Panorama

Ulrike Protzer bei ntv "Mit der Herdenimmunität wird's schwierig"

Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie an der Technische Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München.

Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie an der Technische Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München.

(Foto: Sven Hoppe/dpa/Archivbild)

Die Delta-Variante bestimmt die Schlagzeilen, Virologen warnen vor einer vierten Corona-Welle im Herbst. Auch Professorin Ulrike Protzer von der Uni München. Bei ntv erklärt sie aber, warum Panik fehl am Platze ist und warum sie sich nicht besonders vor weiteren Varianten des Virus fürchtet.

ntv: Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Andreas Gassen, warnt angesichts der Debatte um die Delta-Variante vor Hysterie. Finden Sie auch, dass das Panikmache ist, oder sind wir da einfach nur vorsichtig?

Ulrike Protzer: Ich glaube nicht, dass es Panikmache ist. Ich glaube aber auch nicht, dass wir Panik brauchen. Es gibt diese Variante und sie ist ansteckender. Es gibt Berichte, dass sie auch zu mehr Krankenhausaufnahmen führt. Da muss man noch sehen, ob sich das bestätigt. Aber sie ist definitiv ansteckender und sie wird sich durchsetzen. Und wenn sie ansteckender ist, muss man natürlich auch eine höhere Wachsamkeit haben vor einer neuen Welle, dann eventuell im Herbst. Die gute Nachricht ist: Wir wissen, dass unsere Impfstoffe uns davor schützen, krank zu werden, schwerer krank zu werden und ins Krankenhaus zu kommen, und einige auch sehr, sehr gut davor, dass man sich überhaupt ansteckt.

Müssen wir denn nach der Delta-Variante noch mit weiteren Mutationen rechnen?

Das muss man schon. Dieses Virus wird sich evolutionär immer weiter anpassen. Aber Evolution hat ja ein Maximum. Die geht ja nicht ständig steil nach oben, sondern das geht erstmal steil und dann flach, und ich glaube, dieses Virus ist schon eine sehr optimierte Variante. Also wahnsinnig viel mehr würde ich da jetzt persönlich nicht mehr erwarten oder befürchten.

Daten des RKI zeigen, dass die Delta-Variante vor zwei Wochen etwa 32 Prozent der Infektionen in Deutschland ausmachte. Schaffen wir es denn jetzt, eine Herdenimmunität zu erreichen?

Das wird immer schwieriger, je ansteckender die Varianten werden. Denn je höher diese R-Zahl ist, also je mehr Menschen von einem angesteckt werden, umso schwerer ist es, eine Herdenimmunität zu erreichen. Es war am Anfang so, dass ein Mensch drei angesteckt hat, dann bei der Alpha-Variante ein Mensch vier bis fünf, und jetzt kann wohl ein Mensch sechs andere anstecken. Das heißt, wir bräuchten für eine Herdenimmunität 84 Prozent komplett Immune in der Bevölkerung und das ist schwierig zu erreichen. Denn wir haben ja schon Menschen, die man nicht gut impfen kann, wir haben Kinder, kleine Kinder, für die es noch keinen Impfstoff gibt. Also mit der Herdenimmunität wird's schwierig. Aber die Herdenimmunität würde ja bedeuten, das sich das Virus gar nicht mehr ausbreiten kann. Das brauchen wir vielleicht aber gar nicht. Wenn wir so weit kommen, dass wir das Virus gut beherrschen und zumindest die Überlastung des Gesundheitssystems verhindern können, dann ist ja eigentlich das erreicht, was wir wollten.

Trotzdem kauft Jens Spahn für 2022 noch einmal 200 Millionen Impfdosen ein. Denken Sie, dass wir diese Auffrischungsimpfung dann überhaupt brauchen, wenn man davon ausgeht, dass die mRNA-Impfstoffe möglicherweise sogar jahrelang schützen werden?

Wir wissen noch nicht, wie lange der Schutz hält. Solange haben wir einfach noch keine Beobachtungszeit. Wir wissen, dass sie sehr gut für neun Monate schützen. Wir gehen davon aus, dass es 12 bis 18 Monate sind. Aber es macht natürlich schon Sinn, gerade diejenigen, die zuerst geimpft worden sind, im nächsten Jahr nochmal boosten zu können, eventuell bei einigen schon dieses Jahr im Herbst. Und wenn man dann adaptierte Impfstoffe verwenden kann, die angepasst sind an die ansteckenderen Varianten, dann kann man den Schutz nochmal verbessern.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Kinder und Jugendlichen und auch auf die Schulen werfen. Die Niederlande impfen jetzt alle Kinder und Jugendlichen ab zwölf Jahren. Grundsätzlich ist das zwar auch bei uns möglich, es gibt aber keine generelle Empfehlung. Denken Sie, dass die STIKO da ihre Entscheidung nochmal überdenken sollte?

Ich denke, wenn die Datenlage und Studienlage sich ändert, überdenkt die STIKO ja ständig ihre Entscheidungen. Und die STIKO-Entscheidung ist ja so, dass sie großzügig auch eine Impfung von 12- bis 15-Jährigen zulässt. Es gibt nur keine generelle Impfempfehlung, jedes Kind zu impfen. Ich glaube, dass das eine ganz gute Entscheidung ist. So können die Eltern das entscheiden und gemeinsam mit dem Kinderarzt besprechen.

Von allen Seiten kommen auch Forderungen, dass man die Ferien sinnvoll nutzen sollte, um die Schulen auszurüsten, um sie vorzubereiten auf sinnvolle Hygienekonzepte nach den Ferien. Haben Sie den Eindruck, dass die Kultusminister da gerade genug tun, um die Jüngeren zu schützen?

Das hoffe ich. Wir haben das ja letztes Jahr schon gesagt vor den Sommerferien, haben im Juni angefangen zu mahnen: "Bitte bereitet euch vor auf den Herbst, es wird eine neue Welle geben." Dann hieß es immer: "Ja, aber jetzt sind Sommerferien." Schön, dann kam die Welle. Ich glaube, dieses Jahr sind wir ein bisschen schlauer geworden. Jetzt haben die Kultusminister und auch die Vertreter der Lehrer von sich aus gesagt, wir müssen hier was tun, wir müssen uns auf den Herbst vorbereiten. Und ich hoffe sehr, dass das auch wirklich passiert.

Welche Konzepte braucht es denn da?

Ich glaube, es braucht für jede Schule ein gutes Hygienekonzept. Es braucht meines Erachtens einen Hygienebeauftragten, der dafür verantwortlich ist, dieses Konzept an die individuelle Lage der Schule anzupassen, sich aber auch auszutauschen mit den benachbarten Schulen und einfach voneinander zu lernen. Ich glaube, damit wäre schon ein Riesenschritt getan. Dann ist immer wieder die Frage: Brauche ich Lüftungseinrichtungen? Das ist das, was man individuell schauen muss. Wie gut lassen sich denn Klassenräume lüften, was brauche ich an zusätzlicher Einrichtung? Auch dafür braucht es jemanden vor Ort, der da entsprechend ausgebildet und geschult ist und der das entscheiden und die entsprechenden Anschaffungen auch initiieren kann.

Mit Professorin Ulrike Protzer sprach Nele Balgo

Quelle: ntv.de

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