
Scholz wollte an diesem Morgen die Richtung vorgeben, doch in der Generaldebatte passierte noch viel mehr als sein "Deutschland-Pakt".
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Merz macht den Bundestag zum Bierzelt, die Grünen schwenken die rhetorische Kreuzberg-Fahne und die Linke rastet beinahe aus. Die Haushaltsdebatte hat es in sich. Nicht nur wegen des Deutschland-Pakts von Bundeskanzler Scholz.
Wäre die Haushaltsdebatte im Bundestag ein Fußballspiel gewesen, es hätte nach der Rede von Friedrich Merz schon 2:0 gestanden. So fulminant stieg der Unionsfraktionschef in die Debatte ein, fuhr Angriff um Angriff gegen die Ampel-Regierung, dass man zumindest mit geschlossenen Augen meinen konnte, man sei gar nicht im Plenarsaal des Reichstags, sondern noch immer im Bierzelt auf dem Gillamoos. Der Oppositionsführer wetterte gegen vermeintliche Tricks beim Verteidigungshaushalt, gegen die Kindergrundsicherung oder zu viel Verzagtheit im Kampf gegen die Bürokratie.
Ob er recht damit hatte? Ansichtssache - doch dann kam der Bundeskanzler und mit seiner Augenklappe wirkte Olaf Scholz fast noch entschlossener, sich vom CDU-Chef nicht an die Wand reden zu lassen. Jedenfalls wies er die Kritik unter dem Applaus seiner Fraktion ungewohnt leidenschaftlich zurück. Er wich sogar minutenlang von seinem vorbereiteten Redemanuskript ab. So war ziemlich schnell klar, dass diese Haushaltsdebatte halten würde, was sie versprach.
Sein Redemanuskript hatte der Kanzler zuvor bereits an Journalisten schicken lassen. Er hatte sich einiges vorgenommen, einen großen Wurf, der in Erinnerung bleiben sollte. Er schlug der Opposition, Ländern, Städten und Gemeinden einen "Deutschland-Pakt" vor, um das Land wieder auf Vordermann zu bringen. Er zählte das ganze Programm auf: Züge sollen wieder pünktlich werden, Arzt- und Amtstermine schneller verfügbar sein und das Bürokratiemonster gebändigt werden, um nur einige Schlaglichter zu nennen.
Das hatte etwas von "Zeitenwende 2.0" und ähnelte im Ton seiner großen Rede kurz nach dem Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine, als er das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angekündigt hatte. "Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung", rief Scholz. "Tempo statt Stillstand! Handeln statt Aussitzen! Kooperation statt Streiterei!" - wobei CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ihn später fragte, ob er damit eigentlich die eigenen Reihen meinte.
Was ist deutscher? Gillamoos oder Kreuzberg?
Die anderen Parteien schienen auf diesen ganz großen Aufschlag allerdings nur halbwegs vorbereitet zu sein. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge nahm den Ball des Kanzlers jedenfalls nicht auf - auf den Deutschland-Pakt ging sie wenig bis gar nicht ein. Stattdessen schoss sie sich auf Merz ein und wies ihn wegen seiner Kreuzberg-Äußerung zurecht. Der hatte im Bierzelt auf dem bayerischen Volksfest Gillamoos behauptet, Berlin-Kreuzberg - übrigens eine Grünen-Hochburg - sei nicht Deutschland, sondern der Gillamoos sei Deutschland. Die FDP machte in Person von Christian Dürr wieder einmal deutlich, wie uneinig die Ampel-Parteien untereinander sind, indem er den Industriestrompreis verwarf, den Dröge nur Minuten zuvor gefordert hatte.
Tino Chrupalla von der AfD kreiste spürbar auf seiner eigenen Umlaufbahn, forderte Neuwahlen und sah sich trotz der lebendigen Debatte ausgerechnet an die letzten Tage der DDR-Volkskammer erinnert. Und Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed-Ali grätschte verbissen jegliches Selbstlob der Ampel ab. Sie forderte mehr Ausgaben, um der Wirtschaftskrise zu begegnen und schien zumindest eine gedankliche Augenklappe mit Blick auf den Kreml zu tragen, denn die Sanktionspolitik erklärte sie für wirkungslos. Sie schadete Deutschland mehr als Russland, behauptete sie.
Natürlich war diese Debatte kein Spiel, erst recht kein Fußballspiel. Dafür ist die Lage angesichts von Krieg, Inflation und allgemeiner Verunsicherung zu ernst. Auf der Tagesordnung stand der Haushalt, so wie die ganze Woche. Aber dieser Termin mit Bundeskanzler und allen Fraktionschefinnen und -chefs, ist immer viel mehr. Es geht um das große Ganze, nicht um das Kleingedruckte.
Merz kritisierte gleich zu Beginn, dass die Bundesregierung Mittel aus dem Sondervermögen für den "laufenden Betrieb" entnehme, wie es auch der Bundesrechnungshof am Tag zuvor moniert hatte. Die Bundeswehr bleibe aber strukturell unterfinanziert. Scholz habe "keine Ahnung", wie er das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen wolle, wenn das Geld in wenigen Jahren aufgebraucht sei.
Wie üblich verschärfte Merz den Ton, je länger die Rede dauerte - insbesondere als es um Kindergrundsicherung und Heizungsgesetz ging. "Die Menschen sind es leid, dass sie nur noch mit Verboten, Bürokratie und überbordenden Kosten konfrontiert sind", schimpfte er. "Wenn man dem Klima schaden will, muss man es genauso machen wie Sie!" Die Frührente nach 45 Beitragsjahren verwarf Merz, das Bürgergeld befand er als zu hoch. Arbeit werde dadurch unattraktiv. "Die Menschen gehen nicht zurück in die Arbeit, weil sie sich ausrechnen können, dass mehr Geld kommt, wenn sie es nicht tun", behauptete er.
Damit schlug Merz den Bierzelt-Sound am Rande der Wahrheit an - und provozierte insbesondere SPD und Grüne aufs Blut. Denn auch Geringverdiener haben ja oftmals Anspruch auf Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag. Wer arbeitet, hat in Deutschland mehr als jemand, der nicht arbeitet - sofern er oder sie alle Leistungen abruft. Die Frage ist nur, ob der Abstand groß genug ist. Grünen-Fraktionschefin Dröge fragte Merz später, warum er dann gegen den Mindestlohn gestimmt habe, wenn ihm das Abstandsgebot zwischen Lohn und Bürgergeld so wichtig sei.
"Never forget, das waren Sie"
Scholz warf Merz vor, den Konsens nach der Zeitenwende aufgekündigt zu haben. "Wir garantieren der Bundeswehr die zwei Prozent NATO-Quote nach 2028, 2029 und in den 30er Jahren. Das soll jetzt so sein", versprach er. Und: "Never forget, don't forget: Es war eine CDU-Regierung, die große Sparprogramme bei der Bundeswehr gemacht hat." Dann konterte er die Attacken zu den Sozialprojekten der Ampel: "Herr Merz, Sie haben einen merkwürdigen Leistungsträgerbegriff. Ich glaube, der fängt erst bei 120.000 Euro im Jahr an und Leute, die jeden Tag arbeiten gehen, gehören nicht dazu." Das saß und die SPD-Abgeordneten johlten. "Herr Merz, das musste jetzt sein, weil Ihr Popanz so groß war."
Merz hatte vor dem Sommer die Grünen als den Hauptfeind in der Regierung bezeichnet und so wurden seine Einlassungen offenbar auch verstanden. "Was an Berlin-Kreuzberg ist nicht deutsch?", fragte ihn sichtlich irritiert die Grünen-Politikerin Dröge. Ob es daran liege, dass dort Menschen aus verschiedensten Nationen lebten, Menschen mit verschiedenen sexuellen Identitäten und Menschen verschiedener Religionen? Also alles, was den Grünen lieb und teuer ist.
Das war interessant, weil ja nach der nächsten Bundestagswahl Schwarz-Grün eine Option für beide sein könnte. Vor diesem Hintergrund wirkten Dröges Äußerungen wie Bedingungen, die sie stellte: "Wir brauchen eine konservative Partei, die sagen kann, Kreuzberg ist Deutschland genauso wie das Bierzelt. Wir brauchen eine konservative Partei, die sagen kann, der Christopher Street Day ist Deutschland genauso wie die Bayreuther Festspiele. Und wir brauchen eine konservative Partei, die sagen kann, der Islam gehört zu Deutschland genauso wie der evangelische Kirchentag." Und fügte an: "Sie waren da schon mal. Ich kann Sie nur herzlich einladen, kommen Sie wieder zurück." Merz hat diese Tür jedenfalls erstmal zugeschlagen.
Quelle: ntv.de