Keine seelische Störung Gerichts-Psychiater: Zschäpe ist schuldfähig
27.10.2016, 15:47 Uhr
Beate Zschäpe.
(Foto: dpa)
Sie soll an den Morden von zehn Menschen beteiligt gewesen sein. Doch bislang war fraglich, ob sie dafür überhaupt belangt werden kann. Sie kann, ist sich ein Gutachter nun sicher: Er könne bei ihr keine "tiefgreifende Bewusstseinsstörung" erkennen.
Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe ist nach Auffassung eines Gutachters schuldfähig. Anzeichen "einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder eines Schwachsinnes" hätten sich nicht ergeben, schreibt der forensische Psychiater Henning Saß in seinem schriftlichen Gutachten, das er im Auftrag des Oberlandesgerichts München erstellt hat. In das Gutachten hatten die Nachrichtenagentur dpa und der "Tagesspiegel" Einblick.
Für seine Bewertung hat der renommierte Experte die Angeklagte während des bislang dreieinhalb jährigen Prozesses an vielen Tagen beobachtet und währenddessen auch zahlreiche Zeugenaussagen mitbekommen. Nun reichte er das 173 Seiten umfassende Papier beim Oberlandesgericht ein.
In seinem Gutachten schreibt Saß: Auch wenn Zschäpes Alkoholkonsum zeitweise "das Ausmaß eines schädlichen Gebrauches" erreicht habe, sei nach allen vorhandenen Informationen keine "Abhängigkeitserkrankung, die nicht mehr steuerbar gewesen wäre" eingetreten. Zschäpe hatte während des Prozesses unter anderem ausgesagt, sie habe die Wohnung, in der sie zusammen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelebt habe, in betrunkenem Zustand angezündet. Ein Umstand, der sich schuldmildernd auswirken könnte. Doch Saß sieht keinen Hinweis auf eine stärkere "Berauschung". Probleme mit Drogen oder Medikamenten hätte Zschäpe nicht.
Gutachter: Starke Frau mit negativer Prägung
Der Psychiater sieht sie als eine mutmaßlich starke Frau mit negativer Prägung. Saß hat den "Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit" mit deutlich antisozialen "Zügen". Für den Gutachter ist das "Szenario" denkbar, Zschäpe habe mit Mundlos und Böhnhardt eine verschworene Gemeinschaft gebildet und den "politisch-ideologischen Begründungsrahmen" für die Taten "aus fremdenfeindlichem, rassistischem und nationalistischem Gedankengut" akzeptiert.
Saß will jedoch nicht ausschließen, dass die fast 14 Jahre im Untergrund so verlaufen sind, wie Zschäpes es in über die zwei neuen Verteidiger mitgeteilt hat. Die Angeklagte sprach von Entsetzen über die Morde, die Mundlos und Böhnhardt begingen. Andererseits habe ihr die emotionale Kraft gefehlt, sich von den beiden Männern zu lösen.
Zweifel am Wahrheitsgehalt
Der Psychiater hat jedoch Zweifel, dass Zschäpe das Geschehen wahrheitsgemäß schildert. Im "Ausdrucksverhalten" der Angeklagten lassen sich für Saß "keine deutlichen Hinweise beobachten, die für eine Authentizität sprechen können". Saß vermisst "Anzeichen einer persönlichen Betroffenheit, eines gefühlsmäßigen Mitschwingens und einer spürbaren Anteilnahme an den Aussagen der Zeugen in entsprechenden Prozesssituationen, die zeitweise durchaus emotional berührenden Charakter trugen". Damit sind vor allem die Auftritte von Angehörigen der Ermordeten gemeint. Im Oktober 2013 hatte die Mutter des vom NSU in Kassel erschossenen Halit Yozgat Zschäpe angefleht, sich zu den Taten zu äußern. Doch Zschäpe blieb stumm.
Nur zurückhaltend bewertete Saß die Frage nach der Gefährlichkeit Zschäpes. Er bescheinigte ihr einen Hang zu Gesetzlosigkeit auf Basis von "dissozialem Verhalten und der Identifikation mit einem kriminellen Lebensstil". Ebenso vorsichtig äußerte sich der Psychiater auch zu der von der Bundesanwaltschaft in der Anklage angeregten Sicherungsverwahrung für die Angeklagte. Dabei kommen auf die Aussichten einer therapeutischen Behandlung in der Haftzeit an. Da sei von einem "langjährigen Geschehen" auszugehen, vermutet er, "das zudem sehr stark davon abhängt, ob und in welcher Geschwindigkeit Frau Zschäpe bereit ist, sich von bisherigen politisch-ideologische Vorstellungen zu lösen, sofern diese noch vorhanden sein sollten".
Das Gutachten wird wahrscheinlich im November Thema im Prozess sein.
Quelle: ntv.de, kpi/dpa