Politik

Geheimdokumente zeigen Bundeswehr plante Chemiewaffen-Einsatz

Bundeskanzler Konrad Adenauer (r) mit Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel bei einer Militärparade 1963.

Bundeskanzler Konrad Adenauer (r) mit Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel bei einer Militärparade 1963.

(Foto: imago/teutopress)

In internationalen Abkommen hatte Deutschland stets den Verzicht auf Chemiewaffen erklärt. Medienberichten zufolge zeigen jahrzehntelang geheim gehaltene Dokumente nun: In den 60er-Jahren trieb die Bundeswehr ein Chemiewaffenprogramm voran.

Die Bundeswehr hat offenbar jahrelang den Einsatz von Chemiewaffen geplant. Dies berichten NDR und ARD, die gemeinsam mit der "Süddeutschen Zeitung" Unterlagen der Bundeswehr und der US-Regierung ausgewertet haben. Die Dokumente stammen aus dem Bundesarchiv und waren jahrzehntelang unter Verschluss.

Bereits 16 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stießen demnach Bundeswehrgeneräle in der Nato eine Diskussion über Chemiewaffen an. Der damalige Generalinspekteur Friedrich Foertsch sagte 1961 im Nato-Militärausschus: "Wir können auf solche Mittel nicht verzichten." In internationalen Abkommen hatte Deutschland den Verzicht auf die Herstellung und Verwendung chemischer Waffen erklärt.

Den Berichten zufolge bat außerdem Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel Ende 1963 die USA, Deutschland Chemiewaffen zur Verfügung zu stellen. Washington beriet lange darüber, das Außenministerium war offenbar skeptisch. Der damalige US-Regierungsberater und C-Waffen-Experte Matthew Meselson äußerte Bedenken: "Das war ein wirklich heißes Eisen. Und nur der Präsident konnte das entscheiden." 1966 entschieden sich die USA schließlich gegen eine Weitergabe. Allerdings behielten sie sich vor, für den Fall des Krieges Alliierte mit chemischer Munition zu versorgen.

Doch offenbar reichte das der Bundeswehr nicht, sie trieb in den Jahren von 1962 bis mindestens 1968 eigene Pläne voran. Laut einem streng geheimen Papier des Führungsstabes von 1964 sollte es einen "Friedensvorrat des Feldheeres" mit 14.000 Tonnen chemischer Sprengmunition geben. Im Ernstfall sollte diese durch Artillerie und Luftwaffe gegen Truppen des Warschauer Pakts eingesetzt werden, berichtet die ARD. In Rücksprache mit dem Verteidigungsministerium gab es offenbar auch detaillierte Planungen der Generäle, zu denen auch eine "Studiengruppe ABC-Wesen" gehörte.

Bundeswehr: DDR-Vorwürfe "manipuliert"

Die Studiengruppe war auch der DDR bekannt. Der westdeutsche Biologe Ehrenfried Petras, der in die DDR übergesiedelt war, berichtete in einer Pressekonferenz Ende 1968 davon. Dabei beschrieb er das "westdeutsche Rüstungsprogramm auf dem B- und C-Waffen-Sektor ... als ein straff organisiertes System der Forschung, Testung und Produktionsvorbereitung".

Das Bundesverteidigungsministerium wies in den 1960er und 1970er Jahren alle Vorwürfe aus der DDR als "manipuliert" zurück. Erst 1968 beschloss Verteidigungsminister Gerhard Schröder, zunächst "keine Vorbereitung für eine aktive Verwendung von chemischen Waffen durch die Bundeswehr vorzusehen".

Wie die Akten nun zeigen, rechtfertigten die Ministeriumsjuristen die geheimen Chemiewaffenpläne damit, dass die Ausrüstung mit Giftgas, seine Lagerung und ein Vergeltungsschlag mit ihnen zulässig seien, wenn der Feind solche Waffen zuerst einsetzen und damit Völkerrecht brechen würde.

Der ARD zufolge zeigte sich der früherer Generalsinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Altenburg, mit Blick auf die Unterlagen "sehr überrascht, mit welcher Intensität und in welcher Zeitdauer diese Dinge verfolgt wurden". Der US-Militärhistorisker Reid Kirby spricht von einer "sehr ernsthaften Untersuchung Westdeutschlands, um chemische Waffen in seine Streitkräfte zu integrieren".

Das Bundesverteidigungsministerium sagte auf Anfrage des Rechercheteams, ihm lägen zu den damaligen Planungen keine Informationen vor. Der Vorgang liege zeitlich zu weit zurück. "Heute existieren auf deutschem Boden weder in deutscher noch in Verantwortung von Nato-Verbündeten Chemie-Waffen."

Quelle: ntv.de, ghö

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