Deutschtürken über Erdogan "Ich liebe diesen Mann"
19.07.2016, 09:58 Uhr
Der türkische Staatspräsident Erdogan polarisiert, nach dem gescheiterten Putschversuch mehr denn je. Die einen loben ihn in den höchsten Tönen, die anderen haben Angst. Das gilt auch für die Deutschtürken.
Die in Deutschland lebenden Türken sind sich einig: "Wir haben Glück gehabt." Vier Militärputsche hat das Land bereits hinter sich - drei waren erfolgreich. Doch damit soll jetzt Schluss sein, das ist die einhellige Meinung. Ömer aus Berlin erzählt, er habe in den 80er-Jahren in der Türkei gelebt, als noch eine Militärregierung an der Macht war. "An jeder Ecke gab es Ausweiskontrollen. Wenn du keinen Ausweis dabei hattest, bist du dafür drei Jahre ins Gefängnis gegangen. Wir wollen nie wieder Soldaten, die uns regieren", sagt er.
Das zeigte sich in der Nacht auf Samstag, als sich keineswegs nur die treue Gefolgschaft von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen den Militärputsch auflehnte. Auf Twitter war zu lesen: "Denkt an die mutigen türkischen Dissidenten, Journalisten, Politiker und Bürger, die sich einem Putsch entgegensetzen, der versucht, jemanden zu stürzen, den sie verachten." Das Volk habe es gemeinsam geschafft, da ist sich Ömer sicher. Bis fünf Uhr morgens sei er wach geblieben, konnte nicht schlafen.
"Die Türkei ist gegen einen Putsch. Das Land wünscht sich nichts mehr als Frieden", sagt auch Alper, ein türkischer Gemüsehändler in Kreuzberg. Doch wie dieser Frieden aussehen und vor allem, wer dabei als Staatspräsident an der Spitze stehen soll, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Alper lebt seit 39 Jahren in Deutschland. Für ihn ist die Situation völlig klar: "Die Mehrheit ist für Erdogan, sonst wäre er ja auch nicht Präsident. Er wurde vom Volk gewählt. Acht von zehn Türken sind für ihn", ist er überzeugt. Mit Zahlen lässt sich das zwar nicht belegen, doch bei der Neuwahl zum Parlament in der Türkei wählten knapp 60 Prozent der türkischen Wähler in Deutschland die islamisch-konservative Regierungspartei AKP, mehr als in der Türkei.
Erdogan-Anhänger fordern Härte
Wer sich in Berlin-Kreuzberg umhört, merkt schnell, das hier jeder eine Meinung zum türkischen Präsidenten hat. Eine Restaurantbesucherin lässt ihren Gefühlen freien Lauf: "Ich liebe diesen Mann", sagt sie. Warum solle er ein schlechter Mensch sein? Er habe die Türkei aufgebaut. "So wie er sich für sein Land eingesetzt hat, alle Achtung!" Der Zusammenhalt sei groß, keiner ihrer Landsleute in der Türkei würde darüber nachdenken, auszuwandern. Ihre Freude ist überschwänglich. Ob sie Angst vor der Zukunft hat, vor einer härteren Hand Erdogans? Ihre Antwort ist eindeutig. Wenn es nach der Frau ginge, könnte der Präsident seine Macht sogar noch stärker demonstrieren: "Keiner will Krieg. Schauen Sie nach Frankreich. Wenn Leute ein Land kaputt machen wollen, dann gehört ihnen der Kopf abgeschnitten."
Einige Türken in Deutschland denken ähnlich. Erdogan habe dem Land vor allem eins gebracht: wirtschaftlichen Aufschwung. Ömer sagt: "Vor Erdogan war die Türkei pleite." Wenn der Präsident nach dem Putsch Konsequenzen ziehen müsste, strengere Gesetze erlasse, dann würde man das hinnehmen. Bestimmt müssten noch mehr Menschen ins Gefängnis. Aber "Strafe muss eben sein", findet der Mann.
Einführung der Todesstrafe ist "No-Go"
Tatsächlich hat Erdogan angekündigt, dass er in Zukunft noch härter durchgreifen und massiv gegen Teile des Militärs und der Justiz vorgehen werde. Diese polarisierende Entwicklung beobachtet die Türkische Gemeinde in Deutschland mit großer Sorge. Auch er sei "erleichtert und froh", dass der Militärputsch verhindert worden ist, sagt der Bundesvorsitzende der Gemeinde, Gökay Sofuoglu. Doch die angekündigte Rache gehe zu weit. "Es kann nicht sein, dass man innerhalb einer Nacht gegen 6000 Menschen ermittelt." Die Wiedereinführung der Todesstrafe nennt Sofuglu "ein absolutes No-Go".
"Es wird noch viel, viel schlimmer werden", befürchtet Ali, der einen Kiosk in Kreuzberg betreibt. "Bevor Erdogan nicht weg ist, wird keine Ruhe einkehren", sagt der 67-Jährige. Die Angst verfolge einen in der Türkei auf Schritt und Tritt. Einfach mal ein bisschen miteinander plaudern? Das ginge gar nicht mehr. Alle hätten Angst, etwas Falsches zu sagen, belauscht zu werden und schließlich im Gefängnis zu landen. "Erdogan will alleine regieren, seine Gegner ausschalten, aber das geht nicht."
Ali ist davon überzeugt, dass der Präsident seine Anhänger bezahlt habe, um für ihn auf die Straße zu gehen und gegen die Putschisten zu kämpfen. Natürlich sei eine Militärregierung keine Alternative, aber es brauche eine neue Regierung mit neuen Leuten. Momentan sehe er nur Korruption und Vetternwirtschaft. Demokratie? Ali winkt ab und lacht. Das sei keine Demokratie. "Wenn man in Deutschland demonstriert, dann ist die Polizei da, um alles abzusichern. Wenn man in der Türkei protestiert, dann ist die Polizei da, um einen zu verprügeln."
Quelle: ntv.de