Eigene Partei kommt, Linke bangt So könnte Sahra Wagenknecht die Politik durchwirbeln


Wagenknecht hat die Linke und PDS mitgeprägt - und dürfte sie alsbald verlassen.
(Foto: picture alliance / Flashpic)
Lange erwartet, nun offiziell: Sahra Wagenknecht geht die Gründung einer eigenen Partei an. Ihr Vorgehen deutet darauf hin, dass sie aus früheren Fehlern gelernt hat. Chancen und Risiken für die bisherige Linken-Politikerin halten sich die Waage. Ihre Heimatpartei dagegen blickt in den Abgrund.
Spannungsbögen, so viel muss man Sahra Wagenknecht zugestehen, kann sie: Seit Monaten wird über die Gründung einer eigenen Partei mit der bekanntesten Linken-Politikerin als Galionsfigur spekuliert. Die 54-Jährige hat diese Berichte bislang weder dementiert noch bestätigt, aber immer wieder mit damit kokettiert, dass es eine "politische Notwendigkeit für eine neue Partei" gebe. Am Donnerstag bestätigte ihr Büro Medienberichte vom Vortag, wonach Wagenknecht am Montag in Berlin einen neu gegründeten Verein namens "Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit" vorstellen wird. Es dürfte der erste offizielle Schritt hin zur Gründung der eigenen Partei sein. Ob diese dann auch BSW heißen wird, die Partei also den Namen ihrer maßgeblichen Gründerin im Namen trägt, ist offen.
Einen Verein zu gründen, ist strategisch plausibel. Er schafft eine Organisationsstruktur und eine Finanzierungsbasis für den Herkules-Akt einer Parteigründung. Zugleich ist es als Verein noch einfacher, potenzielle Mitglieder auszusieben. Das Risiko, dass politische Irrlichter in die Wagenknecht-Partei drängen, ist groß. Abgesehen davon, dass jede neue Partei auch problematische Persönlichkeiten anzieht: Wagenknecht kann gleichermaßen AfD-Wähler wie auch Kommunisten für sich begeistern. Andererseits wird eine rote Linie nicht leicht zu ziehen sein bei einer Partei, der erwartbar auch Dieter Dehm angehören wird. Der Musikproduzent und ehemalige Linken-Abgeordnete ist ein treuer Unterstützer Wagenknechts, fällt aber immer wieder mit extremen Positionen auf - sei es zur Corona-Politik oder zu einer Zusammenarbeit von extrem linken und extrem rechten Bewegungen.
Dehm ist erst im vergangenen Frühjahr einem Parteiausschluss entgangen, den Linke-Mitglieder wegen seiner Beteiligung an der Bewegung "Aufstehen" angestrengt hatten. Dieser erste Anlauf Wagenknechts, sich von ihrer Partei zu lösen und eine neue Organisation aufzubauen, dürfte ihr ein mahnendes Beispiel sein: Das Projekt ist vollends gescheitert. "Man braucht Strukturen, man braucht fähige Organisatoren, man braucht ein richtiges Team", sagte Wagenknecht dem Portal Web.de über die Parteigründung. Als Mitstreiter gelten diesmal ihr Ehemann Oskar Lafontaine sowie Amira Mohamed Ali, die bisherige Co-Fraktionschefin und einstige Hoffnungsträgerin der Linken. Zur Vorstellung des Vereins sind zudem der Linke-Bundestagsabgeordnete Christian Leye, der frühere Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen, Lukas Schön, sowie ein Unternehmer und Millionär namens Ralph Suikat angekündigt.
Die Chance liegt im Ungefähren
"Aufstehen" scheiterte nach Aussage von Beteiligten auch daran, dass die vom Wagenknecht-Lager angestrebte Organisation von oben mit den Mitsprache-Ansprüchen der Basis kollidierten. Diesmal könnte es andersherum ablaufen: Wagenknecht und ihre Vertrauten könnten in dem Verein ein programmatisches Fundament legen, das für alle weiteren inhaltlichen Debatten die Richtung vorgibt. Das würde Grundsatzdebatten ersparen und Menschen außen vor lassen, die gänzlich andere Ideen verfolgen. So sehr etwa Wagenknecht andere Linke mit ihren Äußerungen zur Migrationspolitik irritieren mag und mitunter Wasser auf die Argumentationsmühlen der AfD kippt: Eine inhaltlich klare Abgrenzung von Rechtsaußen könnte Teil eines solchen Basisprogramms sein.
Dass es darüber hinaus deutlich konkreter wird, ist hingegen unwahrscheinlich. Erstens wird Wagenknecht selten konkret, wenn es um die Umsetzung ihrer politischen Vorstellungen geht. Wirtschaftliche Vernunft, Gerechtigkeit, Diplomatie statt Waffenlieferungen, gegen Cancel Culture: Wagenknecht liefert vor allem Stichworte, die ihren Anhängern unterschiedlicher politischer Couleur viel Interpretationsspielraum lassen. Will Wagenknecht auch künftig Anhänger aus allen Lagern einsammeln, bleibt Vagheit Trumpf - und Festlegung wird zum Risiko. Politikforscher und Demoskopen halten es unisono für möglich, dass Wagenknecht als Projektionsfläche der Frustrierten und Enttäuschten Zuspruch im zweistelligen Prozentbereich bekommen könnte.
Eine wesentliche Voraussetzung für solch ein Erfolg bleibt, dass Wagenknecht auch künftig ihre große Präsenz in Talkshows und anderen TV-Formaten behält. Dort ist sie nicht Gast, weil sie führendes Mitglied einer wichtigen Partei ist, sondern weil sie gleichermaßen zuverlässig wie eloquent streitbare Gegenpositionen vertritt, ohne des politischen Extremismus' verdächtig zu sein. In der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine etwa gibt es schlicht keine Politiker mit zählbarer Anhängerschaft, die Wagenknechts Positionen teilen. Ihre größte Stärke ist ihre größte Schwäche: Wagenknecht braucht polarisierende Meinungen, um relevant zu sein - und läuft dabei ständig Gefahr, das Geschäft der Demokratiefeinde zu betreiben, weil sie deren Positionen normalisiert.
AfD und Linke alarmiert
Dennoch scheint auch die AfD das Risiko durch eine Wagenknecht-Partei ernstzunehmen: Gerade im Osten sehen Demoskopen großes Potenzial für die in Jena geborene Wagenknecht. Hier hatten die Menschen über Jahrzehnte die Linke auch aus Protest "gegen die da oben" in Berlin gewählt, bevor die AfD die Rolle als Frust-Ventil übernahm. Von einer vergleichbar populären Politikerin, die weit in andere Lager hineinstrahlt, kann der Männerhaufen um Alice Weidel nur träumen. Den rechtsextremen Strategen der AfD und Thüringer Landeschef, Björn Höcke, treibt das Thema um. Der "Name 'Bündnis Sahra Wagenknecht' irritiert, wirft Fragen auf", schreibt Höcke auf der Plattform X. "Drückt er Selbstbewusstsein aus oder entlädt sich hier eine narzisstische Störung?"
Derbere Anfeindungen muss Wagenknecht aber eher aus ihrer bisherigen Partei, der Linken, erwarten: Parteichefin Janine Wissler warf Wagenknecht im "Deutschlandfunk" einen "Egotrip" vor. Gregor Gysi, lange Zeit Schutzpatron der PDS und späteren Linken, der Wagenknecht immer wieder verteidigt und unterstützt hat, sagt nun, einige Linke wollten seine Partei "von innen" kaputt machen. Wer unflätigere Beurteilungen Wagenknechts sucht, wird in den sozialen Medien fündig: Mitglieder aus der zweiten oder dritten Reihe der Partei schäumen vor Wut. Der Linkspartei droht nicht weniger als ihr Ende. Nach verschiedenen Medienberichten könnten acht bis zwölf Mitglieder der Bundestagsfraktion zusammen mit Wagenknecht eine eigene Gruppe im Bundestag bilden.
Die übrigen Linke-Abgeordneten wären zu wenig, um eine eigene Fraktion bilden zu dürfen. Damit verliert die Linke im Bundestag nicht nur an Gestaltungsmacht, sondern auch Finanzmittel. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete am Donnerstag, die Fraktion habe bereits einen Sozialplan für ihre 108 Mitarbeiter erstellt - in fester Erwartung, dass die Wagenknecht-Partei kommen und die Linke im Bundestag ihren Status als Fraktion verlieren wird.
Quelle: ntv.de