"Seiner Zeit voraus" Der (noch) unentdeckte Fotograf Hoyningen-Huene


Dieses Foto hätte Irving Penn gern selbst von seiner Frau Lisa Fonssagrives-Penn gemacht.
(Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)
Seine Bilder sind ikonisch. Die "Divers", zwei Menschen, die wirken, als würden sie auf einem Sprungbrett an der Côte d'Azur sitzen, sind weltberühmt. Dennoch hat man den zugegeben nicht ganz einfachen Namen des Fotografen nicht gleich zur Hand. Das dürfte sich nun ändern.
Ein Raum, nicht größer als ein großes Wohnzimmer. Die Wände sind blau-grau, an ihnen einige der wunderbarsten und ikonischsten Fotos des letzten Jahrhunderts. In der Brunnenstraße 161 wird George Hoyningen-Huene ausgestellt. Seine erste Einzelausstellung. Mit seinen Arbeiten, die hauptsächlich in Paris, New York und Hollywood entstanden sind, erlangte er zunächst internationalen Ruhm für seine sehr anspruchsvolle Mode- und Porträtfotografie. Seine sorgfältig ausgeleuchteten Studiokompositionen mit Elementen der Moderne, des Neoklassizismus und des Surrealismus machten Hoyningen-Huene von 1926 bis 1935 zu einem der führenden Fotografen der Zeitschriften "Vogue", "Vanity Fair" und später auch "Harper's Bazaar".

Benjamin Jaeger präsentiert mit "Glamour and Style" George Hoyningen-Huene (1900-1968), einen der bahnbrechendsten Fotografen seiner Zeit.
(Foto: Tina Berning)
Das Licht in seinen Fotografien wirkt wie aus einer anderen Welt, lässt sie leuchten, es macht Menschen zu Stars, auch wenn sie selbst es noch gar nicht wissen. Galerist Benjamin Jaeger ist, obwohl er die Bilder immer und immer wieder sieht, beeindruckt und schwärmt: "Wenn Hoyningen-Huene fotografiert hat, dann hat er die Frau nicht als Model, sondern als moderne, starke Frau, mit kurzen Haaren, Hosen und manches Mal auch in ungewöhnlicher Pose gesehen." Jaeger betont im Gespräch mit ntv.de: "George Hoyningen-Huene war seiner Zeit definitiv voraus." In vielerlei Hinsicht - er setzte sich nicht nur für starke und moderne Frauen ein, er machte auch keinen Hehl daraus, homosexuell zu sein.
"Der Meister von uns allen"

Die Models und späteren Fotografinnen Lee Miller und Agneta Fischer.
(Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)
Von seinen Zeitgenossen verehrt, inspirierte er auch nachfolgende Generationen legendärer Fotografen und Filmemacher in aller Welt. Richard Avedon bezeichnete Hoyningen-Huene als "ein Genie, der Meister von uns allen". In den 1920er- und 1930er-Jahren bildete Paris das mächtigste Zentrum der Kreativität und der Kunst, Hoyningen-Huene galt als einer der wichtigsten Chronisten innerhalb der eng miteinander verflochtenen Welten von Kunst, Mode, Design, Film und High Society.
"Glamour and Style" widmet sich den von ihm abgebildeten Zeitgenossen und Wegbegleitern. Aufnahmen der damaligen Topmodels Lisa Fonssagrives-Penn oder auch Lee Miller und Agneta Fischer - die beide später selbst bedeutende Fotografinnen wurden - lassen den Betrachter in eine vergangene Zeit voller Anmut und Eleganz eintauchen.
Bademeister Weissmüller
Auch mit den Stars des Künstlermilieus wie Man Ray oder Salvador Dalí war er gut befreundet und arbeitete mit ihnen im Rahmen unterschiedlicher Projekte zusammen. Neben der Kunst und Mode war Hoyningen-Huene seit seiner Jugend von der Filmindustrie fasziniert. "Er lebte lange in Paris und hat dort wahnsinnig schnell angedockt in der Kunstszene", erzählt Jaeger. "Er war sehr eng befreundet mit Dalí.
Dieses Bild (siehe rechts) hat Salvador Dalí 1938 gemalt. Das ist im Original kleiner und farbig. Hoyningen-Huene hat Dalí und seine Frau Gala dann in dieses Bild 'hineinmanipuliert'. Es wurde ein Jahr später in "Harper's Bazaar" veröffentlicht." Jaeger sieht noch mehr auf dem Bild, genauer gesagt dahinter: "Es geht da auch um die Uhr, die tickt, es ist kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, die langsame Schnecke, der Telefonhörer, es liegt etwas Undefinierbares, nichts Gutes, in der Luft. Das ist eine ganz großartige Arbeit. Es geht nicht nur um Ästhetik, es ist auch eine Aussage dahinter."
Auch nachdem er im Jahr 1935 die "Vogue" für "Harper's Bazaar" verließ, wurde er nicht müde, weiterhin die Stars der damaligen Zeit zu porträtieren. Dutzende Schauspieler und Künstler wurden von ihm abgelichtet. Hoyningen-Huene bereitete sich auf jedes Shooting intensiv vor, denn er wollte nichts Geringeres als die unterschiedlichen Charaktere der jeweiligen Hollywood-Idole für die Ewigkeit festzuhalten. Er porträtierte unter anderem Gary Cooper, Marlene Dietrich, Charlie Chaplin, Johnny Weissmüller, Rita Hayworth, Katharine Hepburn oder Greta Garbo.
Klare Kante

1930: Johnny Weissmüller - Schwimmer, Wasserballer und Schauspieler - amüsiert sich über seinen "Model"-Job im französischen Schwimmbad "Molitor".
(Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)
Noch zu Lebzeiten war Hoyningen-Huene in wegweisenden Ausstellungen wie "Film und Foto der 20er-Jahre" (1929) und während der Photokina (1963) in Deutschland vertreten. In jüngerer Zeit waren seine Bilder zwar in vereinzelten Ausstellungen zur Geschichte der Modefotografie zu sehen, aber Einzelausstellungen zu seinem Werk sind sehr rar.
Benjamin Jaeger freut sich, hier gewissermaßen Geburtshilfe leisten zu können: "Das ist so zeitgemäß. Also nicht nur, weil es klassisch ist von der Bildsprache, sondern auch, weil die Menschen, die er fotografiert hat, so speziell waren. Leute wie Charlie Chaplin, der 1935 nach Berlin gekommen ist, weil er aus Amerika rausgeflogen ist. Wegen Kommunismusvorwurf. Marlene Dietrich, die dann Deutschland verlassen hat, ihr geliebtes Schöneberg, weil sie gesagt hat, dass sie nicht mitmacht bei den Nationalsozialisten. Die immer wieder angeworben wurde von Goebbels, um Propagandafilme zu machen. Die aber klar Kante gezeigt hat, wie auch der Regisseur Ernst Lubitsch, der in der Welt Karriere gemacht hat. Auch ein Berliner."
Jaeger merkt man an, wie er für seinen Künstler brennt - vor allem, wenn er sich vergegenwärtigt, dass die Situation Deutschlands im Moment vergleichbar ist mit der der 1930er Jahre. "Die Fotografien sind vor rund 100 Jahren entstanden - und dennoch so aktuell. Man kann nur hoffen, dass man aus Fehlern lernt und sich die Vergangenheit nicht wiederholt."

Josephine Baker, 1929: Achten Sie auf das Licht, den Schatten.
(Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)
Die Neue Nationalgalerie in Berlin eröffnete im Januar eine Ausstellung über das Leben einer Ikone der 1920er, Josephine Baker, in der auch einige Porträts von Hoyningen-Huene zu sehen sind. Die Künstlerin adoptierte zwölf Kinder unterschiedlicher Hautfarbe aus verschiedenen Teilen der Welt, zusammen mit ihrem Mann Jo Bouillon. Den Lebensunterhalt für ihre Regenbogenfamilie finanzierte sie durch Bühnenauftritte. Auf ihrem Schloss in der Dordogne lebte Baker, die im Zweiten Weltkrieg in der Résistance tätig war, die Ideale von "Egalité, Fraternité, Liberté". "Diese Frau war einfach unglaublich, ein Vorbild", sagt Jaeger, "sie sagte, was sie dachte, sie lebte, wie sie es für richtig hielt. Man denke nur an den Marsch nach Washington, den sie an der Seite von Martin Luther King beging."
Hoyningen-Huene "all over the world"
Auch das Modehaus Chanel widmet Hoyningen-Huene ab Februar eine Einzelausstellung in ihren musealen Räumen in Tokio, zu der der begleitende Katalog "George Hoyningen-Huene: Photography, Fashion, Film" erscheinen wird. Mit großer Hingabe an sein Handwerk betrachtete Hoyningen-Huene die Magazinfotografie nie als minderwertig gegenüber der bildenden Kunst und er ermutigte seine Kollegen regelmäßig, Bilder "mit der Absicht zu erschaffen, dass sie eines Tages in die weltweit wichtigsten Fotokunstkunstsammlungen aufgenommen werden". Das ist ihm gelungen - kein Wunder bei so ikonischen Fotos wie den "Divers": "Diese Fotos waren stark an der griechischen Antike, am Hellenismus, orientiert", weiß Jaeger.

Werbung für Badebekleidung: Côte d'Azur oder doch nur das Dach eines Kaufhauses?
(Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)
Ebenfalls mit großer Hingabe arbeitet Benjamin Jaeger daran, das Erbe des Ausnahme-Künstlers ins rechte Licht zu setzen: "Das ist die Aufgabe, die wir haben - diesen Nachlass, den ich seit ein paar Jahren berate, dahin zu bringen, wo er hingehört. Wir arbeiten mit einem der wichtigsten Kuratoren auf der Welt für Fotografie. Er hat gesagt, und das unterstreiche ich, dass wir es mit einer Art 'Sleeping Beauty' zu tun haben, die so langsam, aber sicher wachgeküsst wird und endlich zum Vorschein kommt." Die Tatsache, dass die Galerie drei Bilder an die Berliner Neue Nationalgalerie für die Josephine-Baker-Ausstellung ausgeliehen hat, spricht für sich.
Über allem schwebt das Licht
George Hoyningen-Huene starb 1968 und vermachte sein Lebenswerk seinem ehemaligen Lebensgefährten und engen Vertrauten Horst P. Horst, der ebenfalls zu den renommiertesten Fotografen seiner Zeit gehört. Horst machte es sich zur Aufgabe, Hoyningen-Huenes Vermächtnis vor dem Vergessen zu bewahren. Er arbeitete das Archiv sorgfältig auf und begann in den 1980er-Jahren, von ausgewählten Motiven und den Original-Negativen, Platin-Palladium-Abzüge herzustellen und diese in einer Edition aufzulegen. Diese außergewöhnlichen Abzüge haben eine satte, matte Oberfläche, ihre Tonwerte reichen von samtigen Schwarztönen bis hin zu einer Vielzahl von Grau- und zarten Weißtönen. Über allem aber schwebt das Licht.

Miriam Hopkins 1934, wie George Hoyningen-Huene sie sah.
(Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)
Kann man jemanden heutzutage vergleichen mit den Frauen und Männern, die von Hoyningen-Huene fotografiert wurden, oder auch mit den Fotografen? Jaeger antwortet wie aus der Pistole geschossen: "Anton Corbijn. Der inszeniert seine Fotos nicht so stark, aber er bildet seine Leute auch in starken Posen ab, allerdings eher wie nebenbei, auf eine recht dokumentarische Art und Weise." Auch Corbijn versucht, die Frau als stark und selbstbewusst in den Vordergrund zu stellen - und natürlich auch die Schönheit. Genau wie der viel zu früh verstorbene Peter Lindbergh und auf gewisse Art und Weise natürlich auch Helmut Newton, obwohl da mehr Sex im Spiel ist. Hoyningen-Huene ist eleganter, künstlerischer auf gewisse Art.
Seit 2020 berät Benjamin Jaeger den in Schweden ansässigen Nachlass "The George Hoyningen-Huene Estate Archives" als Senior Advisor. Die Aufgabe des Nachlasses ist es, das Erbe des berühmten Fotografen zu bewahren, seine Arbeit einem breiten Publikum vorzustellen und zeitgenössische Fotografen und Kreative auf der ganzen Welt zu inspirieren.
Die Bilder aus dieser Zeit, rund um die 1930er-Jahre, zeigen freie Menschen. Menschen, die sich bewegen, wie und wo sie wollen. Die sich kleiden, wie sie wollen und die lieben, wen sie wollen. Frauen sind im besten Sinne burschikos oder geradezu unheimlich weiblich und lasziv - heute würde man sagen, cool. Männer zeigen ihre weiche Seite oder geben sich ironisch, wie Johnny Weissmüller. "Es handelt sich durchweg um Stars", weiß Jaeger, "und als solche haben sie Haltung gezeigt". Es regt ihn auf, wenn für B- und C-Sternchen heute der rote Teppich ausgerollt werden muss, "solche Attitüden hätten diese selbstbewussten Personen auf Hoyningen-Huenes Fotos nicht nötig gehabt", ist sich der Galerist sicher.
Die Fotografien von Hoyningen-Huene spiegeln ein Leben wider, das uns normal erscheint: Jeder darf so sein, wie er ist. Dass wir alle inzwischen, knapp 100 Jahre später, wieder auf dem Vulkan tanzen, ist der bitter-süße Nebengeschmack beim Betrachten der Kunst von George Hoyningen-Huene.
George Hoyningen-Huene "Glamour und Style" ist bei Jaeger Art in der Berliner Brunnenstraße 161 bis zum 23. März zu sehen.
Quelle: ntv.de