Panorama

Bereits mehr als 200 Tote Mocoa ertrinkt in einer Schlammlawine

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Heftiger Regen lässt drei kleine Flüsse in den kolumbianischen Anden zu reißenden Strömen anschwillen, eine ganze Stadt versinkt in den Fluten. Die Katastrophe wird durch menschliche Fehler noch verstärkt und weckt Erinnerungen an ein nationales Trauma.

Die Heimsuchung kommt in der Nacht, der Schlaf wird für viele Menschen zur tödlichen Falle. Mocoa, eine beschauliche Stadt am Fuße der kolumbianischen Anden, gegründet am 29. September 1563 von Gonzalo Avendaño, erlebt an diesem ersten Apriltag seine schwärzesten Stunden. Heftiger Regen macht die umliegenden Flüssen zu reißenden Fluten, Schlammlawinen gehen von den Berghängen nieder. Luftbilder zeigen: wo gerade noch Häuser standen, ist nichts mehr außer Schlamm.

Staatspräsident Santos verschafft sich per Helikopter einen Überblick über die Lage.

Staatspräsident Santos verschafft sich per Helikopter einen Überblick über die Lage.

(Foto: REUTERS)

Mütter, Väter, Kinder, Nachbarn, Freunde: alle getötet durch die unbarmherzige Kraft der Natur, begünstigt durch menschliche Fehler. Stündlich werden die Opferzahlen nach oben korrigiert, Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos hat eine Kuba-Reise gecancelt, er bestätigt vor Ort 112 Tote, bald sind es 150, dann über 200. "Wir wissen nicht wie viele es werden." Er verhängt den Katastrophenzustand, Soldaten retten eingeklemmte Menschen aus den Ruinen.

Ein 23-jähriger Polizist wird vom Strom mitgerissen, als er gerade versucht, ein 12-jähriges Mädchen zu retten, beide ertrinken. "Das ist eine Tragödie von unvorstellbarem Ausmaß für die Stadt", sagt Sorrel Aroca, Gouverneurin der Region Putumayo. Es gibt keinen Strom und kein Trinkwasser, Handys werden per Autobatterien geladen, um mit Angehörigen das Leid zu teilen. In Nacht eins nach dem Grauen halten sich die Menschen an den Händen, Kerzen spenden Licht. Wie konnte es dazu in der 40.000-Einwohner-Stadt kommen?

Erinnerungen an nationales Trauma

Schlamm, soweit das Auge reicht: Das eigentliche Flussbett ist dagegen kaum noch zu erkennen.

Schlamm, soweit das Auge reicht: Das eigentliche Flussbett ist dagegen kaum noch zu erkennen.

(Foto: AP)

In der Nacht zu Samstag setzen heftige Regenfälle ein, nichts ungewöhnliches für diese Jahreszeit, aber die Mengen sind völlig überraschend. Durch die Hanglage schießt das Wasser herunter und lässt die Flüsse rasend schnell anschwellen. Umweltexperten sehen vor allem die Abholzung an den Berghängen und die Ansiedlung an Flußufern als Gründe für das Ausmaß der Katastrophe. Und sie sehen im Klimawandel den Grund für diese zunehmenden plötzlichen Wetterextreme. Auch im Nachbarland Peru kam es zuletzt zu dramatischen Überschwemmungen mit über 100 Toten.

Die Schlammmassen lassen in Minuten die Flüsse Mocoa, Mulato und Sancoyaco anschwellen, Erdrutsche von den Hängen werden zu tödlichen Lawinen. "Häuser in 17 Vierteln sind praktisch ausradiert worden", sagt Bürgermeister José Antonio Castro. "Mein Haus wurde auch zerstört, der Schlamm steht bis an die Decke", erzählt Castro. Kurz vor Mitternacht sei er von lautem Krachen aufgeweckt worden, als Schlamm, Felsen und Wasser ganze Viertel unter sich begruben, erzählt der Anwohner Evaristo Garcés der Zeitschrift "Semana". Er und seine Familie überleben, weil sie auf einem Hügel wohnen. Im Morgengrauen sieht er verzweifelte Menschen zu den Bergen laufen, schmutzig, weinend, das wenige gerettete auf den Schultern tragend.

In Kolumbien werden sofort Erinnerungen an das nationale Trauma schlechthin wach. "Mocoa ist ein kleines Armero", sagt der Überlebende Orlando Dávila. Armero, das ist heute wohl das größte Massengrab, durch das eine Schnellstraße führt, auf dem Weg von Bogotá nach Manizales. Vorbei an Hunderten weißen Holzkreuzen mit dem Todesdatum 13. November 1985. Auch hier brach die Katastrophe in der Nacht herein. Der 5390 hohe Vulkan Nevado del Ruiz brach aus, Lava ließ die Eiskappe schmelzen und löste eine Schlammlawine aus, die rund 25.000 Menschen tötete. Das Bild des in den Schlammmassen qualvoll sterbenden Mädchens Omaira Sánchez ging damals um die Welt.

Mocoa wurde nicht komplett von der Landkarte gelöscht, aber 554 Jahre nach der Gründung wird auch dieser zuvor idyllische Ort zum Synonym für eine Katastrophe.

Quelle: ntv.de, Georg Ismar, dpa

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