Panorama

Ermittlung in alle Richtungen Scholz spricht nach Todesfahrt in Berlin von "Amoktat"

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Mitten in der Berliner Innenstadt rast ein Autofahrer in eine Menschengruppe auf einem Bürgersteig. Eine Lehrerin aus Hessen stirbt, zahlreiche Schüler werden verletzt. Ein schrecklicher Unfall oder Absicht? Lange ist das unklar. Inzwischen spricht die Polizei von einer Amoktat. Auch Bundeskanzler Scholz meldet sich zu Wort.

Der tödliche Vorfall mit einem Auto nahe der Berliner Gedächtniskirche sorgt für Entsetzen - und wird von Bundeskanzler Olaf Scholz nun als "Amoktat" bezeichnet. "Die grausame Amoktat an der Tauentzienstraße macht mich tief betroffen", schrieb der SPD-Politiker bei Twitter. Der Fahrer des Autos, das eine Schülergruppe erfasst und die Lehrerin in den Tod gerissen hatte, war nach jüngstem Kenntnisstand wohl psychisch beeinträchtigt. "Die Reise einer hessischen Schulklasse nach Berlin endet im Alptraum. Wir denken an die Angehörigen der Toten und an die Verletzten, darunter viele Kinder. Ihnen allen wünsche ich eine schnelle Genesung", so Scholz weiter.

Neben der getöteten Lehrerin wurden nach Angaben der Polizei 14 Menschen verletzt, mehrere von ihnen lebensbedrohlich. Die Trauer und die Anteilnahme aus ganz Deutschland waren enorm. Ein Verdächtiger - ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier - wurde gefasst und in ein Krankenhaus gebracht. Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres zitierte Innensenatorin Iris Spranger bei Twitter mit den Worten: "Bin wieder in meiner Lagezentrale: Nach neuesten Informationen stellt sich das heutige Geschehen an der #Tauentzienstrasse als eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen dar." Mehr Details dazu nannte sie nicht.

Ein Sprecher der Berliner Polizei sagte: "Es gibt Indizien, die die Theorie eines psychischen Ausnahmezustands stützen." Es handle sich aber um eine von mehreren möglichen Versionen. "Nach Durchsuchungen laufen Ermittlungen und Spurenauswertung intensiv weiter", schrieb die Polizei bei Twitter. Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte zuvor im RBB ebenfalls die Offenheit der Ermittlungen betont: Man schließe im Moment "gar nichts" aus, sagte sie. Die Ermittlungen würden von einer Mordkommission geführt. Unter anderem wurde die Wohnung des Fahrers in Charlottenburg durchsucht. Viel versprechen sich die Ermittler auch von Videos und Fotos von Zeugen.

Plakate, aber kein Bekennerschreiben

Im Wagen wurden neben Schriftstücken auch Plakate mit Aufschriften gefunden. "Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht", betonte Innensenatorin Spranger. Zuvor hatte es aus Polizeikreisen geheißen, es sei ein Bekennerschreiben gefunden worden. Spranger sprach von "Plakaten", auf denen Äußerungen zur Türkei stehen würden. Der Fahrer war mit einem Auto unterwegs, das seiner älteren Schwester gehört. Er soll der Polizei wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, jedoch nicht in Zusammenhang mit Extremismus.

Die Schwester des Verdächtigen sagte einem "Bild"-Reporter: "Er hat schwerwiegende Probleme." Nachbarn äußerten sich der Zeitung zufolge erstaunt, "dass er zu so einer Tag fähig ist." Man habe derzeit keine Erkenntnisse gegen den Fahrer seitens des Verfassungsschutzes, sagte Spranger in der RBB-"Abendschau". Sie sprach den Hinterbliebenen und Angehörigen ihr Mitgefühl aus und kündigte für Donnerstag eine Trauerbeflaggung in Berlin an.

Gedenkandacht in der Gedächtniskirche

Am Abend gedachten zahlreiche Menschen in der Gedächtniskirche der getöteten Frau und der Verletzten. Vor Ort waren unter anderem Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse, aber auch Einsatzkräfte der Feuerwehr und Polizei. Viele Bürgerinnen und Bürger drückten bei der Andacht ebenfalls ihre tiefe Anteilnahme aus. Auf arglose Menschen sei bei dem Vorfall am Mittwoch "brutale Gewalt" eingebrochen, sagte die Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein bei der Andacht. "Eine solche Situation verschlägt uns die Sprache." Viele Zeugen und Betroffene hätten noch die Schreie der Menschen in den Ohren. Die Polizei richtete eine Telefonhotline für Angehörige ein, vor Ort waren Seelsorgerinnen und Seelsorger im Einsatz.

Der Vorfall spielte sich nach bisherigem Stand so ab: Der Mann fuhr den Renault-Kleinwagen am späten Vormittag an der Straßenecke Ku'damm und Rankestraße auf den Bürgersteig des Ku'damms und in die Menschengruppe. Dann fuhr er auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstraße Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Straße lenkte er den Wagen erneut von der Straße auf den Bürgersteig, touchierte ein anderes Auto, überquerte die Marburger Straße und landete im Schaufenster einer Parfümerie. Die Bundesregierung, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigten sich bestürzt über das Geschehene. "Meine Gedanken sind bei den schwer und sehr schwer Verletzten, bei dem Todesopfer", erklärte Steinmeier. "Und sie sind bei denen, die Schreckliches erleben mussten. Mein tiefes Mitgefühl gilt ihnen, allen Angehörigen und Hinterbliebenen." Giffey sagte den Betroffenen Unterstützung zu.

Schüler fahren nach Hessen zurück

Erst am Abend wurde das Unfallfahrzeug geborgen.

Erst am Abend wurde das Unfallfahrzeug geborgen.

(Foto: REUTERS)

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Die hessische Landtagspräsidentin Astrid Wallmann sprach im Namen der Abgeordneten ihr tiefes Mitgefühl aus. "Ich bin tief betroffen über den entsetzlichen Vorfall", sagte die CDU-Politikerin in Wiesbaden. "Der hessische Landtag ist in Gedanken bei den Angehörigen der getöteten Lehrerin, und wir hoffen, dass die Verletzten wieder vollständig genesen. Ebenso denken wir an die Kinder und Passanten, die diese Schreckensfahrt vor Ort miterleben mussten." Die Schule in Bad Arolsen werde ihren Regelbetrieb aufnehmen und zugleich die Schüler in Empfang nehmen, die aus Berlin mit Bussen zurückgebracht würden, sagte der Bürgermeister der Stadt, Marko Lambion. Betroffen sei eine Abschlussklasse mit 24 Schülern einer Realschule in Bad Arolsen. Sie sollten betreut und aufgefangen werden.

Die Gegend, in der sich der tödliche Vorfall ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürdigkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland. Der Unfallort befindet sich unweit der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg. Dort war im Dezember 2016 ein islamistischer Attentäter in einen Weihnachtsmarkt gefahren. Dabei und an den Spätfolgen starben 13 Menschen, mehr als 70 wurden verletzt. Der Fall vom Mittwoch weckte in Berlin auch Erinnerung an eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.

Quelle: ntv.de, ino/mba/dpa

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