Panorama

Vorwurf der Strafvereitelung Polizist wegen Messerangreifer von Aschaffenburg vor Gericht

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Fünf Monate nach dem Einsatz tötete der angeklagte Afghane zwei Menschen mit einem Messer im Aschaffenburger Park Schöntal.

Fünf Monate nach dem Einsatz tötete der angeklagte Afghane zwei Menschen mit einem Messer im Aschaffenburger Park Schöntal.

(Foto: picture alliance/dpa)

Im Januar ersticht ein afghanischer Flüchtling zwei Menschen in Aschaffenburg. Bereits Monate vor der Tat soll er seine Freundin mit einem Messer angegriffen haben, was jedoch nicht weiter verfolgt wurde. Nun steht ein Polizist vor Gericht.

Von einem Messer wollen die am Tatort eingesetzten Polizisten nichts gewusst haben, Ermittlungen wegen einer möglichen Körperverletzung gibt es nicht - der Richter spricht von Schlamperei: Im Prozess um eine mutmaßliche Strafvereitelung im Amt durch einen Polizisten im fränkischen Alzenau gestaltet sich die Aufklärung der Vorfälle rund um eine mögliche Straftat des späteren Messerstechers von Aschaffenburg schwierig. Für den Prozess vor dem Amtsgericht Alzenau (Landkreis Aschaffenburg) sind zwei Tage angesetzt. Am Dienstag könnte das Urteil gesprochen werden.

Im Prozess geht es konkret um einen Einsatz in der Nacht zum 30. August 2024. Die Polizei wurde zu einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau gerufen, weil Bewohner Schreie gehört haben wollen. In dem Gebäude trafen die ersten beiden Beamten nach Darstellung der Staatsanwaltschaft auf den 28 Jahre alten Verdächtigen, der von Mitbewohnern fixiert wurde. Der Afghane soll seine Freundin in der Unterkunft gewürgt und angegriffen haben, vielleicht mit einem Messer, vielleicht auch nicht. Beide waren betrunken, die Frau wurde laut Ermittlern nicht ernsthaft befragt.

Zwei weitere Polizisten trafen ein, wovon einer Bilder von den Wunden der Frau machte. Der Mann - psychisch auffällig - kommt eine Nacht in Gewahrsam, kehrte aber am nächsten Tag wieder in die Unterkunft zurück. Ermittlungen wurden nicht eingeleitet, eine mögliche Tatwaffe weder gesucht noch sichergestellt.

"Ich habe das Messer nicht gesehen", sagte eine in der Unterkunft lebende Ukrainerin vor Gericht. Aber sie habe Schreie gehört und Verletzungen gesehen. Eine andere Migrantin meinte, ein Messer gesehen zu haben, zudem Blutspuren an der 45-Jährigen. Die Erinnerungen sind mehr als ein Jahr später vage. "Mit einer Hand hat er mich gewürgt und in der anderen Hand hat er das Messer gehalten.", schilderte hingegen das Opfer am ersten Prozesstag.

Später zwei Menschen mit Messer getötet

Rund fünf Monate später soll derselbe Mann im Aschaffenburger Park Schöntal zwei Menschen mit einem Küchenmesser getötet haben - möglicherweise im Zustand der Schuldunfähigkeit. Das Sicherungsverfahren gegen den Beschuldigten könnte in dieser Woche vor dem Landgericht Aschaffenburg enden. Die Staatsanwaltschaft will den Mann in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen lassen.

Erst nach der bundesweit beachteten Bluttat ging eine Anzeige bei der Polizei wegen des Vorfalls in Alzenau ein. Die Staatsanwaltschaft Coburg ermittelte gegen vier damals eingesetzte Beamte, drei Verfahren wurden aber bereits eingestellt. Der nun angeklagte 29-Jährige war damals Sachbearbeiter des Falls. Laut Staatsanwaltschaft hätte er erkennen müssen, dass eine gefährliche Körperverletzung vorliegen könnte - ermittelte jedoch nicht. Für den Ankläger ist das unverständlich und als Strafvereitelung im Amt zu werten.

Strafvereitelung im Amt kann mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder in minder schweren Fällen mit Geldstrafe geahndet werden. Ob der spätere Angriff in Aschaffenburg durch frühere Ermittlungen hätte verhindert werden können, bleibt spekulativ - und zeitlich angesichts von fünf Monaten zwischen den beiden Attacken eher unwahrscheinlich.

Richter: "Absolute Schlampigkeit"

Am ersten Verhandlungstag wird nach Ansicht von Richter Torsten Kemmerer unter anderem deutlich: "Mir erscheint vieles hier als eine absolute Schlampigkeit (…) und eine fehlende Kommunikation in der Dienstgruppe." Wer wusste wann was? Wer hat sich in der Polizeiinspektion Alzenau nach der angeblichen Messerattacke intensiv mit der Sache befasst? Wer hat wem was gesagt? Wer hat die Fotos der Verletzten gesehen? Fragen über Fragen, die sich den Prozessbeteiligten aber auch den Beobachtern stellen. Die drei Kollegen des Angeklagten haben nach eigener Aussage nicht tiefergehend miteinander über den Fall gesprochen und schon gar nicht verfolgt, ob der Sachbearbeiter Ermittlungen einleitet.

Der Angeklagte sagte nichts zu den Vorwürfen. Der 29-Jährige ließ über seinen Verteidiger lediglich erklären: "Er hatte vor Ort keinen Kontakt mit dem Opfer. Er weiß auch nicht, ob unmittelbar am Tatgeschehen ein Messer vorhanden war."

Der damalige Streifenpartner des 29-Jährigen versicherte, bei dem Einsatz kein Messer gesehen zu haben. "Ich habe keines gesehen und habe auch keine Äußerung diesbezüglich wahrgenommen", sagte der 33-Jährige. Mit der angegriffenen Frau habe er nicht gesprochen, auch keine Verletzungen wahrgenommen. Ähnliches sagte der damalige Vorgesetzte des Angeklagten.

Der Beamte allerdings, der die Wunde des Opfers fotografierte, will indes dem Angeklagten davon erzählt haben. "Ich habe ihm auf jeden Fall von den Verletzungen, die ich gesehen habe, berichtet."

Quelle: ntv.de, gri/dpa

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