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Kommen zentrale Bundesregeln? Virologe: Saarland provoziert mit Modellregion

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Noch sind die Länder für die Umsetzung der Corona-Beschränkungen verantwortlich.

(Foto: imago images/Future Image)

Die von Bund und Ländern vereinbarte Notbremse bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 wird nicht von allen Bundesländern konsequent umgesetzt. Kanzlerin Merkel will über einheitlichere Maßnahmen beraten. Für den Virologen Fickenscher ist dieser Schritt bereits absehbar.

Der Infektionsmediziner Helmut Fickenscher hält angesichts der stark steigenden Corona-Zahlen in Deutschland und der Haltung einiger Länder ein Eingreifen des Bundes für absehbar. "Für Deutschland insgesamt sehe ich Handlungsbedarf", sagte der Präsident der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten. "Die großen Warnrufe sind da nicht so wirklich falsch."

Kanzlerin Angela Merkel hatte erklärt, sie denke über klarere Vorgaben an die Länder nach. Sie werde nicht zuschauen, bis es 100.000 Neuinfektionen am Tag gebe. Die von Bund und Ländern vereinbarte Notbremse bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 wird nicht von allen Bundesländern konsequent umgesetzt. Laut "Bild"-Zeitung soll nach Ostern und noch vor der Ministerpräsidentenkonferenz über einheitliche Maßnahmen in allen Bundesländern diskutiert werden. "Es wird über einen neuen Passus im Infektionsschutzgesetz geredet, aber auch über eine Bundestagssitzung im Vorfeld einer MPK", sagte ein nicht genannter Politiker aus der Unionsspitze der Zeitung. Entschieden sei aber noch nichts.

Für Fickenscher ist die gesetzlich geforderte Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht erreicht. Schleswig-Holstein habe mit der niedrigsten Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland noch eine sehr klare Sonderrolle, sagte der Virologe, der in Kiel am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein das Institut für Infektionsmedizin leitet.

Saarland provoziert mit Modellregion

"Wenn aber Entscheidungen bundesweiter Tragweite notwendig sein sollten, wird sich Schleswig-Holstein nicht verschließen können." Die letzten Beratungen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten seien ja eher ungünstig verlaufen, sagte der Virologe. "Das ist schon etwas alarmierend und wenn man sich nicht einigen kann, dann ist es schwer, dieses Gremium als Entscheidungsgremium zu nutzen." In dieser Bredouille stecke jetzt wohl die Bundesregierung. "Und wenn das Saarland das ganze Bundesland zur Modellregion machen will, ist das eine besondere Provokationslage."

Jetzt Modellprojekte zu planen, wie sie auch Schleswig-Holstein ab 19. April für Tourismus, Kultur und Sport vorsieht, ist für Fickenscher "letztendlich eine optimistische Sichtweise". Bei steigenden Inzidenzen sei auch deren Nutzen sehr begrenzt. "Ich halte es für möglich, dass die Basis für die Modellprojekte in Kürze vorerst ausgesetzt wird, sollte sich die Bundesregierung für konsequentere Maßnahmen entscheiden." Da in allen Staaten um Deutschland herum die Infektionszahlen stiegen, sei dies auch hier zu befürchten, sagte Fickenscher.

Für Hotspots mit weit höheren Zahlen als derzeit in Schleswig-Holstein halte er auch Ausgangssperren als Instrument für sehr plausibel, sagte Fickenscher. In Flensburg hatte es im Februar bei Inzidenzen nahe 200 und einer starken Verbreitung der britischen Virusvariante für kurze Zeit ein nächtliches Ausgehverbot und ein Verbot privater Treffen gegeben. "Da hat man gesehen, dass dies letztlich eine wirksame Maßnahme ist", sagte Fickenscher. "Im Sinne des Infektionsschutzes kommt dieses Instrument sehr wohl infrage, auch wenn es niemand haben will."

Auch Ministerpräsident Daniel Günther hat Ausgangssperren kürzlich nicht ausgeschlossen. "In erstaunlich vielen Landkreisen und Städten mit sehr hohen Inzidenzen in Deutschland gewinnt man den Eindruck, dass die Konsequenz von Maßnahmen nicht groß genug ist", sagte Fickenscher. "Wir in Schleswig-Holstein sitzen da insgesamt eher noch auf einer Insel der Seligen." Bei einer Inzidenz von über 100 werde eine wichtige Frage der Umgang mit Schulen und Kitas sein. "Ausbrüche dort sind weiterhin sehr selten", sagte der Virologe.

Personal und Behörden seien mittlerweile sehr gut geschult und agierten sehr professionell. "Solange die Zahl der Ausbrüche in Schulen und Kindergärten niedrig bleibt und es sich meist nur um Einzelpersonen handelt, die keine weiteren infizieren, rate ich dazu, Kindergärten und Schulen geöffnet zu halten." Die Verbreitung möglicherweise besonders gefährlicher Virus-Varianten dürfe nicht dazu führen, die einfachen Schutzmaßnahmen zu vernachlässigen, betonte Fickenscher. "Das wäre völlig falsch, denn die Schutzmaßnahmen gelten gegen die neuen Varianten ebenfalls."

Quelle: ntv.de, mba/dpa

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