Fraktion vor dem Zerfall Linken-Chef droht Wagenknecht-Lager mit dem Rauswurf
22.10.2023, 20:13 Uhr Artikel anhören
Wagenknecht stellt die Linke vor enorme Herausforderungen.
(Foto: Heiko Rebsch/dpa)
Die Ex-Fraktionschefin der Linken, Wagenknecht, will ihre eigene Partei gründen. Damit beeinflusst sie nicht nur das Leben ihrer Gefolgsleute, sondern auch das ihrer Gegner: Im Fall einer Abspaltung verliert die Linke ihren Fraktionsstatus im Bundestag. Die Parteispitze will jetzt kurzen Prozess machen.
Sahra Wagenknecht macht ernst: Schon lange ist die einstige Frontfrau der Linken mit ihrer Partei zerstritten. An diesem Montag will die frühere Fraktionschefin ihren Verein BSW ("Bündnis Sahra Wagenknecht") vorstellen. Mit von der Partie sind laut Ankündigung die bisherige Fraktionschefin Amira Mohamed Ali und der Bundestagsabgeordnete Christian Leye. Aus diesem Verein könnte eine neue Wagenknecht-Partei hervorgehen, mit deren Gründung für Januar gerechnet wird.
Für die Partei ein Desaster: Wenn die Bundestagsfraktion der Linken zwei oder mehr ihrer 38 Abgeordneten verliert, verliert sie infolge der Geschäftsordnung des Parlaments auch ihren Fraktionsstatus. Das bedeutet nicht nur weniger Einflussmöglichkeiten, sondern auch weniger Geld für die Partei.
Fraktionschef Dietmar Bartsch hatte bereits erklärt, dass in diesem Fall die Jobs von 108 Fraktionsmitarbeitern auf dem Spiel stünden. Bartsch warf Wagenknecht im "Tagesspiegel" vom Samstag vor, "lax mit dem Schicksal von mehr als 100 Mitarbeitern" umzugehen. "Ich rechne damit, dass wir den Fraktionsstatus im Januar verlieren werden, wenn die neue Partei real gegründet wird", sagte Bartsch.
Parteispitze: Wer mit Wagenknecht geht, fliegt raus
Eine Versöhnung der beiden Lager scheint inzwischen ausgeschlossen. Linken-Chef Martin Schirdewan drohte bereits all jenen Mitgliedern mit Parteiausschluss, die sich dem neu gegründeten Verein von Sahra Wagenknecht anschließen. Es sei "klar, dass die, die sich an der Bildung einer Konkurrenzpartei beteiligen, in unserer Partei nichts mehr zu suchen haben und rausfliegen werden", sagte Schirdewan in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Gegen Wagenknecht selbst laufe schon ein Parteiausschlussverfahren.
Schirdewan sagte dem ZDF weiter, es werde bereits eine "Liquidierung der Fraktion" ins Auge gefasst. Klar sei, wer nicht mehr Mitglied der Partei ist, könne auch nicht mehr Mitglied der Linksfraktion im Bundestag sein. Eine Entscheidung zur Auflösung der Linksfraktion könnte auf der Fraktionssitzung am 7. November fallen.
Auch das ARD-Hauptstadtstudio berichtete unter Berufung auf ein Beschlusspapier, dass der Linken-Vorstand gegen alle Beteiligten des Vereins ein Parteiausschlussverfahren anstrengen will. Außerdem solle gemeinsam mit den zuständigen Gliederungen geprüft werden, wie die Mitgliedsrechte entzogen werden können. Der Parteivorstand will ferner Abgeordneten, die sich an dem Wagenknecht-Verein beteiligen, auffordern, "ihre durch die Linke errungenen Mandate niederzulegen". Das Papier soll laut ARD am Montag vom geschäftsführenden Parteivorstand beschlossen werden.
Welche Chancen hat eine Wagenknecht-Partei?
SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich derweil offen für die Aufnahme von Linken-Mitgliedern: "Unsere Türen stehen offen", sagte Klingbeil der "Welt am Sonntag". "Ich werde jetzt keine Mitgliedsformulare in der Linkspartei verteilen", fügte er hinzu. "Aber natürlich gilt: Wer sich für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität einsetzt und in unserem Land etwas bewegen will, ist in der SPD willkommen."
Der zur SPD gewechselte Ex-Linkenpolitiker Thomas Lutze rechnet mit weiteren Überläufern für den Fall, dass die Fraktion als Folge einer Parteigründung durch Wagenknecht zerfällt. "Wenn die Fraktion auseinanderbricht, dann werden weitere Abgeordnete der Linken zu den Grünen oder zur SPD gehen", sagte der Bundestagsabgeordnete dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Sechs bis zehn würde ich einen Wechsel zur SPD zutrauen." Lutze war kürzlich von der Linksfraktion in die SPD und deren Bundestagsfraktion übergetreten.
Bisher ist nicht völlig klar, wofür die erwartete Partei stehen soll. Wagenknecht hat sich als scharfe Kritikerin der Ukraine-Politik der Bundesregierung und der Energiesanktionen gegen Russland positioniert. Sie ist für den Import von billigem Erdgas und gegen allzu strikte Klimaschutzpolitik. Zudem plädiert sie für eine Begrenzung der Migration. Die neue Partei dürfte damit auch der AfD Konkurrenz machen, die zuletzt bei Wahlen und in Umfragen deutlich zugelegt hatte. Wagenknecht hatte wiederholt die Grünen als die gefährlichste Partei bezeichnet.
Quelle: ntv.de, lst/dpa/AFP