Weltärztechef Montgomery "Gibt keinen Grund, Geimpfte in Grundrechten einzuschränken"
25.02.2021, 14:37 Uhr
Montgomery fürchtet, dass Deutschland beim Impfen "von einer Ad-hoc-Lösung in die nächste" stolpert.
(Foto: imago images/photothek)
Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery warnt vor einem unkontrollierten Ausstieg aus dem Lockdown. Gepaart mit klugen und verbindlichen Testregeln kann sich der Mediziner Lockerungen aber vorstellen. Auch er mahnt zu mehr Tempo beim Impfen: "Jeder sollte jede Impfchance nutzen, wo er sie bekommt."
ntv: Vizekanzler Olaf Scholz spricht sich für eine Öffnungsstrategie in Verbindung mit Schnelltests aus und auch die Kanzlerin sagt, noch im März soll etwas gelockert werden. Warum sind Sie dagegen?
Frank Ulrich Montgomery: Ich habe mich dagegen ausgesprochen, einfach nur zu lockern. Es gibt kluge Teststrategien, mit denen man das Lockern ermöglichen kann. Das gilt es jetzt zu prüfen, und das hoffe ich, dass das die Ministerpräsidenten der Länder mit der Kanzlerin besprechen und dann auch beschließen.
Wie kann denn so eine vernünftige Teststrategie aussehen?
Dazu müssen ein paar Dinge grundsätzlich gewährleistet sein. Erstens: Die Tests müssen vorhanden sein. Zweitens: Die Tests müssen sicher sein. Und drittens: Man muss auch Erfahrungen haben in der Abnahme des Tests. Aber das Entscheidende ist: Ich muss auch die Konsequenzen ziehen. Wenn ich einen positiven Test habe, muss ich mich beim Gesundheitsamt melden, wissend, dass das dann zu zehntägiger Quarantäne führt. Das muss verbindlich sein.
Steigen dann nicht auch wieder die Zahlen, weil ja dann viel mehr getestet wird?
Ja, aber darin sehe ich das kleinste Problem - außer dass es erstmal Geschrei geben wird, wenn die Zahlen steigen. Aber das ist so, das gehört zu der ganzen Debatte dazu.
Was muss jetzt passieren, damit endlich Zug in die Impfkampagne kommt?
Zuallererst müssen die Lieferanten liefern. Aber im zweiten Schritt wundert es mich, dass wir noch nicht ausreichend vorbereitet sind auf die Schwemme an Impfstoffen, die ich uns in zwei Monaten prophezeie. Wir müssen uns jetzt Gedanken machen über Transportwege zu Hausarztpraxen, über Infrastruktur zum Impfen. Geht es überhaupt, Biontech bei minus 70 Grad in Hausarztpraxen zu verimpfen? Ist das nicht technisch, logistisch zu schwierig? Brauchen wir also mehr Impfzentren? Das alles muss jetzt geplant werden, und ich sehe schon jetzt mit Grausen, wie wir dann wieder von einer Ad-hoc-Lösung in die nächste stolpern. Länder wie Israel oder auch Großbritannien machen es vor, da sollten wir hinschauen und davon lernen.
Was können wir in der Zwischenzeit tun? Ist es sinnvoll, erst einmal möglichst viele Menschen mit einer ersten Dosis zu versorgen?
Da gibt es Unterschiede. Die mRNA-Impfstoffe, das sind Biontech/Pfizer und Moderna, sind laut Studien an ein relativ exaktes Datum der Zweitimpfung gebunden. Deswegen ergibt es schon Sinn, die Zweitdosis zurückzulegen, damit man sie sicher an dem Tag hat, an dem man sie braucht. Andere Impfstoffe sind da sehr viel flexibler, vor allem der Astrazeneca-Impfstoff. Der hat aber ein Image-Problem im Moment.
Haben Sie dazu nicht auch ein bisschen beigetragen?
Im Ergebnis habe ich das mit Sicherheit, ja, obwohl das überhaupt nicht mein Ziel war. Was ich damals gesagt habe war: Wenn Menschen den Impfstoff ablehnen, die in der ersten Prioritätsgruppe sind und wir diesen Impfstoff jetzt auf Lager liegen haben, dann sollte man die Prioritätsgruppe 2 vorziehen und ihr den Astrazeneca-Impfstoff anbieten. Und das ist der Kern der Aussage. Der ist dann ein kleines bisschen plakativer gemacht worden und hat dabei seinen Gehalt verloren. Ich stelle aber mit größter Befriedigung fest, dass die Bundesregierung und die Länder genau das machen, was ich damals vorgeschlagen habe.
Ist Astrazeneca also nicht schlechter als Biontech/Pfizer?
Der Impfstoff ist genauso sicher wie die anderen und die Wirksamkeit ist auch nicht so viel geringer.
Also auch ärztliches Personal sollte man unbedingt damit impfen?
Auf jeden Fall! Jeder sollte jede Impfchance nutzen, wo er sie bekommt. Impfen ist der Schlüssel. Man kann ganz platt sagen: Je mehr wir impfen, desto weniger Lockdown, und je weniger wir impfen, desto mehr Lockdown.
Sollten wir dann nicht vielleicht doch noch ein bisschen pragmatischer werden und hier in Deutschland den russischen und die chinesischen Impfstoffe zulassen?
Wir haben in Europa eine sehr gut funktionierende Arzneimittelzulassungsbehörde, die EMA in Amsterdam. Die muss einen Impfstoff zulassen. Ich bin überhaupt nicht dafür, nicht zugelassene Impfstoffe einfach so zu verwenden.
Österreichs Bundeskanzler Kurz bringt jetzt einen grünen Impfpass nach israelischem Vorbild ins Spiel. Was halten Sie davon?
Ich bin ein großer Freund dieser Lösung. Ich wundere mich über unsere deutsche Zurückhaltung, über diese Angstdebatte, dass man das erst in Deutschland vergeben darf, wenn alle das Angebot einer Impfung hatten. Nein! Wer immun ist, bei dem gibt es keinen Grund mehr, ihn in seinen Grundrechten einzuschränken, weil er andere nicht mehr anstecken kann. Wir sollten hier nicht in eine Neiddebatte verfallen
Könnte man so nicht vielleicht auch sogar einer mangelnden Impfbereitschaft entgegenwirken?
Ich halte es für denkbar, dass das ein Anreiz ist, sich impfen zu lassen. Etwa 15 Prozent der Bevölkerung will gar nicht geimpft werden, 25 Prozent sind noch skeptisch. Zumindest die Skeptiker können wir mit solchen Anreizen sicherlich überzeugen.
Quelle: ntv.de, jog