Autorin schreibt über Sucht-Tabu "Ich habe versucht, mich vor meiner Mama totzutrinken"
03.10.2025, 18:07 Uhr Artikel anhören
"Ich war immer für meine Mama da. Und trotzdem habe ich mich nach ihrem Tod gefragt, ob ich mich genug gekümmert habe. Vor allem, weil mir vereinzelt unterstellt wurde, dass ich nicht genug getan habe. Aber da kam dann der Trotz in mir hoch."
(Foto: Victoria Kaempfe)
Franziska Hohmann sagt über ihr Buch "Gut, dass du nicht mehr da bist": "Es ist okay, erleichtert zu sein, wenn man einen geliebten Menschen verliert, und es erfordert Mut, darüber zu sprechen." Sie spricht mit ntv.de über Schuld und Trotz; Liebe und Suizidgedanken, Alkoholmissbrauch und das ewige schlechte Gewissen. Das Gefühl, sich nicht genug gekümmert zu haben, obwohl sie bis - und über - ihre Grenzen gegangen ist. Sie erzählt, wie sie sich aus ihrem emotionalen Gefängnis befreit hat und mit Resilienz und viel Arbeit an sich selbst die wurde, die sie heute ist.
ntv.de: Dein Buch ist sehr ehrlich …
Franziska Hohmann: Ja, es ist mein ganzes Leben. Deswegen kann ich das gut erzählen, weil es die Wahrheit ist. Es ist mir wahnsinnig wichtig, darüber zu sprechen, weil zu wenig darüber gesprochen wird, was mit Kindern passiert, die parentifiziert sind.
Also mit Kindern, die zum Beispiel mit psychisch kranken Eltern aufwachsen.
Genau, was da los ist, was da hinter vielen verschlossenen Türen passiert.
Du erzählst aus zwei Perspektiven, das ist ein genialer Kniff. Einmal die Geschichte des Kindes Franzi, und dann die Geschichte der erwachsenen Frau, Franziska. Wieviel Mitleid hattest du beim Schreiben mit dem Kind, das du warst?
Erst einmal muss ich sagen, dass ich das Buch nicht allein geschrieben habe, sondern gemeinsam mit der Journalistin Nina Faecke. Das alles wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Mir haben so viele gesagt, ich solle mal meine Geschichte aufschreiben, weil ich damit vielleicht anderen helfen kann. Ich habe Nina also sehr viele Interviews gegeben, und sie hat das dann in die Perspektiven gebracht. Sodass ich, als noch immer heilende Franzi, in der Ich-Perspektive sagen kann, ich stehe vollkommen dahinter. Ich darf erzählen, wie es wirklich war, denn es ist ja mir passiert. Und ich kann so ehrlich sein, weil meine Eltern nicht mehr da sind, und auch, weil ich keine Kinder habe, denke ich. Was mir sehr wichtig ist, sind die Protokolle, die wir mit Freunden von mir und auch meiner Mutter gemacht haben.
Franziska Hohmann arbeitete schon mit Anfang 20 erfolgreich als PR-Managerin mit internationalen und nationalen Showbiz-Stars wie Sarah Connor, Tokio Hotel, Helene Fischer, Rita Ora oder Lenny Kravitz zusammen. Jahrzehntelang raste sie auf der Überholspur durch ihr Leben, so, als wäre sie auf der Flucht. Zuerst zum Anfang: Franzi ist Einzelkind. Ihre Mutter schwer an Depression erkrankt, sie konnte sich meist nicht so um sie kümmern, wie es ein Kind gebraucht hätte. Liebevolle Großeltern, eine Pflegefamilie und letztlich das Leben in einem Internat gaben ihr ein Ersatzzuhause. Und dennoch staute sich während ihrer Kindheit und Jugend eine Menge Schmerz in ihr an, den sie irgendwann zu betäuben begann, weil sie sich nicht anders zu helfen wusste. Dabei wollte sich Franzi jahrelang selbst nicht eingestehen, dass ihr der Alkohol mehr und mehr zum Verhängnis wurde. Heute lebt Franziska Hohmann in Berlin und auf Mallorca. An beiden Plätzen spielt sich ihr privates wie berufliches Leben ab. "Hätte man mir vor ein paar Jahren von meinem Leben erzählt, wie es heute ist, hätte ich es vermutlich nicht glauben können. Dies ist auch der Grund, warum mir meine Arbeit als Coach so wichtig ist. Ich möchte zeigen: Veränderungen sind möglich, kleine wie große!"
Hattest du Angst davor, das alles aufzuschreiben?
Nein, denn ich wusste, dass mein gesamter Freundeskreis und alle Menschen, die mir wichtig sind, hinter mir stehen und mich supporten. Warum sollte ich da Angst haben?
Ich war neulich tanken, an der Tankstellenkasse stand eine Frau, Sonntagvormittag, sie hatte nicht getankt, aber eingekauft. Süßigkeiten und Alkohol. Kleine Fläschchen, Wodka ...
… das hätte ich früher sein können …
… ihre Aussprache war etwas langsam, sie sah gut aus, der Tankstellenmitarbeiter kannte sie und sagte: "Na Blondie, Wochenende gerettet?" Ich fand's frech. Im Rausgehen wurde mir klar, das ist wie früher im Supermarkt, das Quengelregal, wo die Süßigkeiten an der Kasse für die Kinder stehen, stehen die kleinen Flaschen direkt an der Kasse. War mir noch nie so aufgefallen – das Quengelregal für Erwachsene mit Alkoholproblemen …
Ja, das war mein Quengelregal, jahrelang. Und was ich jetzt manchmal denke, ist, dass ich mich, wie ein Kind, gern mal auf den Boden schmeißen würde und mit den Füßen trampeln möchte. Weil ich keinen Alkohol mehr zu mir nehmen darf, um mich zu beruhigen. Nie wieder! Der kleinste Tropfen würde mich in mein altes Nirwana befördern. Alles würde von vorn losgehen. Wie gern würde ich einfach mal sagen: Jetzt ein Glas Wein und Kopf aus – aber diese Krankheit ist immer in mir! Aber ehrlich – wenn das alles wäre, was das Buch bringt, dass man sagt, hey, diese Frau an der Tankstellenkasse ist nicht crazy, sondern krank, dann habe ich schon sehr viel erreicht.
Kann man nichts machen gegen diese Quengelregale?
Das wäre eine sehr sinnvolle Idee, aber ich fürchte, es wird ein langer Weg sein. Ich habe schon von Initiativen gehört, das ist definitiv etwas, wofür ich mich auch einsetzen möchte.
Wie wehrst du dich gegen das krasse Überangebot an Alkohol im normalen Alltag?
Ich habe alle Suchtverlagerungen durch (lacht): Ich war erst in der Klinik, dann auf Entzug, dann habe ich viel Essen in mich reingeschaufelt, so viel, dass ich dick wurde, da hat meine Mutter dann gesagt, na Franzi, ganz schön zugelegt. Dann habe ich Fressen und Kotzen für mich entdeckt, aber das hat sich zum Glück schnell wieder gelegt. Dann war ich shoppen – man kann sich nicht vorstellen, wie viele Sneaker und bunte T-Shirts ich besitze. Dann kam Arbeit – mit Arbeit kann man sich wunderbar betäuben. Mein Job als PR-Managerin ist es, Künstlern zu helfen. Ich helfe dabei, erfolgreich zu sein, ins Fernsehen zu kommen und in die Charts, da ist viel los. Und dann habe ich zum Glück Sport für mich entdeckt – CrossFit und Hyrox. Ich habe Wettkämpfe mitgemacht, das ist mein Ventil geworden. Da muss man den Arsch hochkriegen und kann wunderbar abschalten. Wenn man alle seine Süchte kontrolliert und sich mal mit etwas belohnen will, wird es allerdings eng.
Belohn' dich doch mit dem, was du geschafft hast – hast du bestimmt schon oft gehört …
Hundertprozentig, ja (lacht). Aber das ist nicht so einfach. Ich bin auch kein Typ für Bäume umarmen. Ich rauche auch nicht. Ich belohne mich eher mit noch mehr "Arbeit" und hab' mir eine Ausbildung zum systemischen Coach gegönnt.
Du bist aber keine, die andere bekehren will ...
Nein, ich kann nur offen sein und alle Fragen beantworten, die andere mir stellen. Ich kann erzählen, wie es wirklich ist: in Kliniken, in Suchtstationen, im Alltag. Was ich schade finde, ist, wenn meine alten Suchtfreunde sich nicht trauen, über ihr Problem zu sprechen. Es ist, wie eine Allergie zu haben, wie Diabetes. Wenn ich Diabetes habe, dann kein Zucker, wenn ich eine Allergie gegen Tomaten habe, dann keine Tomaten, eigentlich ganz easy. Wenn ich das nicht beachte, dann sterbe ich. Es gibt schon viele, die einfach weg sind, durch Suizid, durch multiples Organversagen.
Du hattest auch Suizidgedanken …
Ja, und das Schlimmste war, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte. Ich lebe nur, weil andere mich davon abhalten konnten. Ich war zutiefst gerührt, als ich später erfuhr, dass es eine WhatsApp-Gruppe von Freunden gab, die sich um mich kümmerten. Ich war machtlos gegen den Stoff Alkohol, ich war machtlos gegen die Krankheit meiner Mutter, und jetzt kann ich, auch dank meiner Freunde, versuchen, mit dem, was ich gelernt habe, als mutiger Mensch, der ich zum Glück bin, dagegen vorzugehen. Ich weiß, dass ich zu allem stehe, was ich getan habe. Ich habe versucht, mich vor meiner Mama totzutrinken, und ich habe im Krankenhaus nicht davor zurückgeschreckt, Desinfektionsmittel zu trinken. Das ist das Leben eines Süchtigen, Punkt.
Danke, dass du so offen bist.
Ich kann mit voller Überzeugung sagen, dass ich Alkohol schön fand, geliebt habe, und dachte, das ist die Lösung, weil alles nicht mehr so weh tut, wenn man Schmerzen und Probleme hat. Meine beste Internatsfreundin, Ramona, beschreibt ja, wie ich als Kind war: Ziemlich in mich gekehrt, eher introvertiert, und dann habe ich Alkohol getrunken und bin zum Partybiest mutiert. Ich wurde von Jekyll zu Hyde.
Bist du noch immer so eine Kümmerin?
(lacht) ‘Ne Mutti bin ich immer noch, leider. Ich gucke, dass es allen gut geht, sie sich wohlfühlen und ihnen warm ist. Manchmal vergesse ich mich selbst darüber. Daran darf ich noch arbeiten.
Jetzt die schlimmste Frage: Darf man froh sein, wenn die Mutter, die einem so viele Probleme bereitet hat, tot ist? So heißt dein Buch ja schließlich auch …
Ich liebe diese Frage. Weil sie mich jeden Tag wieder herausfordert. Und mich jedes Mal neu vor die Frage stellt: "Darf ich das?" Und ja, ich Franziska Hohmann, darf das sagen. Ich habe völlig verdrängt, wie ich aufgewachsen bin, was mir alles gefehlt hat, dass wir eine Dreiecksbeziehung hatten: Meine Mama, ihre Krankheit und ich. Dass meine Mutter nun weg ist und mit ihr ihre Krankheit, erlaubt mir, erleichtert zu sein. Ich darf das fühlen. Das wird selten ausgesprochen.
Wie hat deine Umwelt auf den Buchtitel reagiert?
Eine befreundete Yoga-Lehrerin meinte: "Endlich sagt mal jemand, wie es ist!" Und auch sonst erfahre ich eigentlich viel mehr Zuspruch als Gegenwind für den Buchtitel.
Mit Franziska Hohmann sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de