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RTL deckt Zertifikate-Betrug auf "Einbürgerungen und die Aufenthalts-Vergabe müssen pausieren" 

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RTL-Journalistin Liv von Boetticher im Gespräch mit Polizeigewerkschafter Heiko Teggatz.

RTL-Journalistin Liv von Boetticher im Gespräch mit Polizeigewerkschafter Heiko Teggatz.

(Foto: RTL)

In großem Stil erschleichen sich Menschen Aufenthaltstitel und Einbürgerungen mit gefälschten Zertifikaten. Recherchen von RTL und "Stern" zeigen das Ausmaß des Betrugs. Im Gespräch mit n-tv.de warnt Heiko Teggatz, Vize-Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, vor den Folgen der kriminellen Masche.

ntv.de: Herr Teggatz, Sie haben Einblicke in unsere Recherche erhalten - was sind Ihre Gedanken, wenn Sie sehen, wie einfach es ist, an vermeintlich echte oder zumindest täuschend echt aussehende Zertifikate zum Zwecke der Einbürgerung heranzukommen?

Heiko Teggatz: Es ist erschreckend und alarmierend. Es handelt sich hierbei um klassische organisierte Kriminalität. Hier wird mit ganz geringem Wareneinsatz ein sehr, sehr, sehr großer Gewinn erzielt. Hier geht es mutmaßlich um Millionen, die diese kriminelle Bande an Geld umsetzt.

Was muss aus Ihrer Sicht politisch jetzt passieren, nachdem bekannt wurde, dass gefälschte Zertifikate offenbar massenhaft für Aufenthaltstitel genutzt wurden?

Zum einen muss man natürlich dieser Bande auf die Schliche kommen und das macht die Polizei ja in einem groß angelegten Ermittlungsverfahren. Aber viel, viel, viel wichtiger ist jetzt erst mal: Die Politik sollte jetzt schnell eine Notbremse ziehen, um eine Schadensbegrenzung herbeizuführen. Denn wir wissen ja gar nicht: Wie viele gefälschte Zertifikate bereits im Umlauf sind und wie viele kommen möglicherweise noch? Vor allem aber: Wer überprüft jetzt in den Ausländerbehörden, ob die Ausstellung der Aufenthaltstitel tatsächlich auf echten Zertifikaten beruht oder auf Fälschungen? Also, das muss jetzt überprüft werden. Meine klare Forderung ist daher erst mal das Aussetzen aller Verfahren, für die B1- und "Leben in Deutschland"-Zertifikate benötigt werden. Also neben der Einbürgerung und dem Erteilen einer Niederlassungserlaubnis auch die reine Vergabe oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln. Zweitens müssen wir überprüfen: Wer hat in den letzten ein bis zwei Jahren welche Zertifikate vorgelegt? Und schlussendlich muss man auch sagen, man muss sich hier schlichtweg was anderes einfallen lassen. Denn ganz offensichtlich funktioniert diese Modalität ja nicht, sich online solche Zertifikate zu besorgen, um dadurch möglicherweise sogar den Weg aus der Duldung, also aus der Aussetzung der Abschiebung, in den Sozialstaat zu finden. Das ist hochkriminell.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse dieser Recherche in Bezug auf die Sicherheit und Integrität unseres Einwanderungssystems?

Das ist katastrophal, passt aber ins Bild der Gesetzgebung der letzten Jahre. Sicherheitspolitisch haben wir hier einen kompletten Kontrollverlust. Gleichzeitig ist es eine Katastrophe für den Rechtsstaat. Es ist auch unglaublich schwierig für ungeschultes Personal, diese Fälschung zu erkennen. Und hier werden wie gesagt Aufenthaltstitel vergeben auf falscher Rechtsgrundlage. Das wird durch eine sehr oberflächliche und liberale Gesetzgebung natürlich erst ermöglicht. Denn das Chancen-Aufenthaltsrecht, wenn Sie sich das mal genauer anschauen, öffnet ja sozusagen Tür und Tor für genau solche Fälle.

Dieser großangelegte Betrug belastet den Sozialstaat ungemein. Ich meine, wir diskutieren über Bürgergeld, wir diskutieren über die Tatsache, dass fast 50 Prozent der Bürgergeldempfänger Nichtdeutsche sind. Und auf der anderen Seite dulden wir solche Zertifikate, die dann fälschlicherweise und unberechtigterweise Menschen in genau diese Sozialsysteme reinbringen würden. Das bringt den Rechtsstaat schon ziemlich ins Wanken, wenn das Dimensionen annimmt, wie ich vermute, dass es sie annehmen wird.

Was wäre denn jetzt Ihre Forderung?

Zunächst einmal ist meine klare Forderung an die Politik, sämtliche Verfahren für die Einbürgerung, aber auch für die Aufenthaltstitelvergabe, die auf diesen Zertifikaten fußen, zu stoppen, ehe man da noch weiter einbürgert oder eben Aufenthaltstitel vergibt, die möglicherweise auf gefälschten Grundlagen basieren. Zweitens müssen die Ausländerbehörden, die diese Aufenthaltstitel erteilt haben, natürlich jetzt noch mal prüfen, ob denn das, was da vorgelegt wurde, tatsächlich ein echtes Dokument war oder nicht. Das heißt, es müssten eigentlich alle noch mal angeschrieben werden mit der Bitte, das Original-Dokument noch mal vorzulegen. Ein Haufen Arbeit - und das wird eine ganze Weile Zeit in Anspruch nehmen. Und drittens muss all denjenigen, die sich ihren Aufenthaltstitel sozusagen mit dieser Fälschung ergaunert haben, dieser wieder aberkannt werden. Das steht für mich außer Frage.

Was können Sie über die Täterstruktur sagen?

Aufgrund der Dimension und des bundesweiten Vertriebs gehe ich davon aus, dass es sich hierbei um Organisierte Kriminalität handelt und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es sich darüber hinaus um Clankriminalität handelt. Es ist auch immer von Vorteil für Kriminelle, wenn sie die Sprache derer sprechen, die jetzt diese Produkte kaufen. In den von Ihnen dokumentierten Fällen wäre das Arabisch und Türkisch. Bei den von Ihnen gefilmten Festnahmen handelt es sich um drei deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund sowie einen türkischen Staatsbürger. Hier bestätigt sich aber auch die polizeiliche Kriminalstatistik, wonach es eben nicht so ist, dass deutsche Straftäter den überwiegenden Anteil der Straftaten in Deutschland begehen. Sondern hier wird die These, die die polizeiliche Kriminalstatistik hergibt, untermauert, wonach ausländische Straftäter oder deutsche Straftäter mit Migrationshintergrund den Großteil bei Betrugsdelikten ausmachen.

Gleichzeitig zeigen die Bilder Ihrer Recherche, insbesondere die von den Kriminellen versendeten Sprachnachrichten, dass die Täter tatsächlich eine große Routine haben. Sie agieren seelenruhig. Offenkundig hatten sie auch in den vergangenen Jahren wenig zu befürchten und konnten den Modus Operandi nahezu ungestört durchsetzen.

Wie gefährlich ist dieses Milieu?

Es ist nicht ungefährlich. In diesen Kreisen macht man nicht selten tatsächlich kurzen Prozess. Wenn das Geschäftsmodell in Gefahr gerät, durch polizeiliche Ermittlungen oder durch andere Störungen, sind im Umfeld der Organisierten Kriminalität die Beteiligten zu allem bereit. Das muss man einfach so sagen. Die Macheten, die Sie während der Festnahme in Hamburg gefilmt haben, werden nicht zum Apfelschälen im Kofferraum gelegen haben, sondern die werden vermutlich genau zu solchen Zwecken dort gewesen sein. Auch gibt es natürlich Konkurrenzkämpfe: Konkurrierende Banden gehen dann mit Messern und Schusswaffen aufeinander los, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch in voll belebten Straßen. Da kennen die handelnden Akteure keine Gnade. Das ist kreuzgefährlich.

Mit Heiko Teggatz sprach Liv von Boetticher

Warum bundesweit Ausländerbehörden überfordert scheinen, wie die Betrugsmasche funktioniert und wie die Kriminellen reagieren, wenn man sie mit ihren Taten konfrontiert: Die gesamte Recherche "Geheimer Passbetrug auf TikTok" zeigt am Dienstag, den 9. September 2025 um 22.15 Uhr das TV-Magazin "RTL Extra".

Quelle: ntv.de

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