
Jehovas Zeugen, wie sie sich selbst nennen, versuchen andere Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen.
(Foto: imago/Jürgen Ritter)
Der Amoklauf in Hamburg trifft die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Wofür steht diese Gruppe, welche Geschichte hat sie und was hat es mit dem "Königreichsaal" auf sich?
Mit den Zeugen Jehovas haben viele Menschen eher unfreiwillig Kontakt, wenn sie beispielsweise in Fußgängerzonen oder an der Haustür angesprochen werden. Die Frage lautet dann oft: "Wollen Sie über Gott sprechen?" Dazu verteilen die Zeugen Jehovas Bibeln oder die Zeitschrift "Wachtturm".
Ihre Wurzeln hat die Religionsgemeinschaft in den USA, im Bundesstaat Pennsylvania. Dort gründete Charles T. Russell 1870 eine Bibelstudiengruppe mit dem Namen "Ernste Bibelforscher" und investierte in den Jahren darauf sein Erbe aus einem Tuchwarenhandel in die neu geschaffene Zeitschrift "Zion's Watch Tower and Herald of Christ's Presence". 1931 änderten die "Ernsten Bibelforscher" ihren Namen in "Jehovas Zeugen".
Die Glaubensüberzeugungen der allgemein als Zeugen Jehovas bezeichneten Gruppe stützen sich auf die Bibelstelle Jesaja 43, Vers 10 und 11: "Ihr seid meine Zeugen (…). Ich - ich bin Jehova, und außer mir gibt es keinen Retter." Anders als in anderen Religionsgemeinschaften und in der Forschung anerkannt, wird das hebräische J-H-W-H nicht Jahwe übersetzt, sondern Jehova. Man stützt sich dabei auf die Übersetzung eines Mönches aus dem 13. Jahrhundert und betont, dass es sich dabei um den richtigen Namen handelt. Die Dreifaltigkeit - Gott, Sohn, Heiliger Geist - lehnen sie ab, ebenso wie die Zusammenarbeit mit anderen Kirchen in der Ökumene. "Sie haben schon einen großen Absolutheitsanspruch", sagt der Referent der evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Michael Utsch im Gespräch mit ntv.
Geschlossene Gruppe
Der Dienst an Gott besteht nach eigenen Angaben der Zeugen Jehovas aus Gebet, alleinigem und gemeinsamem Bibellesen und Bibelstudium, außerdem caritativer Arbeit. Utsch verweist auf die hierarchische Struktur der Gemeinden und das sehr traditionelle Geschlechterverständnis. Das intensive Bibelstudium und die sehr wörtliche Auslegung von Bibeltexten bezeichnet er als "rigides konservatives" Glaubensverständnis. Leitende Ämter sind Männern vorbehalten, Homosexualität und Sex vor der Ehe verboten.
Utsch nennt als Besonderheit auch die Ablehnung von Kindergeburtstagen, weil nicht das einzelne Kind im Mittelpunkt stehen soll. Ebenso ist Zeugen Jehovas die Annahme von Blutspenden nicht gestattet, sie sollen sich zudem nicht in der "weltlichen Gesellschaft" engagieren, also in Parteien oder Organisationen, weil dies als "Bestandteil des Weltsatans" der Idee vom "Königreich Gottes" entgegenstehe. Deshalb nehmen viele Zeugen Jehovas auch nicht an Wahlen teil. Das führte zur Zeit des Nationalsozialismus dazu, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft verfolgt wurden. Allerdings akzeptieren sie den Staat als "von Gott geduldete Übergangsordnung".
Auch deshalb empfänden Menschen, die in eine Jehova-Familie hineingeboren wurden oder sich zeitweise dort zugehörig fühlen und später abwenden, die Gemeinschaft als einengend und belastend, meint Utsch. Die geschlossene Gruppe unterscheide klar in Freunde und Feinde Jehovas. Aussteiger würden sozial geächtet. Das äußert sich auch im Todesverständnis der Gruppe: Wer stirbt, ist tot, eine Hölle gibt es in dieser Auffassung nicht. Gott werde aber gottesfürchtige Menschen wieder aufwecken, während die anderen im sogenannten Harmagedon für immer "vernichtet" würden. Dieses Harmagedon, also ein Krieg, der zum Ende der Welt führen würde, wurde für 1914, 1925 und 1975 vorausgesagt, trat aber bekanntlich bisher nicht ein.
Eine besondere Rolle spielen die "Königreichsäle" genannten Gebetsräume. In einem dieser Räume in Hamburg ereignete sich der Amoklauf. Die Zeugen Jehovas beziehen sich mit dieser Bezeichnung auf Matthäus 24:14, in dem es darum geht, die "gute Botschaft vom Königreich" zu predigen. Ihr Bau und ihre Pflege und Instandhaltung gelten als gottgefällig. Die Gemeinschaft hat keine bezahlten Geistlichen. Finanziert werden die Zeugen Jehovas mit - nach eigenen Angaben freiwilligen - Spenden. Seit 2017 sind die Zeugen Jehovas in allen Bundesländern als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt. Deshalb sind sie von der Pflicht zur Entrichtung von Körperschafts-, Vermögens- und Grundsteuer entbunden, nach Angaben der Organisation der Hauptgrund, sich um die Anerkennung zu bemühen.
Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die "Weltzentrale" hat ihren Sitz in New York. Die deutsche Gemeinschaft hat nach eigenen Angaben etwa 176.000 Mitglieder und zählt zu den größten in Europa.
Quelle: ntv.de