten lässt.

"Annabelle's Choices" ist ein nicht ganz üblicher Neustart ...

Das kann man so sagen (lacht). Es ist nicht leicht, sich als Frau in der Mitte des Lebens neu zu erfinden. Deswegen fühle ich mich wahnsinnig beschenkt, weil ich beruflich all das machen kann, was mir am meisten Spaß macht. Ich vereine meine Passionen: Kunst, Gastgeberin sein, Menschen zusammenbringen, Reisen kuratieren - es freut mich, meinen Gästen durch die Kunst eine andere Sicht auf die Welt zu vermitteln, sie zu begeistern. Ich genieße das und weiß sehr wohl, dass ich wahnsinnig privilegiert bin. Wer weiß, was noch kommt.

Mit Annabelle von Oeynhausen sprach Sabine Oelmann

Quelle: ntv.de

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