Panorama

Gezerre um Hausarztimpfungen "Wir müssen schneller sein als die Virus-Mutation"

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Fabian Holbe ist gern Hausarzt und traut sich und seinen Kollegen absolut zu, Gamechanger in der Corona-Impfkampagne zu sein.

(Foto: privat)

Fabian Holbe ist Hausarzt in Neuburg bei Wismar. Was jetzt diskutiert wird, macht er bereits seit Mitte Januar. Der 42-jährige Allgemeinmediziner impft Menschen in seiner Praxis gegen Corona und wundert sich im Interview mit ntv.de, was daran problematisch sein soll.

ntv.de: Wie viele Menschen haben Sie schon geimpft?

Fabian Holbe: Unsere letzte Erhebung haben wir vor zwei Wochen gemacht. Da waren es in den zehn Impfpraxen, die wir haben, 1300 Patientinnen und Patienten.

Mit welchem Impfstoff sind sie versorgt worden?

Wir haben Biontech/Pfizer bekommen. Das lag daran, dass wir mit der Idee gestartet sind, den Alten und Gebrechlichen den Weg zum Impfzentrum zu ersparen. Zu diesem Zeitpunkt war Biontech der einzige für diese Altersgruppe zugelassene Impfstoff, also stand etwas anderes nicht zur Debatte. Inzwischen hat auch der Astrazeneca-Impfstoff die Freigabe der Ständigen Impfkommission. Den könnten wir jetzt auch benutzen.

Wann haben Sie den ersten Patienten geimpft?

In unserem Modell haben wir am ersten Tag nach Weihnachten angefangen. Allerdings nicht in der Praxis, sondern wir sind als Hausärzte in die Alten- und Pflegeheime gegangen. Das haben wir bei uns im Landkreis so organisiert, weil wir sowieso in die Heime gehen. Wir kennen die Patienten und das Personal. Deshalb haben wir kein anonymes Impfteam geschickt, sondern es so durchgezogen. In der Praxis selber impfen wir seit der dritten Kalenderwoche 2021.

Ein Argument gegen das Impfen bei Hausärzten ist, dass es Ihnen schwerfallen könnte, zu priorisieren. Ist das so?

Wir haben immer Impfstoffe, Medikamente oder Therapien, bei denen wir eine Priorisierung vornehmen müssen. Es gibt zum Beispiel einen Pneumokokken-Impfstoff, also gegen Lungenentzündung, der erst ab 60 Jahren gegeben werden soll. Bei besonders Kranken soll ich die Impfung wiederholen, sonst nicht. Das ist also unser Alltag, diese Priorisierung findet immer statt. Wenn ich davon ausgehe, dass ich genug Impfstoff und eine klare Vorgabe habe, dass ich alle über 70 impfen darf, dann ist das nicht das Problem. Und ich hoffe, das beschäftigt uns gar nicht mehr so lange.

Ein zweiter Einwand ist, es gebe in einer Hausarztpraxis nicht genug Kühlmöglichkeiten.

(lacht) Als kurz vor Weihnachten feststand, dass Biontech liefern kann, habe ich bei Medizinausstattern und Baumärkten alle Kühlboxen gekauft, die ich bekommen konnte. Dann habe ich festgestellt, dass die 1000 Impfdosen, die wir erhalten haben, etwa die Größe eines Pizzakartons haben. Mit 1000 Impfdosen hat eine durchschnittliche Hausarztpraxis aber alle Patienten durchgeimpft. So viel Kühlkapazität hat jede Praxis, zumal dafür ein normaler Kühlschrank reicht. Er muss nur medizinproduktkonform sein, das heißt, er muss eine Temperaturdokumentation haben. Das ist kein Hexenwerk.

Sie impfen seit Jahren Menschen gegen Grippe, Masern, Tetanus. Wie fühlt es sich an, dass das den Hausärzten jetzt bei Corona nicht zugetraut wird?

Also mir leuchtet das nicht ein, zumal die Impfzentren deutlich weniger Erfahrung haben. Die machen das seit drei Monaten, es gab sie ja vorher gar nicht. Wir machen das seit Jahrzehnten. Wir haben die Kompetenz und beweisen das jedes Jahr - sowohl in der zeitlichen Koordination, wie bei der Terminvergabe, wie beim Impfen selber.

Wie lange brauchen Sie, um einen Patienten zu impfen?

Fünf Minuten. Mit Aufklärung und allem. Wir lassen die Patienten im Fünf-Minuten-Takt einbestellen und schaffen das auch, das ist kein Problem. Auch die Dokumentation von Name, Geburtsdatum, Postleitzahl und der Grund der Impfung gehören dazu, das ist der Datensatz, den ich an das Gesundheitsamt melden muss. Ein bisschen hält die Einwilligungserklärung auf, die es bei anderen Impfungen so auch nicht gibt. Aber die bringen die meisten Patienten schon vorbereitet mit, weil das Land sie schon bei der Impfeinladung mitschickt.

Haben die Patienten noch Fragen?

Meist fragen sie, welcher Impfstoff ist es denn und werde ich davon krank?

Ist die Hausarzt-Debatte auch eine um Geld?

Also wenn ich mir die Zahl von 20 Euro anschaue, mit denen eine Impfung dem Hausarzt vergütet werden soll, dann werden wir deutlich günstiger als Impfzentren sein. Eine Masernimpfung wird beispielsweise mit 14,30 Euro vergütet.

Die Entscheidung wurde auf die kommende Woche vertagt, wie würden Sie gern weitermachen?

Ich kann sofort weitermachen, daran soll es nicht liegen. Eine Herausforderung könnte sein, wenn wir künftig mit verschiedenen Impfstoffen arbeiten. Wenn ich also nicht nur Biontech in der Praxis habe, sondern auch Astrazeneca, Moderna und vielleicht auch noch Johnson&Johnson oder Curevac. Dann auch die Wiederholungsimpfung einzutakten, wird logistisch ein bisschen herausfordernd. Bei Biontech beispielsweise muss man die Patienten von vor vier Wochen mit berücksichtigen, den Impfstoff kann die Apotheke nicht ewig lagern, den muss ich irgendwann abrufen. Das ist anders als bei einem Grippeimpfstoff, den ich im Kühlschrank habe. Hier muss ich vorher wissen, wann die Patienten kommen. Das muss man gut planen. Bei Biontech brauche ich etwa 25 Minuten, um 24 Dosen aufzuziehen. Astrazeneca kann man direkt aus der Flasche aufziehen. Da sind zehn Dosen in einer Flasche, ich brauche also auch zehn Patienten an dem Tag, damit ich es aufbrauche. Bei Biontech sind es sechs, das ist ein bisschen händelbarer.

Wie werden Sie das organisieren, wenn es losgeht?

In den meisten Praxen wird es ein Zeitfenster geben, in dem keine Infektpatienten kommen können. Die Geimpften müssen außerdem noch beobachtet werden. Es geht auch darum, die Abstandsregeln einzuhalten und möglichst nicht potenzielle Corona-Patienten zusammen mit den Impflingen im Wartezimmer zu haben. Die über 80-Jährigen und die Pflegeheime sind durch, diejenigen, die nicht im Pflegeheim leben und geimpft werden wollen, sind auch fast fertig. In der nächsten Stufe sind deutlich mehr Menschen: Lehrer, Erzieher, die über 70-Jährigen. Da wird die Hotline für die Terminvergabe zum echten Flaschenhals. Wenn ich mir die Patienten als Hausarzt selbst einbestellen kann, kann ich das umgehen.

Wie stehen Sie dazu, dass auch andere niedergelassene Ärzte impfen sollen?

Jeder Arzt in Deutschland darf impfen und jeder, den wir dazu gewinnen können, wäre super. Wir müssen ja schneller sein als die Virus-Mutation.

Mit Fabian Holbe sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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