Isaf-General zur Lage in Afghanistan "Ich arbeite nicht mit Befürchtungen"
09.07.2012, 15:12 Uhr
Ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan.
(Foto: dpa)
Bis Ende 2014 sollen die internationalen Kampftruppen aus Afghanistan abziehen. Doch sind die afghanischen Sicherheitskräfte dafür gerüstet? Wie gefährlich ist der Rückzug für die deutschen Truppen? Generalmajor Erich Pfeffer, Kommandeur des Isaf-Regionalkommandos Nord, spricht mit n-tv.de über Sprengfallen, Afghanen und das Risiko von Tod und Verwundung.
n-tv.de: Herr General, seit Beginn des deutschen Einsatzes sind in Afghanistan mehr als 50 Bundeswehrsoldaten gestorben, noch mehr wurden . Auch Ihr Vorgänger wurde bei einem Anschlag verwundet. Wie sicher ist es zurzeit am Hindukusch?
Erich Pfeffer: Ich kann nur für den Norden sprechen, hier ist die Entwicklung durchaus positiv. Es gibt weniger Sprengfallen und auch keine koordinierten Angriffe mehr. Die sicherheitsrelevanten Zwischenfälle haben abgenommen.
Das heißt, die Taliban sind geschwächt?
Es kommt immer noch zu Anschlagsversuchen. Wir erleben täglich Vorfälle – und jeder Vorfall ist nach wie vor einer zu viel. Aber gleichzeitig meldet uns die Bevölkerung auch immer häufiger, wenn sie etwas von geplanten Anschlägen mitbekommt.
Wie ist denn das Verhältnis zur Bevölkerung? Als Sie im Februar Ihr Amt antraten, kam es wegen der durch US-Soldaten zu heftigen Ausschreitungen mit mehreren Toten.
Die Demonstrationen im Februar muss man in Relation setzen. Im Norden Afghanistans leben etwa 8 Millionen Menschen. Von diesen 8 Millionen haben 8000 Menschen demonstriert, die Mehrheit von ihnen friedlich. Es war also nur ein kleiner Anteil, der tatsächlich gewalttätig war und nun das Bild verzerrt. Die politische Führung in den meisten nördlichen Provinzen war ebenfalls darum bemüht, die Lage zu entschärfen. Hervorzuheben sind insbesondere die afghanischen Sicherheitskräfte, welche besonnen reagiert und sich bewährt haben.
Ist denn das Ziel geglückt, "Herzen und Köpfe" der Afghanen zu erobern?
Wir haben ein gutes Verhältnis zur Bevölkerung, was uns sehr wichtig ist. Tagtäglich erleben wir viel Zuspruch von Afghanen, die unsere Anwesenheit hier begrüßen. Kern unserer Arbeit ist ja auch, sie zu schützen. Sicher gibt es Versuche vonseiten der Aufständischen, die Bevölkerung gegen uns aufzuwiegeln, doch meine Soldaten erfahren viele positive Reaktionen.
Aber ist es nicht schwierig, schwer bewaffnet mit Panzern die Herzen zu erobern?
Ganz entscheidend ist, dass wir auf die kulturellen Begebenheiten im Land Rücksicht nehmen. So versuchen wir religiöse Stätten am Freitag und an anderen Feiertagen zu meiden. Während des Ramadan berücksichtigen wir religiöse Gepflogenheiten. Und am allerwichtigsten ist es, den persönlichen Kontakt zur Bevölkerung zu halten.

Wer ist Verbündeter, wer Aufständischer? Nicht immer ist dies in Afghanistan ersichtlich.
(Foto: REUTERS)
Wie sieht die Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften aus?
Es gibt verschiedene Formen der Unterstützung von deutscher Seite. Wir beraten tagtäglich das afghanische Führungspersonal. Darüber hinaus arbeiten unsere Planer sehr eng mit unseren afghanischen Partnern, um gemeinsam die Operationen der Sicherheitskräfte auszuplanen. Das immer mit dem Ziel, dass die Afghanen zunehmend die Planungen eigenständig durchführen. Und schließlich führen wir gemeinsame Operationen durch, wobei unser Anteil an Kräften auf der Zeitachse abnimmt. Die niedrigste Form der Unterstützung ist, dass unsere afghanischen Partner für die Sicherheit zuständig sind und wir nur im Notfall bereit stehen. Das ist in einigen Provinzen bereits der Fall.
Bis Dezember 2014 sollen die internationalen Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen sein. Sind denn die afghanischen Sicherheitskräfte dafür gerüstet?
Die arbeiten immer effektiver und gewinnen zunehmend mehr Eigenständigkeit. Die derzeitigen Rahmenbedingungen - die positiven Trends in der Sicherheitslage und in der Verbesserung des Ausbildungstandes der Afghanen - sind so, dass wir das Ziel 2014 erreichen können.
Und doch befürchten viele, dass der zu früh kommt und nach 2014 Chaos ausbrechen könnte.

Generalmajor Erich Pfeffer ist seit Ende Februar Kommandeur des Regionalkommandos Nord der Isaf in Afghanistan.
Ich arbeite nicht mit Befürchtungen.
Zu Ihren Aufgaben gehört es auch, den Abzug einzuleiten, der gemeinhin als kritische Phase gilt. Wie wollen Sie das ohne Risiko für Ihre Soldaten anstellen?
Die Hauptaufgabe ist hier, die afghanischen Sicherheitskräfte weiter zu stärken und aufzubauen, damit sie die Sicherheit garantieren können. Je besser uns dies gelingt, umso mehr können wir uns zurücknehmen und nicht mehr benötigtes Gerät zurückverlegen. In diesem Jahr beschäftigen wir uns dabei vor allem damit, die Rückverlegung von Material zu planen und vorzubereiten.
Der Wehrbeauftragte der Bundeswehr, Hellmut Königshaus, beklagt regelmäßig die schlechte Ausrüstung der Soldaten in Afghanistan. Wünschen Sie sich eine bessere Ausstattung?
Der Wehrbeauftragte war erst kürzlich hier und sagte, dass er mit der Ausrüstung zufrieden sei. Natürlich gibt es immer die Möglichkeit einer Verbesserung der Ausrüstung. Das ist ganz normal. Dazu gehört beispielsweise, dass älteres oder hoch belastetes Gerät nach einer gewissen Zeit durch neueres ausgetauscht wird.
Königshaus kritisierte in seinem Wehrbericht das Fehlen geeigneter Hubschrauber. Derzeit ist die Bundeswehr auf die Hilfe der US-Amerikaner angewiesen, und der Kampfhubschrauber "Tiger" soll erst 2013 geliefert werden. Ist es nicht zu spät?
Ich habe zurzeit alles, was ich hier brauche. Die Entscheidung, ob und wann anders Gerät in Afghanistan zum Einsatz kommt, muss abgewartet werden und wird nicht hier entschieden.
Was sagen Sie Ihren Soldaten, wofür sie am Hindukusch kämpfen und gegebenenfalls ihr Leben lassen?
Der Auftrag, den wir hier haben, ist, mit den afghanischen Sicherheitskräften für ein stabiles sicheres Umfeld zu sorgen. Diesen Auftrag unseres Parlaments kennt jeder Soldat. Und es ist inhärent, dass der Auftrag von Streitkräften das Risiko von Tod und Verwundung mit sich trägt. Das ist Teil des Soldatenberufs. Natürlich setze ich alles daran, die Risiken zu minimieren und meine Soldatinnen und Soldaten verantwortungsbewusst einzusetzen.
Mit Erich Pfeffer sprach Gudula Hörr
Quelle: ntv.de