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Entscheidung über Schwarz-Rot Berlin droht politischer Stillstand

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Am Sonntag erfährt die Hauptstadt, was aus den politischen Plänen dieser drei wird: Franziska Giffey, Kai Wegner, und Raed Saleh (v.l.).

Am Sonntag erfährt die Hauptstadt, was aus den politischen Plänen dieser drei wird: Franziska Giffey, Kai Wegner, und Raed Saleh (v.l.).

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Sozialdemokraten in der Hauptstadt entscheiden über eine Koalition mit der CDU. Lehnen sie sie ab, vergehen erneut Wochen bis zur Regierungsbildung - und die SPD stünde vor dem nächsten Machtkampf. Und wer tut sich dann zusammen?

Kevin Hönicke gehört zu den Berliner Sozialdemokraten, die offen für eine Koalition mit der CDU werben. Jeder in der SPD müsse entscheiden, was das Richtige sei, schrieb er neulich auf Twitter zum Mitgliederentscheid seiner Partei über das geplante Bündnis, der Freitagnacht endete. "Ich will die SPD in Verantwortung sehen", ließ Hönicke, Mitglied des Landesvorstandes, die Öffentlichkeit wissen, um dann dem linken Flügel seiner Partei eins mitzugeben. "Ich persönlich stelle Verantwortungsethik vor Gesinnungsethik." Im Übrigen gelte: "Die Welt geht nicht unter, was auch immer Sonntag entschieden wird."

Mit der globalen Aussage dürfte Hönicke richtig liegen. Der Ausgang der Mitgliederbefragung allerdings hat das Zeug, die Führung der Berliner SPD in den Untergang zu treiben, wenn die Basis ihr nicht folgt und in Schwarz-Rot einwilligt. Die Sozialdemokraten in der Bundeshauptstadt sind bekannt für Streit. Die Schärfe in der Debatte über das Für und Wider einer Koalition mit der CDU ist allerdings ungewöhnlich - ebenso, dass der Konflikt weitgehend öffentlich, insbesondere über die sozialen Medien, ausgetragen wird. Die Kluft im SPD-Landesverband verläuft vor allem zwischen jüngeren und älteren Parteimitgliedern, aber auch zwischen Berufspolitikern und der Basis.

Viel spricht dafür, dass das Ergebnis, das an diesem Sonntag um 16.00 Uhr bekannt gegeben werden soll, sehr knapp ausgeht. Welche Seite gewinnt, ist offen. Daran aber hängt die Antwort auf die Frage, wie es für die Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh weitergeht, die den Koalitionsvertrag mit der CDU an vorderster Stelle ausgehandelt und dafür geworben haben. Lehnen die Parteimitglieder ein gemeinsames Regieren von Sozial- und Christdemokraten ab, wird es Rücktrittsforderungen geben - offene und verklausulierte.

Dann wäre Giffey draußen

Die Debatte hat schon begonnen - ebenfalls öffentlich. Hönicke und die Juso-Landesvorsitzende Sinem Taşan-Funke trafen sich für den "Spiegel" zu einem Streitgespräch. Den Sturz des Führungsduos halten beide für möglich. Taşan-Funke sagte, es gehe nicht darum, was "das Beste für unser Führungsduo" sei, sondern für die Stadt. Bei einem Nein zur CDU "vertraue ich darauf, dass sich die Parteispitze dann schnellstmöglich so aufstellt, dass weitere Gespräche mit anderen Bündnispartnern möglich sind". Heißt: Giffey und Saleh wären draußen. Auch Hönicke erklärte: "Wenn der Vertrag abgelehnt werden sollte, würde ich mich zurückziehen, wenn ich Parteivorsitzender wäre."

Dass Taşan-Funke das "potenziell" vor "anderen Bündnispartnern" wegließ, ist kein Zufall. Viele SPD-Mitglieder, vor allem junge, sehnen sich nach einer Fortsetzung von Rot-Grün-Rot. Sozialdemokraten, die gegen Schwarz-Rot sind, begründen das damit, dass die drei linken Parteien durch "ein progressives Verständnis von gesellschaftlicher Entwicklung und ein emanzipatorisches Menschenbild" verbunden seien. Manche gehen sogar so weit, dass sie von einer "Koalition mit einer rassistischen CDU" sprechen. Meist wird dabei auf die Anfrage der CDU im Landesparlament verwiesen, die Vornamen der Randalierer der Silvesterkrawalle zu erfahren, um genau zu wissen, wie viele aus Einwandererfamilien stammen.

Etwa Schwarz-Grün?

Giffey wiederum wirbt für das Bündnis mit der CDU mit der Begründung: "Ich möchte nicht, dass wir in der Opposition zuschauen, wie Schwarz-Grün regiert." Für Giffey, die - Stand heute - nur eineinhalb Jahre Regierende Bürgermeisterin war, geht es auch um das Überleben in einer politischen Spitzenfunktion. Nur wenn Schwarz-Rot zustande kommt und sie Senatorin - neuerdings ist vom Wirtschaftsressort die Rede - wird, hat sie die Chance, 2026 wieder als Spitzenkandidatin anzutreten. Zur Ruhe wird die Berliner SPD auch dann nicht kommen, die Flügel- und Machtkämpfe werden weitergehen.

Folgt die Basis Giffey nicht und tritt sie zurück, wird es auch für den Co-Vorsitzenden Saleh schwierig, Berliner SPD- und Fraktionschef zu bleiben. "Unmöglich, dass Giffey geht und er weiter Fäden spinnt", sagt ein SPD-Mitglied aus Schöneberg, das mit der Äußerung nur anonym zitiert werden will. Aber Saleh werde "auch 51 Prozent für die GroKo zum glanzvollen Sieg erklären, da kennt der nichts".

Allerdings dreht sich die Debatte nicht allein um Schwarz-Rot oder die naheliegende Alternative, eine Fortsetzung der Koalition aus SPD, Grünen und Linken. Sozialdemokraten werben offen für einen Gang in die Opposition, auch wenn bei einigen Akteuren dahinter Taktik stehen könnte, von Grünen und Linke in Verhandlungen möglichst viele Zugeständnisse zu erhalten. Nur wer soll dann regieren? Etwa Schwarz-Grün? Da wäre der Widerstand in den Reihen der Grünen gegen die CDU womöglich noch größer als in der SPD.

Vorerst bliebe Rot-Grün-Rot im Amt

Rot-Grün-Rot hätte es als Koalition nicht gerade einfach. Die Berlinerinnen und Berliner erteilten dem Bündnis im Februar bei der Wahl eine Abfuhr, auch wenn es eine rechnerische Mehrheit weiterhin gibt. Nach einer Forsa-Umfrage für RTL und ntv glauben 45 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, dass CDU und SPD mehr erreichen für die Stadt als andere Konstellationen. 33 Prozent wollen erneut auf SPD, Grüne und Linke setzen. Der rot-grün-rote Senat ist ohnehin im Amt, bis ein neuer Regierender Bürgermeister gewählt wird. Das könnte auch Wochen oder Monate dauern, es gibt keine formale Frist für die Bildung einer Koalition nach einer Wahl.

Falls die SPD-Basis die Koalition mit der CDU ablehnt, droht Berlin politischer Stillstand. Die Sozialdemokraten stünden obendrein vor dem nächsten Machtkampf, wenn nicht vor Chaos-Wochen. Doch auch wenn Schwarz-Rot kommt, wird die Abneigung in der SPD gegenüber den Christdemokraten um den dann amtierenden Regierenden Bürgermeister Kai Wegner nicht geringer werden. Taşan-Funkes Urteil über Wegner fällt eindeutig aus: Der CDU-Landesvorsitzende wäre "kein guter Regierungschef. Er repräsentiert nicht die Stadt als Gesamtes und hat auch gar nicht den Anspruch, sie ganz zu repräsentieren", was "für so einen diversen Ort wie Berlin ziemlich bitter" wäre.

Wie verworren es momentan in der SPD zugeht, zeigte Hönicke in dem "Spiegel"-Streitgespräch mit der Jungsozialistin. Er sagte: "Ich würde mir als CDU inzwischen überlegen, ob ich überhaupt mit der SPD koalieren will, so wie einige aus unserer Partei da geschossen haben."

Quelle: ntv.de

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