Politik

"Das einzige, was interessiert" Botschafter Melnyk sieht sich selbst als Waffenhändler

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"Viele Deutsche glauben aber, je mehr Waffen man liefert, desto länger dauert der Krieg. Das ist eine Fehleinschätzung", kritisiert Melnyk.

(Foto: picture alliance/dpa)

Seit Kriegsbeginn fordert der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk unermüdlich mehr Hilfe von Deutschland und hält sich auch mit harter Kritik nicht zurück. Für einen Diplomaten ist das ungewöhnlich, doch so verstehen Melnyk und sein Präsident seine Rolle in Kriegszeiten auch gar nicht.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, polarisiert. Seit Wochen fordert er vehement mehr Rüstungshilfe von Deutschland, kritisiert die Bundesregierung deutlich und geht auch den Bundespräsidenten persönlich an. Das ist für einen Diplomaten höchst ungewöhnlich. In einem Interview hat Melnyk jetzt sein Rollenverständnis erläutert. "Ich bin hier der Waffenhändler der Ukraine", sagte der Botschafter dem "Tagesspiegel". "Das Einzige, was meinen Präsidenten oder meine Minister interessiert: Gibt es was Neues? Hast du Waffen? Das sind die Gespräche, die wir seit Wochen führen.

Melnyk, der in demselben Interview Bundespräsident Frank Walter Steinmeier persönlich wegen dessen angeblicher Nähe zu Russland angriff, äußerte im Zusammenhang mit den Waffenlieferungen seine Enttäuschung insbesondere über das deutsche Verteidigungsministerium. "Und weil es mit dem Verteidigungsministerium so schlecht läuft, sind wir selbst in engem Austausch mit der deutschen Rüstungsindustrie", sagte Melnyk. "Wir fragen direkt Unternehmen, was lieferbar ist."

Von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht forderte Melnyk dringend eine bessere Zusammenarbeit bei geplanten Waffenlieferungen an die Ukraine. "In dieser Woche haben wir mit Verwunderung aus den Medien erfahren, dass die Ampel nach sehr langer Geheimhaltung angeblich eine Liste mit Waffen vorlegt, die geliefert werden könnten. Da geht es um 308 Millionen Euro", sagte Melnyk weiter. Das Verteidigungsministerium habe die ukrainische Seite aber nicht informiert über diese Liste. "Die Kommunikation könnte viel besser sein. Diese Liste hat uns Wirtschaftsminister Habeck übergeben." Aber einerseits seien da Waffen deutscher Hersteller auf der Liste, die die Armee nicht prioritär brauche, andererseits gebe es keine konkrete Zusage, in welchem Umfang diese Käufe von der Regierung finanziert werden. "Diese Zahl 308 Millionen Euro ist also nur ein Fake", sagte Melnyk.

Er widersprach auch Lambrechts Aussage, dass Deutschland inzwischen der zweitgrößte Lieferant von Waffen sei. "Berlin ist natürlich von null gestartet. Das ist wirklich etwas, das man würdigen muss, und das tun wir auch." Lambrecht habe aber beschlossen, "uns erst dann zu informieren, wenn die Lieferung erfolgt ist." Mit der Ukraine würden bisher keine Planungen abgestimmt. "Am 3. Februar haben wir eine Liste mit von uns benötigten Verteidigungswaffen vorgelegt, einen Monat später, mitten im Krieg, eine weitere auch mit schweren Waffen. Leider ist es so, dass bis heute nur diese erste Liste bearbeitet wird, seit genau zwei Monaten. Man vergeudet so viel wertvolle Zeit."

Der Botschafter forderte vor allem mehr schweres Gerät. "Wir brauchen dringend schwere Waffen. Die Deutschen könnten sehr viel liefern." Es gehe vor allem um stationäre Luftabwehrraketen, Artilleriesysteme, Raketenwerfer, Panzer und gepanzerte Wagen. "Unsere Soldaten laufen zu Fuß zwischen Mykolajiw und Cherson, 60 Kilometer." Schultergestützte Antipanzerwaffen seien zwar effektiv, aber damit könne man den Krieg nicht gewinnen, nur das Vorrücken der russischen Armee stoppen. "Putin muss eben auf dem Schlachtfeld klargemacht werden, dass er diesen Krieg nicht gewinnt." Andernfalls würde das Blutvergießen noch sehr lange dauern. "Viele Deutsche glauben aber, je mehr Waffen man liefert, desto länger dauert der Krieg. Das ist eine Fehleinschätzung."

Quelle: ntv.de, mbo

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