Angriff auf Darwin Australiens Pearl Harbor
07.05.2017, 13:42 Uhr
Fassungslos begutachten diese Männer die Zerstörung im Hafen Darwins.
(Foto: Darwin Military Museum)
Anfang 1942 sieht es für die Alliierten im Pazifik düster aus: In atemberaubendem Tempo erobern die Japaner Inselgruppe für Inselgruppe. In Australien wähnt man sich dennoch in Sicherheit - ein Irrglaube.
Der 19. Februar 1942 begann für Iris Bald wie jeder Morgen in den vorangegangenen Wochen: mit Langeweile. Seitdem die Regierung nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor zwei Monate zuvor die meisten Einwohner Darwins aus dem größten Marinestützpunkt an der Nordküste Australiens evakuiert hatte, gab es für die 20-jährige Postangestellte nur noch wenige Gelegenheiten zur Zerstreuung. Lesen war eine davon, doch in der örtlichen Bücherei gab es für Bald schon lange nichts mehr zu holen. Wachtmeister Bob Darken, der zufälligerweise auch gerade in der Bibliothek stöberte, wurde auf die Not der jungen Frau aufmerksam und wusste Abhilfe: Er hätte genau den richtigen Schmöker für Bald, sie könne ihn jederzeit bei ihm zuhause abholen. Ob sie gleich mitkommen wolle? "Meine Pause ist fast um, ich komme das Buch später holen", antwortete Bald und eilte zurück zum Postamt, während Darken in die entgegengesetzte Richtung verschwand. Es war 9.45 Uhr, als die Postangestellte den Satz sagte, der ihr Ende besiegeln sollte: 13 Minuten später war Bald tot, in Stücke gerissen von einer japanischen 250-Kilogramm-Bombe, während Darken einen der dunkelsten Tage in der australischen Geschichte überlebte.

Nur das Klavier überstand wie durch ein Wunder die Zerstörung dieses Hauses.
(Foto: Darwin Military Museum)
Der 19. Februar 1942 markiert nicht nur das jähe Ende des Lebens von Iris Bald, sondern auch den ersten und zugleich verheerendsten Angriff der kaiserlichen japanischen Luftwaffe auf australisches Territorium: 238 Menschen (manche Quellen sprechen sogar von bis zu 300) starben von 9.58 Uhr bis 12.20 Uhr im Bombenhagel, der größte - und einzige - Marinestützpunkt im Northern Territory wurde praktisch dem Boden gleichgemacht. Weitgehend unbekannt ist heutzutage die Tatsache, dass japanische Flugzeuge noch weitere 77-mal australisches Territorium bombardierten, alleine 27-mal zwischen Anfang März und Anfang Mai 1942 - wenn auch nie wieder mit so vernichtenden Konsequenzen wie an jenem Februarmorgen in Darwin.
14 australische, britische und amerikanische Schiffe wurden bei dem Angriff, der als Australiens Pearl Harbor in die Geschichte eingehen sollte, versenkt oder auf Grund gesetzt, 25 weitere schwer beschädigt und die komplette Verteidigungsstaffel aus 31 Flugzeugen zerstört. Oder, um es mit dem japanischen Kommandanten Mitsuo Fuchida zu sagen: "Wenn jemals ein Vorschlaghammer benutzt wurde, um ein Ei zu pellen, dann hier in Darwin."
Eine Handvoll Jagdflieger gegen 250 japanische Kampfflugzeuge
Die Gründe für den Angriff auf den gewaltigen und weitgehend unbevölkerten Kontinent, der immerhin rund 7000 Kilometer vom japanischen Kernland entfernt liegt, erschließen sich nicht auf den ersten Blick und ergeben aus militärischer Sicht auch im Rückblick nur begrenzt Sinn: Die japanischen Streitkräfte, die nur zwei Monate zuvor den schlafenden amerikanischen Riesen mit dem Angriff auf Pearl Harbor geweckt hatten und seitdem in atemberaubender Geschwindigkeit Geländegewinne im pazifischen Raum feierten, träumten nicht, wie früher häufig gemutmaßt, von einer Invasion Australiens - was alleine schon aus logistischer Sicht ein Alptraum für die kaiserlichen Streitkräfte gewesen wäre. "Stattdessen ging es vor allem darum, Angst und Schrecken zu verbreiten und die Australier im besten Falle dazu zu zwingen, von ihrer Allianz mit den Amerikanern Abstand zu nehmen", sagt Norman Cramp, Direktor des Darwin Military Museum, der eine Ausstellung zum 75. Jahrestag der Bombardierung Darwins kuratiert.

Eines der Flakgeschütze, die Darwin vor feindlichen Angriffen schützen sollten.
(Foto: Julian Vetten)
Viel wichtiger als die Erschließung etwaiger Ressourcen auf dem australischen Kontinent war den Japanern vielmehr, die Nachschublinien der Vereinigten Staaten im Südpazifik abzuschneiden, um ihre eigene Macht in ebenjener Einflusssphäre zu sichern. Deshalb entschied sich das japanische Flottenoberkommando zu dem Vorschlaghammer-Angriff, den Kommandant Fuchida nicht grundlos als überdimensioniert abkanzelte: Einem ganzen japanischen Angriffsverband mit vier Flugzeugträgern und insgesamt 242 Kampfflugzeugen konnten die Alliierten an jenem Morgen gerade einmal eine Handvoll größtenteils veralteter Jagdflieger sowie 18 Flakgeschütze entgegenstellen.
Ein Gemetzel wäre also bereits ohne die teils groben Fahrlässigkeiten unvermeidbar gewesen, die sich die australischen Verteidiger leisteten: Um die Bevölkerung nicht zu verunsichern, hatten die Besatzungen der Flakgeschütze noch nie zuvor mit scharfer Munition trainiert - und nur einer der in Darwin stationierten Kampfpiloten hatte bereits mehr als 20 Stunden Flugerfahrung gesammelt. "Obendrein ignorierte die Luftraumüberwachung den per Funk abgesetzten Notruf eines Pfarrers auf einer vorgelagerten Insel, der vor einer großen Zahl unbekannter Maschinen im Anflug warnte", sagt Museumsdirektor Cramp. In Darwin konnte man sich schlicht und ergreifend nicht vorstellen, zum Angriffsziel einer so gewaltigen Streitmacht zu werden.
77 weitere Angriffe auf australisches Territorium
Als die erste Welle aus 152 japanischen Torpedo- und Sturzkampfbombern sowie 36 Jagdflugzeugen schließlich um 9:58 Uhr ihren Angriff begann, brach in Darwin das blanke Chaos aus - auch weil die Japaner zuvor noch eine Schleife geflogen waren und nun aus dem Inland statt von See aus anrückten. Innerhalb von wenigen Minuten verwandelten die Angreifer die Stadt in ein brennendes Leichenhaus - was nach der ersten Welle noch stand, wurde im zweiten Anlauf nur zwei Stunden später von 54 Mitsubishi-Bombern aus großer Höhe dem Erdboden gleichgemacht.

Die Zeitungen gaben das Geschehen, wenn überhaupt, stark verzerrt wieder.
(Foto: Julian Vetten/Darwin Military Museum)
Aus Angst vor einer Panik in der Bevölkerung spielte die australische Regierung den verheerenden Angriff lange herunter: Wenn überhaupt etwas von den Ereignissen des 19. Februar in den Zeitungen landete, dann stark geschönte Versionen der tatsächlichen Geschichte. Erst geraume Zeit nach Ende des 2. Weltkrieges wurde schließlich das ganze Ausmaß der Zerstörung publik. Genutzt hat Japan seine Aggression indes nichts: Statt sich der Macht des Kaisers zu beugen stand Australien bis zum Ende des Krieges an der Seite der Alliierten - und diente amerikanischen Schiffen und Flugzeugen als wichtiges strategisches Sprungbrett bei der Rückeroberung des Pazifikraums.
Quelle: ntv.de