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Interna von Whistleblower Eine Ausländerbehörde warnt vergeblich vor ihrem Kollaps

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Der Mitarbeiter einer Behörde Nordrhein-Wetfalens im Gespräch mit "RTL Extra". Er wollte lieber anonym bleiben.

Der Mitarbeiter einer Behörde Nordrhein-Wetfalens im Gespräch mit "RTL Extra". Er wollte lieber anonym bleiben.

(Foto: RTL)

Ausreisepflichtige Schwerstkriminelle werden nicht abgeschoben, Zuwanderer erschleichen sich Aufenthaltstitel: Warum Deutschland immer wieder mit Menschen überfordert ist, die gar nicht da sein sollten, zeigen exklusive Recherchen zur Ausländerbehörde Düsseldorf.

Über Umwege erreicht die Redaktion von "RTL Extra" vor einigen Monaten ein gut gefüllter DINA4-Briefumschlag. Der Inhalt: mehrere sogenannte "Situationsberichte" zum Zustand der Ausländerbehörde Düsseldorf - beginnend im Jahr 2022, der letzte trägt das Datum vom 20. Mai 2025. Als Verfasser der Berichte werden sowohl der Leiter der Kommunalen Ausländerbehörde als auch einzelne Mitarbeiter benannt. Adressiert sind die Dokumente an das Amt für Migration und Integration, die Kommunale Ausländerbehörde sowie den Personalrat der Landeshauptstadt Düsseldorf.

In den Papieren wird ein Zustand der völligen Überlastung beschrieben, die Verzweiflung der Verfasser scheint von Dokument zu Dokument, von Jahr zu Jahr zu steigen. Das letzte Dokument vom Mai dieses Jahres wurde von mehr als 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschrieben. Doch bereits Jahre zuvor, im November 2022, waren die Warnungen deutlich. "Gerade einmal 2-3 Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen" seien "soweit eingearbeitet, dass sie ihren Aufgabenbereich umfänglich beherrschen", heißt es in einem Schreiben. Der Umstand werde wiederum dadurch verstärkt, dass die wenigen vorhandenen Teamleitungen sich kaum noch um ihre Mitarbeiter kümmern könnten, um ihnen beispielsweise die notwendige fachliche Anleitung zu geben.

Die Unterbesetzung ziehe sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche. "Diese Behörde ist, wie fast alle Ausländerbehörden im gesamten Bundesgebiet, chronisch unterbesetzt", wird weiter ausgeführt. Notwendige Nachkontrollen von Bearbeitungen könnten daher oft nicht vorgenommen werden. Fehler blieben somit unentdeckt.

Behördenalltag im Ausnahmezustand

Gerade in Bezug auf die Prüfung von Dokumenten, die zur Erteilung von Aufenthaltstiteln bis hin zu Einbürgerungsentscheidungen vorgelegt werden, wirken diese Aussagen alarmierend. "Das vorhandene Fachwissen hat ein bedenkliches Mindestmaß angenommen", heißt es etwa im Situationsbericht vom 6. September 2024, adressiert an das Amt für Migration und Integration in Düsseldorf. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien "der Gesamtsituation einfach nicht mehr gewachsen". Viele Beschäftigte wollten die Dienststelle verlassen. Den erfahrenen Kollegen fehle "einfach die Zeit, um einfache sowie komplexere Sachverhalte zu vermitteln". Die neuen Kolleginnen und Kollegen müssten sich per "Learning by Doing" durchfragen, "was einerseits zu einem deutlichen Mehraufwand für die Altkollegen während der Termine" führe und andererseits zu deutlich mehr Fehlern in Bezug auf die Fallbearbeitung.

Neben der Masse an unbearbeiteten Fällen gebe es in Düsseldorf jedoch noch ein weiteres gravierendes Problem: "Die Aktenhaltung ist milde ausgedrückt katastrophal", heißt es im Situationsbericht vom 20. Mai 2025. Durchschnittlich jede zweite Akte sei nicht mehr auffindbar. Dies führe einerseits zu einem unnötig hohen zeitlichen Mehraufwand, um Akten zu finden, und andererseits dazu, dass viele Fälle im Termingeschäft nicht entschieden werden könnten "oder teilweise ohne Akten entschieden werden, wodurch Fehler entstehen und keine Rechtssicherheit mehr gegeben ist".

Schwerstkriminelle bleiben, Mitarbeiter sind gefährdet

Aus den Papieren ergibt sich auch, dass ausgerechnet die Abschiebung von Clan-Kriminellen und Intensivstraftätern teils nicht gelinge: "Straftäter, auch Intensivstraftäter, mit mehrjährigen Haftstrafen werden nicht ausgewiesen. Sie verbleiben auch nach Haftverbüßung und begehen weitere Straftaten." Damit drohe nicht nur ein Rechtsstaatlichkeitsproblem, sondern auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Die Ausländerbehörde Düsseldorf sei "in vielen Bereichen handlungsunfähig". Ursache hierfür sei ebenfalls die massive Überlastung.

Besonders brisant sind die Passagen über den Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: "Der Schutz der Mitarbeitenden wird verworfen, um den Vorsprechenden nicht zu suggerieren, dass es problematische und gewaltbereite Kunden gibt." Am 1. April 2025 habe es beispielsweise "drei Mal am Arbeitsplatz ohne eine entsprechende Reaktion der Sicherheitskräfte Alarm" gegeben.

Politische Verantwortung bei Stadt, Land und Bund

Die in den Dokumenten beschriebenen Zustände werfen unangenehme Fragen an die verantwortlichen Stellen auf. Düsseldorf steht als größte Stadt Nordrhein-Westfalens unter besonderer Beobachtung - doch die Probleme sind bundesweit bekannt. Schon länger warnen Experten vor einem massiven Reformstau in den Ausländerbehörden. Die nun veröffentlichten Dokumente zeigen, wie dramatisch die Lage vor Ort offenbar bereits ist.

Für die Stadt kann das auch eine finanzielle Dimension haben, die Verfasser eines Schreibens warnen: "Ein großer Teil dieses Personenkreises bezieht öffentliche Mittel. Für die Stadt Düsseldorf ergibt sich aus dieser Situation ein hoher Kostenfaktor. Somit ist ein nicht unerheblicher wirtschaftlicher Schaden und ein sicherheitsrelevantes Risiko für die Stadt Düsseldorf festzustellen."

Konfrontiert mit den schwerwiegenden Missständen äußert der Sprecher des von der Grünen-Politikerin Josefine Paul geleiteten Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration NRW (MKJFGFI NRW) sich nicht konkret zu den geschilderten Zuständen. Er teilt aber mit: "Die Belastung der Ausländerbehörden ist derzeit bundesweit sehr hoch." Mit der Ausländerbehörde Düsseldorf fänden derzeit jedoch "regelmäßig Austauschformate sowohl auf fachlicher Ebene, als auch auf politischer Ebene" statt, zuletzt habe man sich über den "bereits weit fortgeschrittenen Prozess der Reformierung und Modernisierung der Behörde" ausgetauscht. Die Whistleblower-Dokumente zeichnen ein anderes Bild.

Bekannt sind dem Ministerium laut Sprecher hingegen "konkrete Missbrauchsfälle mit gefälschten Sprachzertifikaten und in Einzelfällen auch durch gewerbsmäßige Stellvertreterprüfungen zur Erlangung von Aufenthaltstiteln". Pauls Ministerium verfolge daher das Problem "mit Nachdruck". Regelmäßig habe das Ministerium "Informationserlasse an die Ausländerbehörden verschickt, um die Mitarbeiter mit Blick auf mögliche Missbrauchsfälle zu sensibilisieren." Angesichts der in den Dokumenten beschriebenen Überlastung, dem fehlenden Fachwissen und der sehr begrenzten zeitlichen Ressourcen scheint es an diversen Stellen Bedarf zu geben.

Quelle: ntv.de

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