"Der größte anzunehmende Unfall" Sternekoch Knöller plagen Schuldgefühle
14.03.2020, 18:04 Uhr
Geboren wurde Bernd Knöller im Schwarzwald.
(Foto: Marcel Grzanna)
Vor einem Jahr stirbt in Valencia eine Frau nach dem Besuch im Sternerestaurant "Riff" des deutschen Kochs Bernd Knöller. Sie hatte dort Morcheln gegessen. Inzwischen schließt die Gerichtsmedizin einen direkten Zusammenhang zwischen der Lebensmittelvergiftung und dem Tod der Frau aus. Doch Knöller sucht bis heute nach dem richtigen Weg, um mit dem Unglück umzugehen.
ntv.de: Herr Knöller, kann einem Sternerestaurant etwas Schlimmeres passieren als der Tod eines Gastes?
Bernd Knöller: Für mich sicherlich nicht. Das war der größte anzunehmende Unfall.
Es gab gut zwei Dutzend Fälle von Lebensmittelvergiftungen in jenen fünf Tagen, in denen die Morcheln serviert wurden. Fast alle Betroffenen klagten über mindere Beschwerden. Die Verstorbene war vorbelastet und erstickte im Schlaf an ihrem eigenen Erbrochenen. Das gilt als natürlicher Tod. Juristisch sind Sie damit entlastet.
Es dauerte acht Monate, bis die Gerichtsmedizin dieses Ergebnis vorlegte. Diese Ungewissheit war zermürbend. In den ersten Wochen nach dem Unglück konnte ich an fast nichts anderes denken.
Plagen Sie Schuldgefühle?
Ich habe nichts getan, was ich bereuen müsste. Ich bin nicht betrunken Auto gefahren und habe jemanden getötet. Deswegen würde ich unter vergleichbaren Umständen exakt so wieder handeln. Aber Fakt ist, da gibt es jetzt einen zwölfjährigen Jungen, der ohne Mutter aufwächst. Das macht mir schwer zu schaffen. Ich habe das Gefühl, dass ich diesem Jungen irgendwann einmal gegenübertreten muss. Ich versuche auch, das Geschehene mit einer Psychologin aufzuarbeiten. Ich frage mich, was das Leben mir damit sagen wollte. Aber ich bin noch nicht so weit, dass ich etwas Positives aus dieser Erfahrung ziehen kann. Ein Freund sagte mal zu mir, es sei so, als wenn eine Bananenschale vor meinem Restaurant gelegen hätte und ein Gast darauf ausgerutscht und deswegen tödlich verunfallt wäre. Es war sein Versuch, mir zu helfen, aber das hat nicht funktioniert.
Wie konnte Ihnen diese Morcheln unterkommen?
Das bleibt mir ein Rätsel. Ich lege so viel Wert auf Hygiene und Zubereitung. Und das waren die schönsten Morcheln, die ich im Leben gesehen habe. Ich hätte niemals vermutet, dass mit denen etwas nicht stimmt. Aber tatsächlich stammten die Dinger aus China und waren wohl gezüchtet. Das hat der Händler aber verschwiegen. Hätte ich das gewusst, wären sie sicher nicht auf dem Teller gelandet.
Was ist gegen gezüchtete Pilze aus China einzuwenden?
Die Schweizer haben einmal versucht, Morcheln zu züchten, dann aber davon abgelassen, weil es einfach viel zu teuer war. Ich weiß nicht, was die Chinesen anders machen, dass sie preislich attraktiv bleiben. Aber ich vertraue der dortigen Lebensmittelindustrie nicht. Sowieso versuchen wir, alle unsere Produkte regional anzuschaffen. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Aber Morcheln aus China würden niemals dazugehören.
Was war denn das Problem mit den Pilzen?
Endgültig konnte das nicht geklärt werden. Die Gerichtsmedizin stellte aber fest, dass sie auch im gegarten Zustand leicht giftig sein können. Sie haben die Pilze zweifelsfrei als Ursache für die Vergiftung ermittelt. Vielleicht war es auch ein Pestizid. Aber eines davon nachzuweisen, gleicht der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen, weil konkret auf ein einzelnes Produkt getestet werden muss. Davon gibt es Zehntausende. Ich frage mich außerdem, wie lange die Morcheln aus China zu uns unterwegs waren. Normalerweise kann man sie acht Tage gekühlt aufbewahren. Länger nicht.
Gab es Konsequenzen für die Arbeitsabläufe in Ihrem Restaurant?
Zum einen beziehen wir natürlich nichts mehr von diesem Pilzhändler. Dann haben wir die Lieferketten jeder Petersilie, jedes Rosmarin nachvollzogen, obwohl wir gesetzlich nicht dazu verpflichtet waren. Außerdem führen wir jetzt einmal monatlich freiwillige Stichproben auf typische Erreger wie Salmonellen durch. Die Kontrolleurin ist dabei in ständigem Austausch mit unserem Küchenpersonal, um ihm potenzielle Gefahrenherde aufzuzeigen.
Wie groß war der wirtschaftliche Schaden?
Uns wurde das Restaurant von der Behörde zu keinem Zeitpunkt geschlossen. Es war unsere Entscheidung wegen des Medienrummels und unseres Schockzustandes für drei Wochen zuzumachen. Wir waren danach überrascht von der Solidarität unserer Stammgäste. Dennoch war es ein harter Schlag. Ausländische Gäste, die bei uns 50 Prozent ausmachen, sind eine Weile komplett weggeblieben. Es kam häufiger vor, dass Reservierungen abgesagt wurden mit der Begründung, man hätte da was im Internet gelesen. Allein im Monat November hatten wir 164 Absagen. Im gleichen Monat ein Jahr davor waren es nur 50. Aber wir haben einen kleinen Kredit aufgenommen. Und inzwischen hat sich das Geschäft weitgehend normalisiert.
Sie durften auch ihren Michelin-Stern behalten, den Sie seit 2009 tragen.
Das war schon sehr wichtig für uns. Hätte Michelin uns den Stern aberkannt, wäre etwas hängen geblieben. Die Leute hätten gesagt, dass wir irgendwie schon auch mitverantwortlich für den Tod der Frau sein müssten. Ich bin deswegen sehr dankbar. In unserem speziellen Fall hätten wir sehr gelitten, hätte Michelin den Daumen gesenkt.
Restaurantkritik kann nach wie vor Existenzen zerstören?
Ja, immer noch, aber tatsächlich hat sich die Machtfülle einzelner Kritiker etwas reduziert, weil sich die Zahl der Foren für Restaurantkritik stark erhöht hat. Das ist auch gut so. Der Druck in der Branche ist schon hoch genug.
Wie geht man damit um?
Da hat jeder seine eigene Art. Zuviel Alkohol oder Kokain sind nicht ungewöhnlich. Köche aus meiner Generation stammen wie ich aus einfachen Verhältnissen. Die Kinder von Ärzten und Juristen wurden damals keine Köche. Wer nach einem Hauptschulabschluss sein eigenes Restaurant eröffnete, der hatte natürlich wahnsinnig Angst davor, dass sein kleines Reich durch boshafte Kritik zerstört würde. Kritiker stammten oft aus bürgerlichen Verhältnissen. Die brachten Selbstverständnis und eine Sicherheit mit, die sie manchmal brutal an den Köchen ausließen.
Erleben Sie so etwas heute noch?
Naja, es gibt einen spanischen Kritiker, der sich widerlich benimmt, wenn er betrunken ist. Der saß mal bei uns im Riff mit einer Prostituierten und einem Freund. Irgendwann rief er von seinem Tisch laut durchs ganze Lokal: 'Dieser Wein ist eine absolute Scheiße.' Ich habe ja nichts gegen Kritik, aber diese Art und Weise ist unangemessen.
Auch der deutsche TV-Koch Tim Mälzer kritisierte pauschal ihre Arbeitsweise in seinem Podcast, nachdem er von dem Todesfall erfahren hatte.
Das hat mich sehr geärgert, weil er doch selbst weiß, wie die Dinge in der Küche laufen. Ich habe ihn angeschrieben, nachdem die Vorwürfe gegen uns fallen gelassen worden waren. Er hat sich dann öffentlich und sehr aufrichtig im Podcast entschuldigt für die Verurteilung ohne Detailkenntnisse. Das hat mich gefreut, und der Fall war erledigt.
Ist der Stern auch eine Belastung?
Er fördert Erwartungen bei den Gästen. Manche kommen und sagen, dass es nicht sein könne, dass unsere Kellner in T-Shirt und Turnschuhen servieren. Doch, sage ich dann. Das ist mein Konzept, so wie ich es mag. Ein Stern heißt nicht, dass ich meinen Stil verändere. Ich will, dass die Leute bei mir so essen, wie ich selbst gerne essen möchte. Mit entspannten Kellnern, die mich freundlich behandeln und die genau wissen, welchen Wein ich mag, wenn ich schon zweimal da war.
Sie schreiben sich auf, was ihre Gäste am liebsten mögen?
So personalisieren wir unseren Service. Aber es hat seine Tücken. Neulich servierten wir der Gattin eines Gastes einen Wein in dem Irrglauben, sie sei es gewesen, die beim letzten Mal an seiner Seite bei uns essen war. In Wahrheit war es eine andere Dame, von der die Ehefrau offenbar nichts wusste.
Was macht ihr Restaurant sternwürdig?
Wir kochen gut. Aber zum Erfolgsrezept gehört auch, dass wir nur die besten Zutaten nehmen. Unser Lammfleisch stammt aus eigener Aufzucht unter besten Bedingungen. Das lassen wir uns einiges kosten. Zudem kaufe ich persönlich auf der täglichen Fischversteigerung hier am Hafen von Valencia ein: Seeteufel, grosse Bernsteinmakrele, Zahn- oder Rotbrandbrasse, aber auch Gambas und Kaisergranat. Sensationelle Qualität. Dann gibt es drei Biogärtner, die für uns Gemüse und Früchte anbauen. Oft bringen die uns neue Gemüse wie vor kurzem eine gelbe Beete mit einem Geschmack, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Gänseleber habe ich einmal von einem Freund aus Frankreich bezogen. Es war die beste, die ich im Leben gegessen habe. Wenn ich einmal einen solchen Superlativ für mich entdeckt habe, dann kommt nichts anderes mehr bei uns auf den Tisch. Wenn der Vorrat aufgebraucht ist, gibt es eben etwas anderes.
Das Riff gibt es seit 26 Jahren. Es dauerte dennoch 15 Jahre, bis ihnen die Ehre eines Sterns zuteil wurde.
Ich glaube, dass wir 2009 unseren Stern deshalb bekommen haben, weil Michelin sein Konzept verändert hat. Es war das Jahr, als erstmals Sterne nach Japan vergeben wurden. Dortige Restaurants passten bis dato nicht ins Konzept. Im Rahmen dieser Neuorientierung hat man auch uns ausgezeichnet. Wir wollen uns zwar jeden Tag verbessern, aber besser gekocht als im Jahr zuvor hatten wir damals auch nicht. Die Zeitungen aus Valencia schrieben sinngemäß: Der Michelin erzählt uns nichts Neues.
Ein spanischer Sternkoch aus Málaga macht Werbung für McDonald's. Wäre das auch etwas für Sie?
Sicher nicht. Das Zeug verdirbt ja nicht mal mehr. Das ist wie Plastik, was die ihnen vorsetzen. Und es schmeckt einfach nur lätschig. Die Lebensmittelindustrie verarscht uns sowieso nach Strich und Faden. Ein Beispiel: Gefrorene Erdbeeren stammen heute zu 97 Prozent aus China. Wenn sie Erdbeermarmelade im Supermarkt kaufen, können sie davon ausgehen, dass die Früchte darin chinesischer Herkunft sind. Es steht aber nicht auf dem Glas. Ich bin im Laufe der Jahre immer misstrauischer geworden. Dass sie ausgerechnet mir, Pilze aus China andrehen, ist einfach unfassbar.
Mit Bernd Knöller sprach Marcel Grzanna.
Quelle: ntv.de