Funktion und Wirkung Die "Eiserne Kuppel" als Schutz für Deutschland?
28.03.2022, 17:09 Uhr
Ein Raketenabwehrsystem vom Typ "Arrow 3" ist für Deutschland im Gespräch.
(Foto: dpa)
Der Angriff Russlands auf die Ukraine mit Hyperschallraketen hat in Deutschland den Ruf nach einem wirksamen Raketenabwehrsystem laut werden lassen. Ein "Iron Dome", eine "Eiserne Kuppel" nach israelischem Vorbild soll her. Aber was ist das, was kann dieses System und schützt es auch vor Hyperschallraketen?
Nach dem ersten Angriff mit einer russischen Hyperschallrakete auf Ziele in der Ukraine haben auch in Deutschland die Alarmglocken geläutet. Dabei ist es unerheblich, ob die "Kinschal", so der russische Name der Hyperschallrakete, die zehnfache Schallgeschwindigkeit, also 12.350 Kilometer pro Stunde erreicht oder nur halb so schnell ist. Fakt ist, dass ein herkömmlicher Marschflugkörper vom Typ "Tomahawk" lediglich mit einer Geschwindigkeit von knapp 900 Kilometern pro Stunde unterwegs ist. Bedenkt man, dass die grundlegende Technik der "Kinschal" auf Technologien der 1980er-Jahre zurückgeht, stellt sich die Frage, warum bis heute kein veritables Abwehrsystem gegen die Angriffswaffe gefunden wurde.
Das Missverständnis "Iron Dome"

Das israelische Raketenabwehrsystem "Iron Dome" ist vor allem gegen Artilleriebeschuss und Kurzstreckenraketen geeignet.
(Foto: dpa)
Bundeskanzler Olaf Scholz hat in der Sendung "Anne Will" seinen Willen geäußert, Deutschland mit einem "Iron Dome" vor etwaigen Raketenangriffen zu schützen. Doch der Begriff der "Eisernen Kuppel" ist etwas missverständlich. Denn tatsächlich verfügt Israel über eine Raketenabwehr mit diesem Namen, allerdings handelt es sich hierbei um ein System zur Vernichtung kleiner Kurzstreckenraketen, zu denen unter anderen die Kassam-Raketen gehören, die zum Beispiel von der Hisbollah aus dem Gazastreifen abgefeuert werden.
Der Kassam-Rakete wird nachgesagt, dass sie etwa 250 Meter pro Sekunde, also gut 900 km/h schnell werden kann. Das Problem soll aber sein, dass sie dadurch, dass sie in Hinterhöfen in Palästina hergestellt wird, nicht geschwindigkeitstreu ist. Sie taumelt also mehr oder weniger durch die Luft. Für derartige Angriffsszenarien ist "Iron Dome" dann als Abwehr sehr gut geeignet. Das System berechnet die Flugbahn und lässt bei drohender Gefahr eine Abwehrrakete aufsteigen. Die folgt dem feindlichen Geschoss, um dann in dessen Nähe zu explodieren und es noch in der Luft unschädlich zu machen. Der gesamte Vorgang dauert nur wenige Sekunden.
Letztlich ist es aber so, dass das Abwehrsystem "Iron Dome" lediglich in der Lage ist, Mörsergeschosse und Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 70 und 250 Kilometern abzufangen. Marschflugkörper wie die Hyperschallrakete "Kinschal" wären hiermit nicht mal ansatzweise zu erreichen. Hinzu kommt, dass die "Eiserne Kuppel", die aus bis zu vier Starteinheiten besteht, lediglich ein Gebiet von 150 Quadratkilometern, also einen Kreis mit einem Radius von knapp sieben Kilometern, gegen Raketen- und Artillerieangriffe verteidigen kann.
Für einen Schutz Deutschlands oder selbst der Hauptstadt Berlin ist "Iron Dome" also nicht mal bedingt geeignet. Denn würde hier ein erster Angriff erfolgen, dann sicherlich nicht mit Kurzstreckenraketen oder durch Artilleriebeschuss. Das ist natürlich auch den Spezialisten klar und insofern wurde ein zweites, aus Israel stammendes Raketenabwehrsystem für Deutschland ins Gespräch gebracht. Es handelt sich um "Arrow 3".
Die Abwehr mit dem "Pfeil"
Das Abwehrsystem "Arrow" ("Pfeil") wurde bereits Ende der 1980er-Jahre entwickelt und unter der Prämisse konstruiert, sogenannte Boden-Boden-Raketen abzufangen und zu zerstören. Zudem war es das erste antiballistische System, das auch in der Stratosphäre, also in einer Höhe von 100 Kilometern eingesetzt werden konnte. Inzwischen ist "Arrow 3" so weit entwickelt, dass es feindliche Raketen durch einen direkten Treffer - englisch "Hit-to-Kill" - unschädlich machen kann. Zudem ist der Lenkflugkörper in der Lage, durch seinen Splittersprengkopf mit einem sogenannten Näherungszünder bei knapp vorbeifliegenden Raketen eine Zerstörung sicherzustellen. Dabei bewegt sich die "Anti-Raketen-Rakete" mit einer Geschwindigkeit von bis zu neun Mach, also 2500 Metern pro Sekunde, und ist damit fast so schnell wie die russische "Kinschal".
Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass "Arrow 3" bis dato nur auf der Luftwaffenbasis Sdot Micha in Israel und dem Pacific Spaceport Complex auf der Insel Kodiak südlich von Alaska getestet wurde. Im Februar 2021 haben Israel und die USA, die seit Beginn des Projektes an der Entwicklung und Finanzierung von Arrow beteiligt sind, bekannt gegeben, dass ab sofort die Entwicklung der Abfangrakete "Arrow 4" beginnt. Die Fertigstellung ist für die kommenden Jahrzehnte geplant, also momentan auch keine Option für eine "Eiserne Kuppel" über Deutschland oder gar Europa.
Schutzschirm nicht nur für Deutschland
Selbst wenn ein Teil des 100 Milliarden Euro starken Sondervermögens für die Ausstattung der Bundeswehr in Verteidigungsmaßnahmen investiert würde, wäre das Abwehrsystem "Arrow 3" in Deutschland frühestens 2025 einsatzbereit. Die "Bild am Sonntag" wusste aus Sicherheitskreisen zu berichten, dass das System zwei Milliarden Euro kosten würde. Für den Schutzschirm müssten dann wohl an drei Standorten in Deutschland Flugkörper-Radarsysteme vom Typ "Super Green Pine" aufgestellt werden. Dieses bodengestützte Raketenabwehrradar wird von Elta, einer Tochtergesellschaft von Israel Aerospace Industries, hergestellt und ist sozusagen Herz und Hirn von "Arrow 3".
Die Daten, die "Super Green Pine" bei einem Raketenangriff auffangen würde, gingen umgehend an den nationalen Gefechtsstand in Uedem in Nordrhein-Westfalen. Dort würde die Luftwaffe die Informationen auswerten und eine der auf dem Bundesgebiet verteilten "Arrow 3"-Raketen abfeuern, um die Angreiferrakete zu zerstören. Nach dem Bericht der "Bild am Sonntag" sollen die Radargeräte so leistungsstark sein, dass sie auch einen Schutzschirm über Polen, Rumänien und dem Baltikum abdecken könnten. Die Nachbarländer müssten lediglich sicherstellen, dass sie "Arrow 3"-Raketen für die Gegenwehr stationiert hätten.
"Es gibt keinen Schutz gegen Hyperschallwaffen"
Doch so überzeugend die Abwehr mit "Arrow 3" klingen mag, es gibt auch kritische Stimmen. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte NATO-General a.D. Hans-Lothar Domröse: "In Israel funktioniert dieses Abwehrsystem gegen traditionelle Raketen seit Jahren hervorragend." Doch wenn Russland Hyperschallwaffen einsetze, könne kein Schutzschirm der Welt etwas dagegen ausrichten. "Es gibt derzeit kein Abwehrsystem, das Raketen mit einer solchen Geschwindigkeit entdecken und dann auch noch abfangen kann." Deutschland würde somit etwas kaufen, das derzeit gegen eine solche Waffe nicht zuverlässig schütze.
Ähnlich äußerte sich auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, Oberst a. D., gegenüber dem RND. "Es gibt keinen Schutz gegen Hyperschallwaffen", so der Außenexperte, "auch die diskutierten Raketen des Typs 'Arrow 3' können gegen solche Waffen nichts ausrichten". Der Experte mahnte weiter, dass es sinnvoller sei, die Nachbarländer Richtung Osten zu schützen und in Deutschland in den Zivilschutz zu investieren. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe habe von den geforderten 100 Millionen Euro, um die es gebeten habe, lediglich einen Bruchteil erhalten, so Kiesewetter.
Quelle: ntv.de