Mitbestimmungsrechte entzogen Zentralrat der Juden greift gegen Berliner Gemeinde durch
27.02.2024, 20:06 Uhr Artikel anhören
Die Berliner Gemeinde will sich gegen die Entscheidung des Zentralrats zur Wehr setzen.
(Foto: picture alliance / Panama Pictures)
Seit Jahren schwelt zwischen dem Zentralrat der Juden und einer Berliner Gemeinde ein Konflikt. Ein Zwist über die Wahl des Gemeindeparlaments treibt den Konflikt auf die Spitze. Nun greift der Dachverband durch - und beschließt Sanktionen.
Nach monatelangem Streit hat das Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland harte Sanktionen gegen die Jüdische Gemeinde zu Berlin beschlossen: Die Berliner Gemeinde - eine der größten in Deutschland - darf für ein Jahr nicht mehr in den Gremien des Zentralrats mitbestimmen. Dies teilte der Dachverband mit. Die Gemeinde reagierte empört und warf dem Zentralrat vor, die Einheit der jüdischen Gemeinschaft aufs Spiel zu setzen. Ein Ausweg aus dem Konflikt ist vorerst nicht in Sicht.
Beide Seiten sind seit Jahren uneins. Konkreter Anlass ist jetzt ein Konflikt über die Wahl des Gemeindeparlaments im vergangenen Jahr. Kurz vor der Wahl hatte die Spitze der Gemeinde um den Vorsitzenden Gideon Joffe die Wahlordnung geändert und eine Altersgrenze von 70 Jahren für Kandidaturen eingeführt. Dagegen hatten Gemeindemitglieder vor dem unabhängigen Gericht beim Zentralrat geklagt und einen Stopp der Wahl erwirkt - ein Urteil, das der Gemeindevorstand ignorierte.
Der Vorstand hält das Gericht für nicht zuständig und das Urteil für nichtig. Er zog die Wahl im September durch und wurde wiedergewählt. Das Gericht verhängte Zwangsgelder, drang damit aber nicht durch. Schließlich empfahl es vor wenigen Tagen den zeitweiligen Entzug der Stimmrechte. Dem folgte das Präsidium des Zentralrats. Eine Vertreterin der Berliner Gemeinde, die gerade erst ins Präsidium gewählt wurde, durfte wegen eigener Betroffenheit nicht mitstimmen.
Konflikt auch über die Rabbinerausbildung
Das Berliner Oppositionsbündnis Tikkun, das Joffe und den Vorstand sehr kritisch sieht, begrüßte die Entscheidung. "Dies ist keinesfalls ein Konflikt zwischen dem Zentralrat und der jüdischen Gemeinde zu Berlin - im Gegenteil", erklärte Tikkun. Joffe und seine Unterstützer hätten die demokratischen Strukturen und das Wahlsystem der Gemeinde systematisch ausgehöhlt. "Wer unsere freiheitlich demokratische Grundordnung mit Füßen tritt und die jüdische Gemeinschaft schwächt, darf nicht weiter geduldet werden und muss sofort seine Ämter niederlegen", erklärte Tikkun.
Joffe sieht die Verantwortung für den Konflikt hingegen allein beim Zentralrat. "Der Zentralrat handelt verantwortungslos und destruktiv", sagte er. "Dagegen werden wir uns mit Händen und Füßen wehren, auch juristisch." Was genau geplant ist, wollte Joffe nicht sagen. Er warnte aber: "Die Gefahr einer Spaltung des Zentralrats wurde damit verstärkt. Wie viele Jahre sollen wir uns als Gemeinde noch vom Zentralrat mobben lassen?"
Der Gemeindevorsitzende führte nicht nur den Konflikt über die Wahlordnung an, sondern auch über die Rabbinerausbildung. Die Gemeinde hatte nach Turbulenzen am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam Anfang 2023 die Trägerschaft der liberalen Rabbinerschule übernommen. Der Zentralrat lehnte dies ab. Am Montag teilte er mit, eine neue Stiftung solle Träger des Potsdamer Kollegs werden. Joffe sagte, die Gemeinde bleibe gesprächsbereit. "Aber es war der Zentralrat, der vor Monaten einseitig den Gesprächsfaden aufgekündigt hat."
Quelle: ntv.de, tkr/dpa