Politik

Vom Sterben und Leben Lesenswertes über den Ersten Weltkrieg

Einhundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs füllen zahlreiche neue Bücher zum Thema die Regale. Ob historisches Standardwerk, Romane, die vor der Kulisse des Krieges spielen oder Kinderbücher: Es gibt einiges, was man gelesen haben sollte.

"Die Schlafwandler" ist bei DVA erschienen und kostet 39,99 Euro

"Die Schlafwandler" ist bei DVA erschienen und kostet 39,99 Euro

An Christopher Clarks "Die Schlafwandler" führt kaum ein Weg vorbei. Der australische Historiker, der in Cambridge lehrt, schrieb mit seiner Analyse "Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" den historischen Bestseller der Saison. Inzwischen verkaufen die Buchhändler bereits die 16. Auflage des bei DVA erschienen 900-Seiten-Schinkens.

Clark beschreibt äußerst lesenswert, was in London, Belgrad, St. Petersburg, Berlin, Paris oder Wien zwischen 1903 und 1914 geschah und versucht damit nicht weniger als eine europäische Erzählung des Ersten Weltkriegs. Während bisher unter Historikern Konsens war, dass Deutschland zwar nicht alleinschuldig am Krieg, wohl aber hauptverantwortlich für den Ausbruch war, vertritt Clark einen anderen Standpunkt. Er macht alle europäischen Mächte in unterschiedlichem Maße für den Beginn des Krieges verantwortlich und betont die Rolle Serbiens. Keinem der beteiligten Länder sei es gelungen, die regionale Krise einzudämmen. Stattdessen finden sich die Großmächte in einem keineswegs unvermeidbaren Krieg wieder. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Clark: "Sie können alle diese Staaten als Bösewichte sehen. Sie sind aggressiv, beutegierig, kolonialistisch, paranoid, sie zeigen Stärke, weil sie sich schwach fühlen." Das ist Geschichte in ihrer spannendsten Form.

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Der Große Krieg als Urkatastrophe

Münklers Buch ist bei Rowohlt erschienen und kostet 29,95 Euro.

Münklers Buch ist bei Rowohlt erschienen und kostet 29,95 Euro.

Wer Clark sagt, muss auch Münkler sagen. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler legt mit "Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918" eine Gesamtdarstellung des Ersten Weltkrieges vom Scheitern des Schlieffen-Plans im September 1914 bis zum Waffenstillstand im November 1918 vor. Beinahe 1000 Seiten füllt Münkler mit gleichermaßen detaillierten, sachkundigen und anschaulichen Beschreibungen von Politik und Rüstungstechnik, Kriegsführung und Ideologien.

Dass er sich dabei auf die Entwicklung im Deutschen Reich beschränkt, ist kein Manko des Buches. Denn wie Clark geht auch Münkler davon aus, dass die Verantwortung auch bei den anderen am Krieg beteiligten Nationen lag. Unvermeidbar war er dennoch nicht. Münkler beschreibt den Krieg anschaulich, mit literarischen Zeugnissen und anhand von zeitgenössischen Fotos, als ebenso technisches wie politisches Laboratorium, in dem die Instrumente für die kommenden Jahrzehnte erprobt werden. 

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Forschung zum Schmökern

Der Bildband ist bei Theiss erschienen und kostet 49,95 Euro.

Der Bildband ist bei Theiss erschienen und kostet 49,95 Euro.

Die nicht-deutsche Sicht auf diesen Krieg einhundert Jahre danach geben Anne Duménil und Bruno Cabanes mit ihrem Bildband: "Der Erste Weltkrieg - Eine europäische Katastrophe" wieder. Lange Zeit war die Erzählung des "Großen Krieges" vor allem bei unseren französischen Nachbarn von den Schicksalen junger Männer geprägt, die ohne Ausbildung in grauenhafte Kämpfe geschickt wurden und trotzdem am Ende triumphierten. Doch in diesem Buch verlassen Historiker verschiedener Länder ihre nationalen Standpunkte und beleuchten den Krieg stattdessen aus europäischer und zugleich kulturhistorischer Perspektive, auch wenn ein französischer Schwerpunkt deutlich spürbar bleibt.

Chronologisch und zum Teil sehr persönlich stellt der großformatige und umfangreich bebilderte Band auf 480 Seiten bewusst die oft vergessenen Seiten des Krieges dar. Beginnend mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges in den Balkankriegen und über die Kriegsjahre hinaus entsteht in den insgesamt 72 Beiträgen ein detailreiches Puzzle zu den verschiedenen Aspekten des Krieges.

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Eine Welt zerbricht

Das Buch ist bei dtv erschienen und kostet 14,90 Euro.

Das Buch ist bei dtv erschienen und kostet 14,90 Euro.

Auch wer nicht unbedingt ein Sachbuch lesen möchte, kann über den Ersten Weltkrieg lesen - in Romanform. 1914 ist die Welt in England noch in Ordnung. Die reiche Oberschicht gibt rauschende Feste in prächtigen Landhäusern und schneidige Gentlemen konkurrieren um die Gunst junger Damen. Man hat Spaß, ist sorglos und tastet die Grenzen der Schicklichkeit nur mit den Fingerspitzen an. So jedenfalls hat Tom Allen alles in Erinnerung. Trotz seiner vergleichsweise niedrigen Herkunft wird er in die schillernde Gesellschaft um die Geschwister und Societygrößen Margot und Harry Stansbury aufgenommen, die auf Hannesford Court Hof halten. Sie verbringen einige Sommer zusammen, dann kommt der Krieg.

Fünf Jahre später kehrt Allen zurück. Ziellos und im Herzen kaum lebendig nimmt er die Einladung an, Weihnachten mit den Stansburys zu verbringen. Doch dem vertrauten alten Haus und seinen durch den Krieg gezeichneten Bewohnern gelingt es kaum, die alte Stimmung wieder aufleben zu lassen. Zu sehr lastet der Verlust auf allen.

Dem Autor Martin Davies gelingt es auf überraschende Weise, aus einer banal klingenden Geschichte eine Studie über menschliche Beweg- und Abgründe zu machen. Denn im Vordergrund stehen nicht die rührenden Einzelschicksale von Personal und Herrschaft in einer idealisierten Vorkriegswelt. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, dass das, was man für Glück und Frieden hielt, nur eine schillernde Fassade war. Es geht um den Abschied von, aber auch um das Aufrechterhalten von Illusionen, das Recht der Hinterbliebenen, ihre gefallenen Kinder zu verehren, unabhängig von ihren Fehlern. Am Ende des Romans kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der Erste Weltkrieg sei eine Art Katharsis gewesen, die der modernen Gesellschaft erst den Weg geebnet hat.

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Die Wunden des Krieges

Stedmans Buch ist bei Limes erschienen und kostet 19,99 Euro.

Stedmans Buch ist bei Limes erschienen und kostet 19,99 Euro.

Was macht der Krieg mit den Menschen? Welche Opfer sind sie bereit zu geben? Und welche nicht? Die sterbenden Kameraden noch vor Augen, die Kanonenschüsse noch im Kopf, zieht sich der körperlich unversehrte Tom Sherbourne 1918 nach Janus Rock zurück, auf eine winzige Insel mit einem Leuchtturm nahe Perth. Auf der kargen Insel und mit seinen zahllosen Pflichten als Leuchtturmwärter findet Tom inneren Frieden und verdrängt, abgeschnitten von der Außenwelt, seine Dämonen. Da tritt die hübsche naive Isabel in sein Leben, eine wohlbehütete Tochter vom Festland. Auch sie will nur weg aus der Enge der Kleinstadt und der Erdrückung der trauernden Eltern. Und sie will Tom. Zusammen erleben sie beinahe etwas wie echtes Glück und bedingungslose Liebe, Freiheit und Vervollkommnung. Doch ihr Glück ist getrübt, denn Isabel kann keine lebenden Kinder zur Welt bringen. Verbissen in diesen einen Traum verliert sie fast den Verstand. Da strandet ein Boot auf Janus Rock, mit einem wenige Monate alten Baby darin. Und Isabel bittet Tom um das schier Unmögliche; die Landung zu verheimlichen und das kleine Mädchen als ihres auszugeben.

Die australische Autorin M. L. Stedman zeichnet in ihrem Debüt vor allem ein humanes und nachvollziehbares Bild ihrer Figuren – so nachvollziehbar, dass man es manchmal kaum ertragen kann. Da ist Isabell, die Tom seinen Lebensmut zurückgibt und nichts anderes möchte, als nach Jahren des Todes wieder Leben zu schenken. Ihr gegenüber steht Tom, der äußerlich starke, innerlich schwer verwundete Protagonist, der gelernt hat, Prinzipien und Regeln über alles zu stellen, um nicht unterzugehen. Einerseits liebt er seine Frau und das Findelkind, andererseits gerät seine Entscheidung stark ins Wanken, als er erfährt, wessen Leben er mit seinem Glück zerstört. Der Roman ist ein herrlicher Schmöker mit Tiefgang. Glück, Moral aber auch die Verarbeitung eigener Traumata spielen eine wichtige Rolle. Und nicht zuletzt geht es um die Frage, wem im Zweifelsfall der Vorzug zu geben ist – der biologischen oder sozialen Familie - und um die große Liebe.

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"Im Westen nichts Neues"

Das Taschenbuch von Kiepenheuer und Witsch kostet 6,99 Euro.

Das Taschenbuch von Kiepenheuer und Witsch kostet 6,99 Euro.

Sechs Wochen kämpfte Erich Maria Remarque als junger Mann 1917 in Nordfrankreich. Nach seiner schweren Verwundung wird er die Erfahrung einer ganzen Generation in der Geschichte um den Soldaten Paul Bäumer verarbeiten, der an der Westfront kämpft. Bäumer durchlebt die verschiedenen Phasen des Soldatseins, die patriotische Verblendung ebenso wie den Drill in der Grundausbildung, bei den den jungen Männern jedes Mitgefühl abtrainiert wurde. "Wir wurden hart, misstrauisch, mitleidlos, rachsüchtig, roh - und das war gut."

So überstehen sie die grausamen Erfahrungen in den Schützengräben, auch wenn sie längst sprachlos geworden sind gegenüber jedem, der nicht die gleiche Erfahrung teilt. Ein Kamerad nach dem anderen fällt, während Bäumer zunächst wie durch ein Wunder überlebt. Als der Krieg fast vorbei ist, trifft auch ihn eine tödliche Kugel "an einem Tag, der so ruhig und so still war, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden." Zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg erstmals erschienen, hat die ungeschminkte Darstellung des Krieges bis heute nichts von ihrer Wucht verloren.

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Großvater mit einem Bein

Das Buch ist bei arsedition erschienen und kostet 14,99 Euro.

Das Buch ist bei arsedition erschienen und kostet 14,99 Euro.

Sie tragen wilde Schnurrbärte und seltsame Pickelhauben, die Großväter oder inzwischen Urgroßväter, die im Ersten Weltkrieg kämpften. Der Großvater von Nikolaus Nützel war einer von ihnen. Als Folge einer Verletzung durch einen Granatsplitter verlor August Müller ein Bein, aber er überlebte. Was aber hat das Schicksal von August Müller heute mit uns zu tun, und warum muss man sich überhaupt noch mit dem Ersten Weltkrieg befassen? Nützel findet darauf sehr persönliche Antworten, weil er nicht nur bei seinem Großvater anknüpft, sondern bis ins Heute hinein immer wieder nach den Verbindungen seines Lebens zu den Geschehnissen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sucht.

Die eigene Unwissenheit und Ratlosigkeit setzt Nützel in Bewegung, nach Ursachen, Ausmaß und Auswirkungen dieses Krieges zu forschen. Wo immer es geht, stellt er in seinem Buch, das für Leser ab 12 Jahren geschrieben ist, den Bezug zwischen der Weltgeschichte und sehr konkreten Menschen her. "Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg" ist assoziativ und durchaus unterhaltend geschrieben, ohne sich der Brisanz mancher Gedankengänge zu verschließen. Denn bei genauerem Hinsehen lässt sich durchaus eine Linie von der europäischen Großvätergeneration zu dem islamistischen Selbstmordattentätern 2014 ziehen.

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Am Geburtstag beginnt der Krieg

"So fern wie nah" ist bei KJB erschienen und kostet 12,99 Euro.

"So fern wie nah" ist bei KJB erschienen und kostet 12,99 Euro.

John Boyne ist vielen durch seinen Bestseller "Der Junge im gestreiften Pyjama" ein Begriff. In "So fern wie nah" heißt der Held Alfie Summerfield, ein Londoner Junge aus einfachen Verhältnissen, der seinen fünften Geburtstag feiern will. Doch ausgerechnet an diesem Tag beginnt der Erste Weltkrieg, sein Vater meldet sich freiwillig zur Armee. Der beste Freund des Vaters wird verhaftet, weil er gegen den Krieg ist. Alfies Freundin und deren Vater werden interniert, weil sie Österreicher sind und damit der Feind.

Die Schule wird unwichtig, dafür wird das Essen mit jedem Geburtstag im Krieg immer wichtiger, die Erwachsenen sind müde und traurig. Und dann verschwindet auch noch sein Vater und Alfie macht sich auf die Suche nach ihm. Eine verrückte und gut geschriebene Geschichte über ein Kinderleben im Ersten Weltkrieg mit einem eigensinnigen Helden.

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Sachbuch zum Schlauer-werden

Das Buch, das auch ein Poster enthält, ist bei Dorling Kindersley erschienen und kostet 9,95 Euro.

Das Buch, das auch ein Poster enthält, ist bei Dorling Kindersley erschienen und kostet 9,95 Euro.

Wie sahen eigentlich die Waffen aus, mit denen die Soldaten im Ersten Weltkrieg kämpften, wie die Gasmasken, mit denen sie sich schützten? Mit welchen Krankenwagen wurden die Verwundeten transportiert? Und wie kam es überhaupt zum Ersten Weltkrieg?

Interessant bebildert und mit gut gegliederten, kurzen Texten erklärt der Memo-Band 68 "Der Erste Weltkrieg" schon Grundschülern, dass echter Krieg etwas ganz anderes ist, als einen Computerspiele vielleicht glauben machen wollen. Dass der Text manchmal ein wenig angehoben ist, machen die Geschichten über Kinder im Ersten Weltkrieg und die spannend aufbereiteten Doppelseiten wieder wett.

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Quelle: ntv.de

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