Aktion saubere KanäleVenedigs Taucherkolonne fischt im Trüben
Andrea Affaticati
Ein Rindskopf, eine antike Tür, ein Bidet: In den Kanälen der Lagunenstadt findet man die erstaunlichsten Dinge. Einmal im Monat geht eine sonst über das Wasser gleitende Truppe den Canali auf den Grund.
Die Geschichte der Gondolieri, die sich ehrenamtlich in Froschmänner verwandeln und Venedigs Canali durchforsten, lässt instinktiv an die Krimis der amerikanischen Bestsellerautorin Donna Leon denken. Sie und ihre Krimis sind seit Jahrzehnten in Venedig angesiedelt.
Diese Aktionen finden überall in Städten mit einem Fluss statt, von Berlin bis nach Wien, von Paris nach London und Amsterdam. Hier geht es aber nicht um irgendeine Stadt, sondern um Venedig, und das regt die Fantasie an.
Donna Leon würde die Männer früher oder später auf eine Leiche stoßen lassen. Oder, noch gruseliger, auf ein, zwei verwesende menschliche Körperteile. Und kurz danach wäre auch schon Commissario Brunetti zur Stelle.
Die Wirklichkeit ist in diesem Fall jedoch - zum Glück - weitaus prosaischer. Stefano Vio ist 68 Jahre alt, Venezianer und leidenschaftlicher Taucher. Ihn interessiert aber nicht nur das Leben unter Wasser, es zieht ihn auch zu Schiffswracks, wie er ntv.de erzählt. "Es war im Jahr 2018, während eines Urlaubs am Roten Meer als die Idee geboren wurde mal nachzusehen, was auf dem Grund der Kanäle alles zu finden ist. Damals tauchten ich und mein Vorgesetzter Alessandro Zuffi zum Thistlegorm." Das war ein britisches Frachtschiff, das die Deutschen 1941 im Roten Meer versenkt hatten. Ein Teil der Ladung ist aber bis heute auf dem Schiff zu sehen, und das hat es zu einer Taucherattraktion gemacht.
Berge von Autoreifen
"Wir waren sehr erstaunt darüber, in einem der Frachträume eine Ladung Gummistiefel zu sehen, die auch nach 70 Jahren unter Wasser praktisch intakt waren. Wieder an Land, stellten wir uns deswegen die Frage: Wenn Gummistiefel so lange unter Wasser bleiben können, was halten dann die dicken Autoreifen aus, die in den Canali von Venedig liegen? Die müssen ja unverwüstlich sein."
Wieso Autoreifen, in einer Stadt wie Venedig, in der ja keine Autos fahren? Die Frage kommt einem spontan. Aber man braucht sich nur die Frachter, die über Venedigs Canali gleiten, vor Augen führen, und hat auch schon die Antwort. Die Autoreifen werden als Fender für die Reling verwendet. "Fender, die nichts kosten", hebt Vio hervor. "Die Werkstätten sind nämlich froh, sich nicht um deren Entsorgung kümmern zu müssen, und verschenken sie."
Im Laufe der Zeit wetzt sich die Leine der Fender ab und irgendwann löst sich der Reifen und fällt ins Wasser. Da er aber nichts gekostet hat und man wieder welche gratis bekommt, machen sich anscheinend nur die wenigsten die Mühe, sie herauszufischen.
Außerdem ist das Wasser der Canali eher trüb und versteckt, was auf dem Grund liegt. Auch so ein Detail, das in einen Leon-Krimi perfekt passen würde. Vorige Woche wurde unter anderem ein Tonverstärker gefunden. Könnte dieser nicht der Schlüssel zum Mordfall sein? Denn was hat sonst so ein Apparat in einem Kanal zu suchen? Insgesamt haben die Taucher vorige Woche fast eine ganze Tonne Müll herausgeholt. "Darunter 40 Autoreifen, zwei Heizkörper, eine alte, sehr schwere Tür und den Reifen eines Traktors", erzählt Vio.
Ein Doppelleben zum Wohle Venedigs
Aber zurück zum Anfang. Wieder zu Hause, kontaktierten Zuffi und er einen Bekannten in der Gemeinde und unterbreiteten ihm ihre Idee, eine Probetaucheraktion in den Canali zu organisieren. Der Vorschlag wurde dem Gemeinderat vorgelegt und kurz danach gab dieser sein Einverständnis.
Die erste Aktion fand am 19. Februar 2019 statt und war entscheidend. Damals wurden ganze 960 Kilogramm Müll aus der Lagune herausgefischt. Darunter auch ein Bidet, dessen Foto es auch in die internationalen Medien brachte. Weitaus absurder als der Bidet-Fund erschien Vio aber der von zwei Gepäckwagen, solche, die normalerweise am Flughafen stehen. "Wie sind die denn hierhergekommen?"
Dass diese Einsatztruppe auch das Wort Gondolieri in ihrem Namen trägt, ist weder dem Zufall noch der Tatsache geschuldet, dass ihre ehrenamtlichen Aktionen Venedig betreffen. Alle 15 Mitglieder des Vereins sind nämlich im Alltag wirklich Gondolieri. Von Montag bis Freitag tauchen sie ihr langes Ruder ins Wasser und führen die Touristen durch die Lagunenstadt. "Da wir unsere Stadt zutiefst lieben, freuen wir uns, auch etwas für sie tun zu können", sagt Vio.
Die Gruppe ist vom Alter her absolut heterogen, von 20 Jahren aufwärts. Auf der Facebookseite Gondolieri sommozzatori volontari Venezia gibt es etliche Videos und Fotos, auf denen man sie bei der Arbeit sieht. Die Erfahrenen tauchen, vor allem die Jüngeren ziehen den schweren Müll an Bord.
Die Sonntage im Winter
Die Aktion findet im Winter statt, und zwar einmal im Monat, am Sonntag von 8 bis 14 Uhr. Gefährlich ist sie nicht, die Canali sind zwischen 2,5 und 3 Meter tief. Wichtig ist aber, die richtige Ausrüstung zu haben: "Nicht so sehr wegen des Wassers, sondern wegen des Schlamms, der Mikroorganismen beinhalten könnte, die für Augen und Schleimhaut besonders gefährlich sind", erklärt Vio.
Eine Leiche wurde also bis jetzt nicht gefunden, dafür aber ein paar Rindergebeine und ein Rinderkopf. Wahrscheinlich hat sie ein Metzger einfach ins Wasser geworfen. Wie kommen stattdessen ganze Badezimmerausstattungen ins Wasser? "Ganz einfach, das geschieht während der Sanierung einer Wohnung. Die ersetzten Sanitäranlagen werden bei Nacht- und Nebelaktionen einfach ins Wasser geworfen. So ersparen sich unseriöse Unternehmen die Entsorgungskosten." Und auch Unmengen von Flaschen, vornehmlich Bierflaschen, werden herausgefischt. Für diese sind in erster Linie die Touristen verantwortlich, die sie einfach ins Wasser werfen.
Das alles stört aber Mimmo nicht, im Gegenteil, er scheint sich richtig wohlzufühlen. Den Namen haben ihm die Einwohner gegeben. Mimmo ist ein Delfin, der seit einer Woche in der Lagune herumschwimmt. Vor allem im Becken von San Marco.