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Familienbesuch - ja oder nein? Auswege aus dem Weihnachts-Dilemma

Auch zur Weihnachtszeit kann man sich der Corona-Pandemie kaum entziehen.

Auch zur Weihnachtszeit kann man sich der Corona-Pandemie kaum entziehen.

(Foto: imago images/MiS)

Dieses Weihnachten wird anders. Denn das Coronavirus kann gemeinsames Feiern mit älteren Familienmitgliedern zur tödlichen Gefahr machen. Viele Menschen stellt das vor ein Dilemma, sagt Psychiater und Stressforscher Mazda Adli im Gespräch mit ntv.de. Aber er verrät auch, wie man damit umgehen kann.

ntv.de: Herr Prof. Adli, welche Bedeutung hat Weihnachten eigentlich für die Seele und das psychische Wohlbefinden?

Prof. Mazda Adli: Die Weihnachtszeit ist eine Zeit voller wiederkehrender Rituale. Dazu gehören viele Elemente, die unmittelbar unsere Sinne ansprechen, wie der Duft von Weihnachtsplätzchen, das Ertönen von Weihnachtsliedern, der Anblick von Lichtern. Es sind Dinge, die uns in eine adventliche und weihnachtliche Stimmung versetzen. Zu "normalen" Zeiten kann uns das auch mal auf die Nerven gehen, da es eben "jedes Jahr dasselbe" ist, aber im Grunde genommen haben Rituale etwas sehr Wohltuendes. Sie verleihen uns emotionale Sicherheit.

Prof. Dr. med. Mazda Adli ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Berliner Charité.

Prof. Dr. med. Mazda Adli ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Berliner Charité.

(Foto: Fliedner Klinik Berlin / Annette Koroll Fotos)

Wegen der anhaltend hohen Infektionszahlen in Deutschland droht Weihnachten dieses Jahr in vielerlei Hinsicht ganz anders abzulaufen. Welchen psychologischen Effekt hat das auf uns?

Schon die Adventszeit läuft ja sehr anders ab als sonst - es gibt keine Weihnachtsfeiern, kein gemeinsames Singen, keine Weihnachtsmärkte. Das beeinflusst uns natürlich emotional und kann auch traurig machen. Für viele Menschen bedeutet die Situation auch, dass Weihnachten nicht im Kreise der Familie verbracht wird, wie man es sonst kennt. Für manche bedeutet es vielleicht sogar, ganz alleine sein. Im Moment erlebe ich auch, dass viele Menschen darunter leiden, dass sie nicht genau wissen, wie sie sich richtig verhalten können. Kann man die betagteren Eltern besuchen oder lieber nicht? Setzt man sie einer Gefahr aus oder leiden sie eher, wenn man nicht zu ihnen fährt? Das sind Fragen, die viele Menschen belasten, mit denen ich spreche.

Welchen Rat geben Sie dann?

Dass es einerseits gut ist, mit dem Thema offen umzugehen und darüber zu sprechen. Man sollte etwa mit der Familie oder mit Freunden thematisieren, dass man sich unsicher fühlt. Und vielen hilft es auch, sich bei anderen umzuhören, wie sie es dieses Jahr mit Weihnachten handhaben. Es kann helfen zu sehen, dass man mit diesen Fragen gerade nicht alleine ist. Wir sitzen alle im selben Boot.

Wie kann man das Dilemma des Treffens mit älteren Angehörigen praktisch umschiffen?

Wenn es um den Besuch bei den etwas betagteren Eltern geht, könnte man sich innerhalb der Familie abstimmen, dass zum Beispiel nur eine Person den Besuch für alle übernimmt. Und dann am besten jemand, der sich zuvor selbst etwas isolieren konnte und den wenigsten sozialen Kontakten im Alltag ausgesetzt war. Oder man verabredet sich mit den Eltern zu einem Spaziergang im Freien, wo man ausreichend Abstand halten kann. Heißen Tee und Gebäck kann man dazu ebenfalls mitnehmen. Man kann da ein bisschen kreativ werden.

Natürlich sollte man auch die vielen Kanäle der telefonischen und digitalen Kommunikation nutzen. Mein Rat ist auch, sich etwa fest für einen Video-Besuch zu verabreden, den man dann auch schön gestalten kann. Zum Beispiel, indem man gemeinsam alte Bilder oder Familienalben durchsieht oder Erinnerungsstücke bereithält. Man kann sich sogar zum gemeinsamen Essen über Video verabreden.

Wenn man dann auf diese oder andere Weise zu Weihnachten zusammenkommt - sollte man das Thema Corona lieber ausblenden, um die Stimmung nicht zu belasten?

Die Corona-Pandemie ist ja ein Thema mit einer unglaublichen Präsenz. Dem kann man sich im Alltag kaum entziehen. Deshalb ist es hilfreich, sich regelmäßig coronafreie Zeit zu verordnen, in der man sich bewusst mit etwas anderem befasst. Andererseits haben wir auch alle durch Corona viel durchgemacht in diesem Jahr - vieles war anders und diese Erfahrungen möchte man vielleicht gerade teilen. Insofern geht es um eine gute Balance. Es kommt auch immer darauf an, welches Gesprächsthema einem selbst gerade guttut.

Sie sind Stressforscher und in normalen Zeiten ist das Weihnachtsfest ja auch mit Stress verbunden - die Anfahrt, das Organisieren, Missstimmung und Streit können zwischen Angehörigen aufkommen. Kann es dieses Jahr nicht sogar mal angenehm sein, dass wir diesbezüglich weniger Stress haben?

Ich fürchte, das kann man nicht gegeneinander aufrechnen. Dass der übliche Weihnachtsstress wegfällt, ist kaum etwas, was uns jetzt in eine besonders entspannte Lage versetzt. Denn gleichzeitig ist der Stress, dem wir durch die Pandemie ausgesetzt sind, ein ganz außergewöhnlicher und einer, der schon seit so vielen Monaten anhält. Daher kann man von einer Stress-Auszeit für die meisten Menschen jedenfalls nicht sprechen. Im Gegenteil: Das Erleben weihnachtlicher Rituale wäre etwas, was uns im Moment Zuversicht spenden könnte. Das Gewohnte, das Immergleiche, das uns in manchen Jahren auf die Nerven geht, würde uns wohl jetzt gerade guttun.

Sie betonen die Bedeutung weihnachtlicher Rituale. Heißt es, dass man davon so viele wie möglich zelebrieren sollte?

Absolut. Mein Rat ist gerade jetzt für so viele Rituale zu sorgen, wie es eben möglich ist: Also viele Kerzen anmachen, die eigene Wohnung weihnachtlich schmücken, wenn man es mag oder für weihnachtliche Stimmung sorgen. Oder selbst mal ein Weihnachtslied anstimmen. Gerade weil es dieses Jahr so andere Weihnachten sind, sollten wir versuchen, viele von den weihnachtlichen Ritualen auch im ganz Kleinen umzusetzen. Das hilft.

Mit Prof. Mazda Adli sprach Kai Stoppel.

Quelle: ntv.de

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