Absage wegen Sicherheitsbedenken Berliner Uni will Geschlechter-Vortrag nachholen
04.07.2022, 18:30 Uhr
Transparente gegen den Vortrag der umstrittenen Biologin Vollbrecht wurden bei einer Demo vor der Humboldt-Universität aufgehängt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die umstrittene Biologin Vollbrecht will zum Thema Gender einen Vortrag halten - dazu kommt es wegen angekündigter Proteste nicht. Die Berliner Humboldt-Uni steht wegen der kurzfristigen Absage massiv in der Kritik. Sie reagiert nun mit einem Nachholtermin, der aber im Zeichen der Perspektivenvielfalt stehen soll.
Nach der vieldiskutierten Absage eines Vortrags zum Thema Geschlecht und Gender an der Humboldt-Universität Berlin (HU) hat die Hochschule einen zeitnahen Nachholtermin angesetzt. Allerdings hat die Veranstaltung eine andere Form. Für den 14. Juli sei eine Diskussionsrunde geplant, in der man die Veranstaltung "aufgreifen und kontextualisieren und diskutieren" wolle, sagte HU-Sprecher Boris Nitzsche.
"Wir würden gerne das Thema aus verschiedenen Perspektiven mit verschiedenen Akteuren besprechen und werden auch die Politik miteinbeziehen", kündigte Nitzsche an. Zu der Podiumsdiskussion sollten etwa Bundeswissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP und die Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote von den Grünen eingeladen werden. Ursprünglich war der umstrittene Vortrag "Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt" der Biologin Marie-Luise Vollbrecht als Teil der "Langen Nacht der Wissenschaften" am Samstag geplant gewesen. Nach der Ankündigung von Protesten hatte die Hochschule den Vortrag gestrichen - aus Sicherheitsgründen, wie es hieß.
"Nach Fragen an die Polizei haben wir die Veranstaltung abgesagt, weil wir befürchteten, dass die Situation eskalierte. Es waren eine Demonstration und eine Gegendemonstration angekündigt", so der Sprecher. Es müsse möglich sein, dass auch umstrittene Personen Vorträge halten. "Für die Handhabung von solchen Situationen sind Hochschulen derzeit nicht gut aufgestellt", so Nitzsche.
Kritiker: Uni habe bei Programmgestaltung geschlafen
Die Absage mit Sicherheitsbedenken zu begründen, sei eine absolute Unverschämtheit, kritisierte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch ("Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen") auf Twitter. Sie unterstelle Gewalttätigkeit. In Wirklichkeit hätten die Uni-Leitung oder die von ihr mit der Planung Beauftragten "erst bei der Programmgestaltung geschlafen und dann versucht", das "selbst verursachte Problem hastig und mit großer intellektueller und organisatorischer Feigheit aus der Welt zu schaffen".
Die Absage führte zu einer hitzigen Debatte: Gegner der Absage kritisieren die Entscheidung als Einknicken und Verletzung der Wissenschaftsfreiheit. Die Universität habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, sagte etwa der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen. "Sie hätte stattdessen Rückgrat beweisen sollen und alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann", so Kempen. Universitäten seien Stätten geistiger Auseinandersetzung. "Hier muss jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ihre und seine Forschungsergebnisse, Thesen und Ansichten ohne Angst zur Diskussion stellen können." Differenzen zu Andersdenkenden seien im argumentativen Streit auszutragen.
Umstrittener Artikel von Vollbrecht habe nichts mit Absage zu tun
Andere Stimmen finden die Aussagen der Biologin in der Genderdebatte höchst problematisch. Die Gruppierung "Arbeitskreis kritischer Jurist*innen" hatte zum Protest aufgerufen. Vollbrechts Aussage, in der Biologie gebe es nur zwei Geschlechter, sei "unwissenschaftlich", "menschenverachtend" und "queer- und trans*feindlich", heißt es in einer Stellungnahme. Vollbrechts Vortrag ist auf Youtube zu finden und hatte heute am frühen Nachmittag rund 45.000 Zugriffe. Darin erklärt die Forscherin, warum es ihrer Ansicht nach nur zwei biologische Geschlechter gibt und dass das biologische Geschlecht vom sozialen Geschlecht (Gender) zu unterscheiden sei. Sie wolle niemandem etwas Böses, sagte Vollbrecht in der "RBB-Abendschau". "Ich habe immer gesagt: Es geht hier nur um Biologie. Es geht hier nicht um Politik oder Meinungen außerhalb der Uni."
Vollbrecht war im Juni mit anderen Autoren in die Kritik geraten. Sie schrieben in einem "Welt"-Beitrag kritisch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo in Sendungen ihrer Ansicht nach "geleugnet" worden sei, "dass es nur zwei Geschlechter gibt". In dem Beitrag stand auch, Kinder würden "indoktriniert" und "aufdringlich sexualisiert".
Am Wochenende hatte HU-Sprecherin Birgit Mangelsdorf "faz.net" erklärt, die "Meinungen", die Vollbrecht in dem Artikel vertreten habe, stünden nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten. "Wir distanzieren uns daher von dem Artikel und den darin geäußerten Meinungen ausdrücklich", so Mangelsdorf. Sprecher Nitzsche sagte, die Entscheidung, den Vortrag abzusagen, habe mit dem umstrittenen Artikel in der "Welt" nichts zu tun.
Quelle: ntv.de, ysc/dpa