Bedingungen für eine neue GroKo Die SPD missbraucht die Europa-Frage
13.12.2017, 17:39 Uhr
Martin Schulz führt die SPD auf den Weg in eine europäische Utopie. Doch das schadet sowohl seiner Partei als auch der Einheit des Kontinents.
(Foto: imago/IPON)
Um die eigenen Mitglieder für die Große Koalition zu begeistern, stellt die SPD-Führung die "Vereinigten Staaten von Europa" in Aussicht. Das ist nicht nur unrealistisch, sondern schadet letztlich auch dem europäischen Projekt.
Alles deutet nach dem SPD-Parteitag darauf hin, dass die SPD-Führung ihre Kehrtwende zur Erneuerung der sogenannten Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel primär mit europapolitischen Initiativen begründen will. So will sie den Widerstand gegen die GroKo in ihren eigenen Reihen überwinden und sich als Retterin aus der europäischen Krise profilieren. In zweifacher Hinsicht ist dies ein verhängnisvoller Missbrauch der Europa-Frage.

Werner Link ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zu Europa und zur deutschen Außenpolitik verfasst.
Schon für sich betrachtet, sind die inhaltlichen Reformvorstellungen völlig unrealistisch, und zwar selbst dann, wenn man sie für wünschenswert hielte. Bekanntlich ist bereits der moderate Verfassungsvertrag von 2004 gescheitert – nicht zuletzt am Nein des französischen und des niederländischen Referendums. Ein Föderationsvertrag zur Begründung der Vereinigten Staaten von Europa würde in keinem EU-Land (auch nicht in Deutschland) hinreichende Zustimmung finden. Die nassforsche Klausel, nicht zustimmende EU-Staaten müssten halt die EU verlassen, ist geradezu lächerlich. Als föderalistische Zuchtmeisterin Europas würde die SPD und jede deutsche Regierung krachend scheitern.
Die innerparteiliche Instrumentalisierung der Europa-Frage ist ebenfalls schädlich für die europäische Idee und zudem argumentativ nicht schlüssig. Die SPD-Führung behauptet, notwendige europapolitische Reformen ließen sich von der SPD nur als neuerlicher Juniorpartner einer Großen Koalition fördern und durchsetzen, nicht aber als Oppositionspartei in Tolerierung einer Minderheitsregierung Merkel aus Union und Grünen oder nach unberechenbaren Neuwahlen.
Der Weg der SPD führt zum Scheitern
Gewiss, die Furcht vor weiteren zu erwartenden Stimmenverlusten ist parteipolitisch verständlich. Sie lässt sich aber nicht staatspolitisch ins Feld führen. Dass der Einfluss der SPD in der Europapolitik einer neuen GroKo größer wäre als der sehr geringe bisherige Einfluss, ist indes eine kühne Behauptung, die rational nicht zu begründen ist.
Kanzlerin Merkel wird selbst dann, wenn sie wollte (was zu bezweifeln ist) keine Europapolitik betreiben, die den sozialdemokratischen Vorstellungen entspricht. Denn sie muss auf die erheblichen Widerstände in den eigenen Reihen Rücksicht nehmen und weiteren Wählerabwanderungen zur AfD und FDP vorbeugen. Und falls die Kanzlerin kleine europapolitische Reformschritte tatsächlich machen sollte, werden sie ihr und nicht dem sozialdemokratischen Koalitionspartner zugerechnet werden.
Hingegen könnte die SPD als Opposition zwar nicht ihr unrealistisches Großprojekt fördern, aber doch gestaltend mitwirken an kleinen realistischen Reformen einer schwarz-grünen Minderheitsregierung. Die punktuelle Unterstützung der SPD würde den Druck aus den Reihen der Union und aus AfD und FDP kompensieren. So könnte die SPD in (allerdings bescheidenem Maße) punkten und für Wählerstimmen bei Neuwahlen mit einer besseren Europapolitik werben.
Die SPD-Führung hat sich zur Begründung ihrer Kehrtwende hin zu einer Neuauflage der Großen Koalition auf den Weg in die europäische Utopie begeben, der unweigerlich zum Scheitern führen wird. Sie mag damit den Widerstand gegen eine neue GroKo intern überwinden. Aber die langfristigen Folgen dieses Schrittes werden fatal sein – nicht nur für die Partei, sondern für die politische Entwicklung in Deutschland und Europa (sogar wenn diese Regierung letztlich doch nicht zustande kommen sollte). Denn die Instrumentalisierung der Europa-Frage wird die europäische Idee diskreditieren und die bereits vorhandene europapolitische Skepsis verstärken – auch in Deutschland.
Quelle: ntv.de