Panorama

Spitzen, Bänder, Bügel"Der Büstenhalter verzeiht nichts"

10.11.2014, 14:02 Uhr
imageVon Solveig Bach
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Jedes Wäschestück wird individuell designt. (Foto: n-tv.de/Solveig Bach)

Seit 100 Jahren gibt es den BH, und er ist ein Verkaufsschlager mit Millionenumsatz. Der einzigartigen Trägerin wird das Massenprodukt aber nur selten gerecht. Kein Wunder: Ist der BH doch die hohe Kunst des Wäscheschneiderns.

Vera Ziebarths Laden ist klein, vor der Tür steht im goldenen Berliner Herbstlicht ein Deko-Torso bekleidet mit einem hauchdünnen Spitzenbody. Im Schaufenster hängen auf einer Leine Büstenhalter und Höschen, in rosé, grün, schwarz, mit Blümchen, Schleifen oder auch ganz schlicht. Vor sechs Jahren hat sich die studierte Modedesignerin mit ihrer Lingerie selbständig gemacht, seit einem Jahr hat sie ihren eigenen Laden.

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Vera Ziebarth in ihrer Werkstatt im hinteren Teil des Ladens (Foto: n-tv.de/Solveig Bach)

Ziebarth, deren Großmutter schon Directrice in einem Wäscheunternehmen war und deren Mutter gelernte Schneiderin war, wollte eigentlich ins Brautmodengeschäft. Als sie immer wieder bei Trägern, Bügeln, Seide und Satin landete, nahm sie schließlich die Wäsche als Berufung an. Jahrelang arbeitete sie für mittelständische Wäschefirmen. Ihre Entwürfe entstanden am Rechner, sie reiste zu Messen und Produzenten. Doch am Ende blieb ihr Produkt eine eher konservative Massenware, die kaum noch etwas damit zu tun hatte, was sie sich vorgestellt hatte und die darüber hinaus auch nur den wenigsten Frauen passte. Denn die Bekleidungsindustrie arbeitet mit Durchschnittswerten, kaum eine Frau erfüllt die exakt.

"Die meisten Körper sind asymmetrisch, das Bindegewebe ist verschieden, die Physiognomie speziell", sagt die 39-jährige Wäscheexpertin. "Oberbekleidung verzeiht ein paar Zentimeter mehr oder weniger, aber BHs oder andere Wäschestücke verzeihen nichts." Das macht den BH-Kauf zum Geduldsspiel, an dessen Ende meist ein Kompromiss steht: bei der Passform, beim Material oder beim Modell. Irgendwann hatte Ziebarth die Kompromisse satt, ebenso wie die Tatsache, dass die meisten hierzulande getragenen Büstenhalter und Slips in Pakistan oder Bangladesh zusammengenäht werden.

Keine Frau ist wie die andere

Sie wollte ästhetische Wäsche machen für Frauen jeder Größe und Körperform, und obwohl das Nähen bisher nicht zu ihren Stärken gehörte, wollte sie die Einzelstücke selbst herstellen. Die Idee für ihre Lingerie Amaryllis war geboren. Vera Ziebarth hat seit ihrer Entscheidung viel über BHs gelernt und viel über Frauen. Aus etwa 50 einzelnen Teilen besteht jeder Büstenhalter. Um hinter die Konstruktionsgeheimnisse zu kommen, hat Ziebarth unzählige BHs aufgetrennt und schließlich ihre eigenen Schnitte entwickelt. Vieles testete sie an sich selbst. "Das war ein unglaublicher Erkenntniszuwachs. Meine ganzen 15 Jahre Berufserfahrung können da nicht mithalten. Inzwischen weiß ich, wo man schmal werden muss, wo breit, wie man was näht, was elastisch sein darf, was unelastisch sein muss, wo die Träger ansetzen. Der Büstenhalter ist schon die hohe Kunst der Wäsche."

Der Weg zur maßgeschneiderten Unterwäsche ist trotzdem kürzer, als man denken könnte. Zunächst fragt Ziebarth ihre Kundinnen, was sie sich vorstellen und welche Farben ihnen gefallen. "Dann gehen wir ein bisschen Stoffe durch, ich werfe ihnen Spitzen oder Satins über die Schulter und wir gucken, was zum Gesicht, zu den Haaren, zum Typ passt. Ist jemand grafisch oder verspielt, clean oder rüschig? Dann kommen das Maßnehmen, die verschiedenen Formen probieren, gucken, was der Körperform und dem Typ entgegenkommt." Nach einer halben Stunde steht der Schnitt fest. Für die Feinheiten hält Ziebarth noch ihre Schatzkästchen parat: Kisten voller Schleifen, Blüten, Spitzen, Träger und Verschlüsse. So wird jedes Wäschestück ein Unikat.

Manchmal ist es mit einer Anprobe getan, dann sitzt schon alles perfekt. Aber wenn das nicht so ist, steckt Ziebarth immer wieder millimeterkleine Änderungen ab, bis wirklich nichts mehr kneift und piekt. Manchmal ist der Anspruch der Dessous-Designerin allerdings nicht leicht einzulösen. Die bislang größte Herausforderung war eine Kundin mit einem Unterbrustumfang von 110 Zentimetern und einem sehr großen Cup. Die Frau war sehr klein und üppig, dazu sehr empfindlich und reagierte allergisch auf verschiedene Materialien. "Ihr habe ich ein Art bügelloses BH-Hemdchen aus einer sehr festen Shapeware gemacht."

In die Lingerie Amaryllis kommen Frauen aller Figuren und Altersklassen, die jüngste Kundin war 16, die älteste 80. Sie kommen mit der Freundin, dem Mann, der Mutter oder der Tochter. Am liebsten ist es Vera Ziebarth aber, wenn sie allein kommen: "Im Zweiergespräch kommt man am besten auf den Punkt." Über straffe Bäuche und Zellulite redet Ziebarth dabei nicht. "Das beachte ich gar nicht weiter. Ich versuche den Stoff und den Schnitt zu finden, damit es gut aussieht. Gerade war eine Kundin da mit einer 110 E und Hüftgröße 56, und es sollte aufregend aussehen und eine schöne Silhouette geben." Am Ende verließ die Frau den Laden mit einem Büstenhalter aus schwarzer Spitze und verzierten Trägern, in den etwas Fischbein eingearbeitet ist. Der BH ist im Nacken zu schließen und wenn es dort drückt, kann sie Rückenträger einhaken und den Büstenhalter über den Schultern schließen. Außerdem gibt es eine kleine Spange, mit der sich die Träger zum Kreuz verbinden lassen. So verteilt sich das Gewicht immer wieder anders. "Die Frau sah deutlich jünger aus, zarter, attraktiver", sagt Ziebarth sichtlich zufrieden.

Inzwischen finden immer mehr Frauen den Weg in ihren Laden im Prenzlauer Berg, die ersten kommen wieder. Wer einen gut passenden weißen BH hat, braucht vielleicht noch einen schwarzen. Oder ein Nachthemd, oder einen Badeanzug. Ein schlichter Büstenhalter in 75 B kostet um die 100 Euro, für größere Größen und bei Extrawünschen werden es entsprechend mehr. Gerade hängt ein Morgenmantel in Ziebarths Werkstatt, milchkaffeefarben mit weißen Punkten, nicht zu lang und trotzdem gemütlich mit ¾-Ärmeln, das nächste Projekt der Designerin. "Damit die Ärmel morgens nicht im Kaffee hängen", sagt die 39-Jährige. Denn das ist ihr wichtig, ihre Wäsche soll einladend aussehen und trotzdem alltagstauglich sein.

Quelle: ntv.de

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