Panorama

Interview mit Mediziner Janssens "Mitte des Sommers kann das Schlimmste durch sein"

Janssens moniert die bereits wieder beginnenden Alleingänge einzelner Bundesländer.

Janssens moniert die bereits wieder beginnenden Alleingänge einzelner Bundesländer.

(Foto: ntv)

Die Belegung der Intensivstationen bleibt hoch. Das gilt auch für die Belastung der dort Beschäftigten. Intensivmediziner Janssens mahnt deshalb eindringlich, den eingeschlagenen Weg ungeachtet der Entscheidung in Nachbarländern weiterzugehen. Eine Ausweitung der Impfkampagne könnte bereits in absehbarer Zeit für Entspannung sorgen.

ntv: Herr Janssens, können Sie uns ein aktuelles Update geben? Wie sieht es gerade auf den Intensivstationen aus?

Uwe Janssens: Wir haben immer noch mehr als 5000 Covid-19-Patienten. Die Belastungen in einigen Zentren in Deutschland, vor allen Dingen den Großstädten, ist in den intensivmedizinischen Abteilungen immer noch außerordentlich hoch. Das gilt auch für Patienten und Mitarbeiter.

Bei den Mitarbeitern herrscht praktisch seit dem Herbst Ausnahmezustand auf den Intensivstationen. Ist dies inzwischen die neue Normalität?

Nein, das ist keine neue Normalität geworden. Man gewöhnt sich daran nicht. Wir müssen sehr stark aufpassen, dass die Widerstandsfähigkeit der Mitarbeiter nicht so derart beansprucht wird, dass sie unter der Last physisch wie psychisch zusammenbrechen. Wir haben aktuell eine Umfrage bei 1300 Beschäftigten in Gesundheitsfachberufen durchgeführt. Dabei haben 30 Prozent erklärt, in den nächsten zwölf Monaten vor allem wegen der Belastungen durch die Corona-Pandemie den Beruf beziehungsweise die Arbeitsstelle verlassen zu wollen. Das macht uns natürlich große Sorgen, denn das ist Ausdruck einer nachhaltigen Überlastung. Deshalb gibt es ja unsere Rufe, die Inzidenz herunterzufahren.

Was kann man jetzt machen, um diese Menschen noch im Beruf zu halten?

Wir brauchen allein fünf Jahre, um Personen in diesen Beruf hereinzubekommen. Es gab die "Aktion Pflege" des Gesundheits- und des Arbeitsministeriums. Die Pandemie hat das leider ein bisschen in den Hintergrund gedrängt, obwohl gerade die Intensivpflege sehr prominent wahrgenommen wurde. Unsere Appelle zielen auch darauf ab, dass wir aufpassen müssen, nicht Fachpflegekräfte in einer Situation zu verlieren, in der wir uns das gar nicht erlauben können. Die Corona-Pandemie wird hoffentlich in diesem Jahr an einen Punkt kommen, an dem wir das Problem vielleicht gelöst haben. Aber wir haben noch die große Masse an anderen Patienten zu versorgen und benötigen dringend Fachpflegepersonal. Da muss die Politik jetzt eingreifen. Gesundheitsminister Spahn hat verkündet, nochmal genau hinzuschauen, wie man zukünftig sicherstellen kann, dass die Intensivbereiche ausreichend mit Personal ausgestattet sind. Das ist und bleibt das Kernproblem und wird uns in den nächsten Monaten und Jahren beschäftigen.

Als Intensivmediziner gucken Sie natürlich auch immer auf die Neuinfektionszahlen, denn je höher die sind, umso mehr Intensivpatienten kann man in der Zukunft erwarten. Jetzt gerade stagnieren die ein bisschen. Haben wir das Schlimmste überstanden?

Wir bleiben hoffentlich auf diesem Niveau und können das absenken. Doch es gelingt nur mit der Unterstützung der gesamten Bevölkerung. Es wird immer der Eindruck erweckt, die Menschen würden nicht mitmachen. Nein, die meisten Menschen machen mit. Wenn wir das gemeinsam schaffen mit der Impfstrategie, die vorangetrieben werden muss unter Hinzunahme der Hausärzte und der Betriebsärzte, dann haben wir eine gute Chance, Mitte des Sommers mit dem Schlimmsten durch zu sein. Da bin ich fest von überzeugt.

Die Niederlande lockern jetzt bei einer Inzidenz von 300. Frankreich lockert ebenfalls, obwohl es 6000 Covid-Patienten auf den Intensivstationen gibt. Wir hätten angesichts solcher Zahlen große Angst vor einer Überlastung unseres Gesundheitssystems. Sind da unsere Nachbarländer einfach ein bisschen leichtsinniger, oder haben die ein anderes Gesundheitssystem, das mit solchen Zahlen besser umgehen kann?

Ich glaube, an dieser Stelle ist Vorsicht geboten. Das sind Großversuche, die einzelne Staaten unternehmen. Angesichts der Zahlen ist es erstaunlich, dass die niederländische Politik diese Schritte geht. Es ist auch ein bisschen anachronistisch, wenn die Niederlande auf der einen Seite überfüllte Intensivstation melden und um Hilfe bitten, und auf der anderen Seite gelockert wird mit dem Risiko, dass sie die Infektionszahlen nicht in den Griff bekommen. Das versteht man nicht so ganz. Die klare Botschaft von unserer Seite ist, dass wir den aktuellen Kurs, so anstrengend er für die Bevölkerung auch sein mag, unbedingt fortfahren sollten.

Sie sagen "unser Kurs in der Pandemie". Sie haben hier oft kritisiert, dass wir auf Länderebene sehr unterschiedliche Maßnahmen und keine Einheitlichkeit haben. Jetzt gibt es die Bundes-Notbremse. Glauben Sie, dass wir jetzt besser mit der Pandemie umgehen können und sie schneller bekämpfen können?

Wir haben seit 14 Monaten das Dauerthema Corona-Pandemie. Jetzt kommt eine einheitliche Ansage mit der Folge, dass diverse Verfassungsklagen anstehen, die sich vor allem mit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung auseinandersetzen. Wir erleben in Süddeutschland den nächsten Alleingang eines Landes mit Erleichterungen für Geimpfte. Da kann ich wieder keine Abstimmung erkennen und sehe die nächste Diskussion aufkommen. Es betrübt einen schon, dass dieser immer gleiche Modus fortgeführt wird mit den verschiedenen Themen.

Mit Uwe Janssens sprach Nina Lammers

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen