Bundespräsident ehrt Schulleiter Ulrich Wessel und der Germanwings-Absturz
05.12.2016, 15:27 Uhr
Ulrich Wessel (l.) erhält den Orden von Joachim Gauck.
(Foto: dpa)
Es passiert nicht jeden Tag, dass man im Schloss Bellevue den Bundesverdienstorden verliehen bekommt. Ulrich Wessel erhält ihn aus der Hand von Bundespräsident Gauck dafür, dass er im schlimmsten Moment seines Berufslebens Mensch geblieben ist.
Der 24. März 2015 hat das Leben von Ulrich Wessel verändert. Bis zu jenem Tag war er einfach Direktor des einzigen Gymnasiums in Haltern am See. Das Joseph-König-Gymnasium hatten auch die Fußballer Christoph Metzelder und Benedikt Höwedes bereits besucht. Für größeres mediales Interesse hatte das nie gesorgt.
Doch an diesem Märztag, den Wessel zunächst auf einer Schulleiterkonferenz verbringt, steuert der Pilot eine Germanwings-Maschine mit 150 Menschen an Bord gegen ein Bergmassiv in den französischen Alpen. In dem Flugzeug sitzen auch 16 Schüler und zwei Lehrerinnen des Halterner Gymnasiums. Sie waren auf dem Rückflug von einem Schulaustausch im spanischen Llinars del Vallés. Seitdem ist das Joseph-König-Gymnasium untrennbar mit dem Germanwings-Absturz verbunden.
Wessel selbst hatte eine Handynachricht bekommen, war zurück zur Schule gerast. Da überschlugen sich noch die Nachrichten, das Grauen wurde immer mehr zur Gewissheit. In den Tagen nach dem Unglück zog der Schulleiter einen Bannkreis um seine Schule, kein Reporter sollte die Schülerinnen und Schüler in ihrer Trauer behelligen. Er selbst versuchte, so gut es ging, Trost zu spenden, während ihm selbst das Ausmaß der Katastrophe erst langsam bewusst wurde.
Große Verzweiflung
Der schlimmste Moment, sagte der Schulleiter später, sei für ihn der gewesen, als die Eltern in die Schule gekommen seien und klar war, dass ihre Kinder an Bord von Flug 4U9525 waren. "Sie können mir glauben: Es ist einfach nur furchtbar, Eltern sagen zu müssen, dass ihre Kinder nicht mehr zurückkommen."
Seit 2009 ist Wessel Direktor des Gymnasiums, vier Jahre lang war er zuvor schon Stellvertreter gewesen. Bei seiner Bewerbung hatte der Oberstudienrat darauf verwiesen, dass ihm die Schulentwicklung und Schulleitung Spaß mache. Da hatte er sich eine Herausforderung wie das Germanwings-Unglück wohl kaum vorstellen können.
Nach dem Absturz hat Wessel dafür gesorgt, dass an der Schule und auf dem Friedhof Erinnerungsorte geschaffen wurden. Für seine Einfühlsamkeit erhielt er heute schließlich das Bundesverdienstkreuz aus der Hand von Bundespräsident Joachim Gauck. Noch immer können Hinterbliebene und Freunde der Opfer Wessel jederzeit ansprechen. Sein Name steht völlig selbstverständlich auf der Webseite der Schule inmitten aller alphabetisch sortierten Kollegen. Sprechzeiten mit ihm gibt es nach Vereinbarung.
Dass auch das Schulleben weitergeht, war ihm immer wichtig. Zum Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Haltern am See im Oktober 2015 nannte er dies einen Spagat. Es müssten Klassenarbeiten geschrieben werden, Versetzungsfragen seien zu klären. Das wolle er im Alltag mit dem Gedenken verbinden, kündigte Wessel an. Auch in diesem Jahr sind wieder Schüler nach Spanien geflogen. Es ist ein Versuch, wieder ein bisschen Normalität zurückzugewinnen.
Zum Jahrestag berichtete er, dass sich die Stimmung an seiner Schule an vielen Tagen fröhlich und unbefangen anfühle. Das sei aber eher eine oberflächliche Gelassenheit. "Besonders bei den älteren Schülern, die die Toten kannten, spüre ich nach wie vor eine tiefe Trauer", sagt Wessel der "Rheinischen Post". Wann immer er über die Schüler und Kollegen spricht, die in den französischen Alpen ums Leben gekommen sind, verweist er auf das Leid der Angehörigen. Doch das Halterner Gymnasium hätte sich in diesen Tagen wohl keinen besseren Direktor wünschen können.
Quelle: ntv.de, sba