Stricken oder Kegeln Omas Hobbys feiern Comeback
04.10.2025, 09:26 Uhr Artikel anhören
Handarbeiten werden wieder cool.
(Foto: picture alliance / VisualEyze)
Gaming, Techno-Partys und Pilates sind typische Hobbys der jungen Generationen. Doch immer mehr wenden sich auch Stricknadeln, Sauerteigen oder Kegeln zu. Wo liegt der Reiz?
Angestaubte Hobbys oder neuer Hype auf Social Media? Einige Freizeitaktivitäten, die man eher Oma und Opa zuordnen würde, werden gerade wieder beliebter. Der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2024 zufolge setzt sich der Trend zu mehr digitaler Beschäftigung bei den 14- bis 25-Jährigen zwar fort - in den sozialen Medien werden aber ausgerechnet bewährte Hobbys geteilt.
Besonders Stricken findet viel Beachtung. Auf Social Media gibt es darum selbst gemachte Decken, Kuscheltiere und knappe Tops in bunten Farben. Zu denjenigen, die solche Beiträge veröffentlichen, gehören auch Lilly und Julia Schwarzkopf. Die beiden Schwestern aus dem bayerischen Aschaffenburg zählen auf ihrem Instagram-Account "Lesfillesducoeur" rund 93.000 Follower. Neben Studium und Teilzeitjob ist auch das Stricken zu ihrer Arbeit geworden.
Gerade der Aspekt der Individualisierung von Kleidung sei vermutlich Grund dafür, dass die Garn-Arbeit wieder im Trend liege, sagt Julia Schwarzkopf. "Das ist jetzt nichts von der Stange, sondern ganz individuell auf dich zugeschneidert." Doch für die junge Frau sei es mehr als das. Sie empfinde Stolz, wenn sie eine Vision umsetzen könne und etwas trage, das viel Zeit und Geduld benötige, schwärmt sie. Die Strick-Gemeinschaft sei zudem sehr herzlich, so Schwarzkopf. Gemeinsam mit ihrer Schwester organisiert sie Treffen in Parks und Cafés.
Zwischen Oma und Social-Media-Trend
Über ihre Oma seien sie zum Häkeln und Stricken gekommen, erzählt Schwarzkopf weiter. Ihre Schwester habe anfänglich nur häkeln können, wollte dann aber auch Kleidung selbst machen. Dadurch lernten beide die Nadeln lieben und teilen nun ihre Projekte im Netz. Auch ein Buch über ihr Hobby haben sie veröffentlicht.
Zwischen Alter und Hobbys bestehe ein Zusammenhang, sagt Freizeitforscher Ulrich Reinhardt. Während ältere Menschen die ihren eher als beruhigend, erfüllend und wohltuend empfänden sowie mehr Zeit investierten, wechselten Jüngere häufiger zwischen den Aktivitäten. Sie "lassen sich stärker von Trends oder Social Media inspirieren", sagt Reinhardt.
Lange Zeit verschrien als Alt-Männer-Hobby in verrauchten Eckkneipen, schauen heute viele auf der Plattform "Twitch" live beim Kegeln zu. Der Reiz des Retro-Sports liegt im Gemeinschaftsgefühl. Online erreicht dieses jährlich auf dem Kanal "DoktorFroid" seinen Höhepunkt. Bei ihrem Live-Format "Alle Neune" kegeln die Streamer und Youtuber Oliver Dombrowski und Paul Stehr mit Gästen und begeistern damit etwa eine Viertelmillion Zuschauer.
Sie seien generell große Fans von "Rentnersportarten", erzählt Stehr. Gemeint sind Hobbys, die früher wohl deutlich beliebter waren: Bingo, Shuffle Board oder Arcade-Spiele. Währenddessen sei es jedoch eine Herkulesaufgabe, feste Mitglieder für den Deutschen Kegler- und Bowlingbund (DKB) zu gewinnen, sagt Sprecher Michael Hohlfeld. Zwar sind ihm zufolge 5000 Jugendliche Mitglieder in Vereinen, doch viele spielten auch mit, ohne sich zu engagieren. "Wenn es auf der Kegelbahn voll ist und viele da sind und mitmachen, dann heißt das noch lange nicht, dass wir sehr viele Mitglieder haben", erklärt er.
Auch Freizeitforscher Reinhardt kann das bestätigen. Junge Menschen wünschen sich ihm zufolge mehr Flexibilität. "Das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Sinn ist vorhanden - nur die Formen des Engagements haben sich verändert. Projektbezogene Mitwirkung, zeitlich begrenzte Aufgaben oder hybride Beteiligung sind heute deutlich attraktiver."
Krisen prägen unsere Freizeit
Dass Freizeitaktivitäten wie Kegeln oder Stricken in ihrer Beliebtheit schwanken, erklärt Reinhardt damit, dass sie immer auch ein Spiegel der Gesellschaft seien. In Phasen von Unsicherheit oder Überforderung suche man gezielt nach Hobbys, die entschleunigen und Kraft geben - etwa Gärtnern, Wandern oder Stricken, sagt er. "In anderen Zeiten gewinnen technische, experimentelle oder digitale Hobbys an Bedeutung."
Einen Einfluss hätten aber auch Medien, Vorbilder und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Youtuber Stehr zufolge war es anfangs etwa gar nicht einfach, ein Kegel-Event auf die Beine zu stellen. In Berlin, wo er lebt, gebe es nur wenige offizielle Liga-Bahnen. Weil diese von der Stadt unterstützt würden, brauche es die Zustimmung durch den Senat. Dort war man zunächst aber skeptisch und machte sich Sorgen, die Youtuber könnten sich über den Kegelsport lustig machen wollen. Sechs Monate dauerte darum die Planung vom ersten "Alle Neune". Im Juli dieses Jahr findet das Event zum vierten Mal statt.
Besonders überrascht sei man darüber, wie positiv die Streams bei den Zuschauern und Teilnehmern ankommen, berichtet Stehr. Er glaube, viele für das Kegeln begeistert zu haben, die zuvor wenig Interesse am Sport hatten. Auch aus der Kegel-Community bekommen die Youtuber positives Feedback: Dombrowski und Stehr seien bereits von Bahnen außerhalb Berlins für ihr Event eingeladen worden. Wer einem Hobby nachgehe, handle selbstbestimmt, so Freizeitforscher Reinhardt. Denn man wähle dieses aus freien Stücken. Er sagt, 80 Prozent der Menschen mache ihr Hobby glücklich. "Genau das macht es so wertvoll."
Quelle: ntv.de, Alina Schmidt, dpa