Industrie stößt an Grenzen Experten: Russlands Militär steht ab 2025 vor vielen Problemen
14.02.2024, 19:34 Uhr Artikel anhören
Russische Artilleristen beim Bedienen einer Haubitze in der Ukraine.
(Foto: IMAGO/SNA)
Wissenschaftler des britischen Instituts RUSI sehen die Streitkräfte Russlands in diesem Jahr auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten. Ab 2025 könnten sich die Erfolgsaussichten des Kreml in der Ukraine aber schrittweise verringern, meinen die Experten. Dafür nennen sie mehrere Gründe.
Nach Ansicht britischer Militärexperten wird Russlands Potenzial im Angriffskrieg gegen die Ukraine Ende des Jahres ihren Zenit erreichen. Ab 2025 werden die materiellen Herausforderungen Moskaus zunehmen, schreiben die beiden Wissenschaftler Jack Watling und Nick Reynolds vom Royal United Services Institute (RUSI) in einem aktuellen Kommentar. Nach 2026 werde sich "die russische Kampfkraft erheblich verringern" und Russlands Industrie könnte als Folge des Materialkrieges bis dahin ausreichend beeinträchtigt sein, sodass sich "Russlands Erfolgsaussichten mit der Zeit verschlechtern".
Laut Watling und Reynolds erleiden Moskaus Streitkräfte weiterhin schwere Verluste, könnten diese aber bislang ausgleichen. "Zwar findet derzeit keine Großoffensive statt, doch haben die russischen Einheiten die Aufgabe, kleinere taktische Angriffe durchzuführen, die der Ukraine zumindest stetige Verluste zufügen und es den russischen Kräften ermöglichen, Stellungen einzunehmen und zu halten", heißt es in dem Kommentar.
Obwohl die angestrebte Aufstockung des russischen Militärs auf 1,5 Millionen Mann nicht realisiert werden könne, würden die Rekrutierer derzeit fast 85 Prozent der ihnen zugewiesenen Anwerbungsziele erreichen. Der Kreml gehe davon aus, dass er die derzeitige Verlustrate bis 2025 beibehalten könne. Die russischen Streitkräfte werden den Autoren zufolge daher in der Lage sein, während des laufenden Jahres ein gleichmäßiges Angriffstempo beizubehalten.
Rüstungsindustrie stößt an Grenzen
Im Bereich der Rüstungsindustrie sei es Russland gelungen, die Produktionsleistung zu steigern. Als Beispiel führen Watling und Reynolds an, dass Russland jährlich rund 1500 Panzer und etwa 3000 gepanzerte Fahrzeuge an die Streitkräfte ausgebe. "Trotz dieser Errungenschaften stößt Russland bei der Langlebigkeit und Zuverlässigkeit seiner industriellen Produktion an erhebliche Grenzen."
Denn bei den Panzern und gepanzerten Fahrzeugen handele es sich zu etwa 80 Prozent um überholte und modernisierte Lagerbestände. Diese Reserven würden es Russland ermöglichen, dass man bis Ende 2024 eine konstante Auslieferung aufrechterhalten könne. Bis 2026 werde ein Großteil der Bestände allerdings aufgebraucht sein. "In dem Maße, wie die Zahl der überholten Fahrzeuge sinkt, können die industriellen Kapazitäten in die Herstellung neuer Systeme fließen, was jedoch zwangsläufig zu einem erheblichen Rückgang der an das Militär gelieferten Fahrzeuge führen wird."
Munitionsproduktion deckt nicht den Bedarf
Eine weitere Schwachstelle sei Russlands Abhängigkeit von westlichen Komponenten bei der Raketenproduktion. Obwohl Moskau aufgrund der unzureichenden Sanktionspolitik eine kontinuierliche Versorgung mit benötigten Bauteilen aufrechterhalte, seien die Beschaffungskosten um 30 Prozent gestiegen. Trotz zusätzlicher Investitionen sei es lediglich gelungen, die Lieferungen zu stabilisieren, anstatt sie auszuweiten.
Auch bei der Herstellung von Munition habe Russland Probleme, merken die Autoren an. So habe das russische Verteidigungsministerium einen Bedarf von etwa 5,6 Millionen Granaten der Kaliber 152 Millimeter und 122 Millimeter für 2024 berechnet. Die Industrie gehe allerdings davon aus, lediglich 2,1 Millionen Granaten der geforderten Kaliber produzieren zu können. Russland müsse daher auf Lagerbestände zurückgreifen, die sich im schlechten Zustand befinden würden.
"Obwohl die Lieferung von rund zwei Millionen 122-Millimeter-Granaten aus Nordkorea Russland im Jahr 2024 helfen wird, wird dies den erheblichen Mangel an verfügbarer 152-Millimeter-Munition im Jahr 2025 nicht ausgleichen können", heißt es in dem Kommentar. Die russische Gesamtproduktion von Artilleriegeschossen aller Art dürfte sich bei drei Millionen Stück pro Jahr einpendeln.
Fazit: Waffenlieferungen untergraben Kreml-Pläne
Sollte der Westen die Ukraine weiterhin mit Waffen und Munition versorgen, werde Russland im kommenden Jahr wahrscheinlich keine nennenswerten Erfolge erzielen können, so das Fazit. "Wenn Russland im Jahr 2025 keine Aussicht auf Erfolge hat, weil es nicht in der Lage ist, die Qualität seiner Streitkräfte für Offensivoperationen zu verbessern, dann wird es folglich Schwierigkeiten haben, Kiew bis 2026 zur Kapitulation zu zwingen."
Ein Ansatz, der darauf abzielt, den Widerstand der Ukraine bis zum Jahr 2025 zu sichern, untergrabe nicht nur die Planungen des Kremls, sondern biete auch genügend Zeit, um die ukrainischen Streitkräfte so aufzustellen, dass sie dem russischen Militär qualitativ überlegen ist, meinen Watling und Reynolds. Dies sei von entscheidender Bedeutung, um Russland zu zwingen, Friedensverhandlungen aufzunehmen, deren Bedingungen die Ukraine nicht benachteiligen.
Quelle: ntv.de