Politik

Widerstand gegen Salvini "So etwas gibt es in einer Diktatur"

Leoluca Orlando gehört dem Partito Democratico an, den italienischen Sozialdemokraten. International bekannt wurde er durch seinen Kampf gegen die Mafia.

Leoluca Orlando gehört dem Partito Democratico an, den italienischen Sozialdemokraten. International bekannt wurde er durch seinen Kampf gegen die Mafia.

(Foto: imago/Independent Photo Agency)

Mit einem neuen Gesetz will der italienische Innenminister Matteo Salvini von der fremdenfeindlichen Lega-Partei die Rechte von Migranten beschneiden. Dagegen widersetzt sich eine Gruppe von Bürgermeistern zwischen Sizilien und Südtirol, angeführt vom Stadtoberhaupt von Palermo, Leoluca Orlando. Ein Interview.

n-tv.de: Ihrem Aufstand gegen das neue Sicherheitsgesetz haben sich mittlerweile auch andere Bürgermeister angeschlossen. Worum geht es da genau?

Leoluca Orlando: Die Bezeichnung Sicherheitsgesetz ist irreführend. Zwar sind auch ein paar Sicherheitsmaßnahmen aufgelistet, wie mehr finanzielle Ressourcen für die Sicherheitskräfte und Überwachungssysteme. Doch zum großen Teil handelt es sich um ein verschärftes Einwanderungsgesetz.

Gegen welche Maßnahmen wenden Sie und Ihre Kollege sich?

Während Salvini die Polizei in die Amtsstuben von Palermo schickte, fand in der Stadt eine Solidaritätskundgebung mit dem Bürgermeister statt.

Während Salvini die Polizei in die Amtsstuben von Palermo schickte, fand in der Stadt eine Solidaritätskundgebung mit dem Bürgermeister statt.

(Foto: imago/Independent Photo Agency)

Zum einen sind es Maßnahmen, die genau genommen nicht im Kompetenzbereich der Bürgermeister liegen, aber verfassungswidrig sind. Zum Beispiel die Vorgabe, dass ein Migrant, der mittlerweile italienischer Staatsbürger ist, im Fall einer Verurteilung wegen eines schweren Verbrechens die Staatsbürgerschaft verliert. So etwas gibt es in einer Diktatur. In einer Demokratie ist das Gesetz für alle gleich. Und wenn dem so ist, dann müsste man auch den Mafiabossen die Staatsbürgerschaft entziehen. Die Diskriminierung ist in diesem Fall unbestreitbar. Hinzu kommt noch, dass diese Maßnahme unserer Verfassung widerspricht. Dort ist nämlich zu lesen, dass die verhängte Strafe die Erziehung und Besserung des Verurteilten zum Ziel haben muss. Aber wie soll eine Resozialisierung stattfinden, wenn man dem Verurteilten die Hoffnung auf ein geordnetes Leben nimmt?

Und was den Kompetenzbereich der Bürgermeister betrifft?

Das Decreto Salvini, wie das Gesetz genannt wird, schafft die humanitäre Aufenthaltsgenehmigung praktisch ab. Zwar haben unbegleitete Minderjährige, die in Palermo oder anderswo in Italien ankommen, weiter ein Recht darauf. Doch sobald sie 18 Jahre und ein Tag alt sind, entfällt es, und damit auch das Recht auf einen Wohnsitz. Dasselbe gilt für diejenigen, denen die humanitäre Aufenthaltsgenehmigung in der Vergangenheit zuerkannt wurde (normalerweise für einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, Anm.d.Red.). Sobald diese ausläuft, gelten auch sie als illegal, selbst wenn sie mittlerweile Arbeit gefunden haben und Steuern zahlen. Das kann man nicht so hinnehmen.

Deswegen habe ich, nachdem das Dekret am 28. November vom Parlament genehmigt wurde, am 21. Dezember den Angestellten meiner Stadtverwaltung eine offizielle, schriftliche Anweisung übermittelt, die Vollstreckung dieses Gesetzes zu suspendieren. Sie sollen den Migranten weiter Personalausweise ausstellen und ihre Wohnsitze registrieren.

Wie sollte das Gesetz überhaupt umgesetzt werden? All jene, deren Genehmigung abläuft und die nicht zu den vorgesehenen Ausnahmefällen gehören, müssten direkt zurück in ihr Herkunftsland gebracht werden.

Wir werden ein Heer von Illegalen haben, die durchs Land irren. Und ja, wenn sie aufgefangen werden, müssten sie zurück in ihre Heimat geschickt werden. Hinzu kommt noch, dass sie ohne Personalausweis und Wohnsitz auch kein Recht auf ärztliche Behandlung haben und ihre Kinder nicht mehr in die Schule gehen dürfen.

Salvini sagt, die abtrünnigen Bürgermeister seien gerade Mal zehn von 8000. Trotzdem scheint auch ein Einlenkungsmanöver im Gange zu sein. Es ist die Rede von einem Treffen des nationalen Bürgermeisterrats ANCI mit dem Innenminister. Gibt es dazu Näheres?

Soweit ich weiß nicht. Ich verfolge nur über die Medien die zunehmend nervösen Reaktionen von Salvini. Aber zurück zum Gesetz: Es dient nicht der Sicherheit, im Gegenteil. Es wird das Heer der Migranten, die zum Beispiel auf unseren Erntefeldern für einen Hungerlohn arbeiten und unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, weiter vergrößern. Deswegen halte ich dieses Gesetz sowohl für unmenschlich als auch für kriminalitätsfördernd. Wer keine Chance auf ein normales Leben hat, der wird zur leichten Beute von Mafia und Terroristen. Die von Salvini immer wieder lauthals versprochene Sicherheit kann es nicht geben, wenn nicht alle Bürger über die gleichen Rechte verfügen.

Wie geht es jetzt weiter?

Mein nächster Schritt wird sein, mich mit meinen Vorbehalten über die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes an einen Richter zu wenden. Denn ein italienischer Bürgermeister darf sich nicht direkt ans Verfassungsgericht wenden, er muss es über einen Richter machen.

Riskieren Sie und Ihre Kollegen nicht, selbst angeklagt zu werden? Immerhin handelt es sich um ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz, das alle zu befolgen haben.

Dieses Risiko nehme ich gerne in Kauf. Vor einem Richter werde ich wieder an das Verfassungsgericht appellieren, das Salvini-Dekret für nichtig zu erklären. Hier geht es nicht um zivilen Ungehorsam, wie Salvini sagt, sondern darum, dass jeder, der in Italien lebt, dieselben von der Verfassung garantieren Rechte haben muss.

Mit Leoluca Orlando sprach Andrea Affaticati

Quelle: ntv.de

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